Erinnerung an den Zug, der in die Freiheit fuhr.
Die Geschichte und das Schicksal der Familie Hasenberg
Michael Schick
John Hasenberg , geb. 08.10.1892 in Neumünster - gestorben 23.01.1945 in Biberach, verheitatet mit Gertrud (geb. Meyer), geboren am 28. Oktober 1903 gestorben 1988 in Ann Arbor / USA
- Sohn geb. 1928 in Berlin
- Irene Butter-Hasenberg 1930
Ein besonderer Besuch und ein besonderes zusammentreffen.
Seit dem Proffesorin Dr. Irene Butter-Hasenberg vom Grab ihres Vaters auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim weis, das ist seit Mitte der 50er Jahre, ist sie immer wieder hier in Laupheim zu Besuch. Sie pflegte auch den Kontakt zu Ernst Schäll und Reinhold Adler aus Biberach, bereits bei letzten Besuch hier in Laupheim hielt sie damals 2002 in Biberach an Schulen Vorträge.
Im Januar 2014 erschien in der bekannten Frauenzeitschrift "Brigitte" ein bewegender Artikel über Ihr Leben. Als Reaktion darauf wurde Irene Butter-Hasenberg von der Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft in Heidelberg zu einem Symposium eingeladen. Diese Gelegenheit, 2 Stunden von Laupheim entfernt zu sein nutzte Irene Butter-Hasenberg und ein langjährige Freundin aus Dreseden, welche sie beim Symposium in Heidelberg besuchte, tat ihriges dazu. Sie brachte Irene Butter-Hasenberg mit dem Auto von Heidelberg nach Laupheim.
Zuvor hatte Irene Butter-Hasenberg ihren kurzen Besuch in Laupheim per Mail angekündigt. Die Ankündigung wurde zur Einladung und sie blieb über Nacht. Eine Bitte, auch den Vortrag hier in Laupheim vor Schülern zu halten wurde von Irene Butter-Hasenberg sofort bekräftigt. Sie wollte zunächst in englisch referieren. Die Gelegenheit deutsch zu sprechen hatte sie in den letzten Jahren nur am Telefon und bei Besuchen.
Dieses Angebot wurde an die Schulen weiter getragen und diese einmalige Gelegenheit wurde von den Schulleitern sofort erkannt und wahrgenommen. Die Aula des Gymnasiums mit 400 Sitzplätzen wurde für den zweiten Besuchstag von Irene Butter-Hasenberg reserviert. Von der benachbarte Friedrich-Adler-Realschule kamen auch 160 Schüler zu dem Vortrag. Die Aula war bis auf den letzten Platz gefüllt!
Irene Butter-Hasenberg referierte in Deutsch, das erste mal seit 27 Jahren, seit sie Vorträge über Ihr Schicksal hält. In perfekten Deutsch mit leichten Akzent.Auch für Ben Schwalb, der Urenkel von Lazar Schönberg, er lebt und arbeitet in München, war die Gelegenheit da, Irene Butter-Hasenberg kennen zu lernen. Denn sein Urgroßvater und Irene Butter-Hasenbergs Vater und deren Familien hatten das ähnliche Schicksal.
Die beiden Familien von John Hasenberg und Lazar Schönberg flohen vor dem NS-Regime nach Holland. In Amsterdam und den KZ´s Westerbroch und Bergen-Belsen erging es der Familie Schönberg ähnlich wie der Familie Hasenberg. Lazar Schönberg verstarb nach der Ankunft in Biberach. Auch er wurde zunächst in Biberach beerdigt und später nach Laupheim umgebettet. In dem Zeitungsbericht unten ist die Geschichte von Irene Butter-Haseberg.
Schwäbische Zeitung vom 11.März. 2014
"Es ist wichtig, an die Toten zu erinnern“
Von Agathe Markiewicz
Laupheim
Die hellblauen Augen der zierlichen Frau leuchten. Sie schauen in 800
Augen, die gespannt auf sie gerichtet sind. Graues Haar umschmeichelt das
zarte Gesicht. Man sieht Irene Butter kaum hinter dem Rednerpult, wo sie mit
einem freundlichen Lächeln steht. Gleich wird die 84-Jährige aus ihrem Leben
erzählen. Aus einem Leben, das von den Nationalsozialisten beinahe zerstört
wurde. Denn ihre Kindheit und Jugend hat Irene Butter, die als Irene
Hasenberg im Jahr 1930 geboren wurde, unter dem Hakenkreuz erlebt und
überlebt.
Die Aula des Carl-Laemmle-Gymnasiums ist am
Montagvormittag voll besetzt. 400 Neunt- und Zehntklässler der
Friedrich-Adler-Realschule und des CLG wollen bei den Schilderungen der
Zeitzeugin dabei sein. Mit Laupheim verbunden ist die 84-Jährige, die in
Michigan lebt, dadurch, dass ihr Vater, John Hasenberg, auf dem jüdischen
Friedhof begraben ist.
Dann beginnt die emeritierte Wirtschaftsprofessorin,
ihre Geschichte zu erzählen. „Die Nazis haben schlimme Sachen über uns Juden
erzählt“, sagt sie. „Aber auf den Bildern sieht man, dass wir respektable
und gute Menschen waren.“ Schwarzweiß-Fotos zeigen sie mit ihren Eltern –
Gertrude und John – und ihrem Bruder Werner. Auch ihre Großeltern sind zu
sehen, bei denen „ich wunderbare Jahre erlebt habe und die mich sehr
verwöhnt haben“.
„Ich kannte Anne ein bisschen“
Der Großvater besaß eine Bank in Berlin, bei der auch der Vater angestellt war. Nach Hitlers Machtergreifung wurde sie geschlossen. John Hasenberg ging nach Amsterdam, um dort eine neue Arbeit zu finden. Als das gelang, kam die Familie nach. „Das war 1937“, berichtet Irene Butter. „Wir blieben zwei Jahre dort.“ Es sei eine schöne Zeit gewesen, in der sie Freunde fand, mit denen sie die Gegend auf Fahrrädern erkundete. „Doch 1940 haben die Nazis das Land besetzt“, erzählt sie. „Wir kamen nach Westerbork, ins erste Camp.“ Ein Durchgangslager, in das später auch Anne Frank gebracht wurde. „Anne war zwar ein Jahr älter als ich, aber ich kannte sie ein bisschen.“
In Westerbork gab es ein Bahngleis in der Mitte,
viele Baracken und dreistöckige Betten mit Stroh. Doch das Schlimmste sei
etwas anderes gewesen: „Wir hatten immer Angst vor dem Samstag, wenn der Zug
kam, der weiter nach Auschwitz fuhr. Es wurden dann immer die Namen
vorgelesen von den Leuten, die mit mussten. Der Zug fuhr am Montag weiter.
Wir mussten ständig Abschied nehmen, denn immer waren Bekannte dabei, deren
Namen auf der Liste standen.“
John Hasenberg besorgte für die Familie
ecuadorianische Pässe, die so etwas wie eine Garantie waren, um nicht nach
Auschwitz deportiert zu werden. Daraufhin wurden die Hasenbergs für den
Austausch angemeldet. Das bedeutet: Die Deutschen versuchten, in Nord- und
Südamerika internierte Landsleute nach Hause zu holen, indem sie diese gegen
Ausländer eintauschten.
„Irgendwann mussten wir nach Bergen-Belsen“,
erinnert sich Irene Butter. „Es hieß, dass dort alles besser werden würde.
Was aber natürlich nicht der Fall war.“ Für ihre Eltern und ihren Bruder
waren es lange und schwere Arbeitstage, die bis zu zwölf Stunden dauerten.
Immer auf der Hut vor möglichen Schlägen, die es oft gab. Zu essen bekamen
die Menschen nur ein Minimum. Mal ein Stück Brot, mal etwas Wasser mit Kohl.
„Das nannten sie Suppe“, erzählt Irene Butter.
Mit ihren zwölf Jahren musste die kleine Irene zwar
nicht so schwer schuften wie die anderen, dennoch hatte sie ihre Aufgaben zu
erfüllen. „Ich musste die Baracken sauber machen und auf Kinder aufpassen“,
erzählt sie. „Aber ich war auch für das Wäsche waschen verantwortlich. Und
das ohne warmes Wasser und ohne Seife.“ Beim Trocknen musste sie neben der
Leine sitzen. „Hätte man die Wäsche aus den Augen gelassen, wäre sie
gestohlen worden.“
Irene Butter erinnert sich an ein Erlebnis mit Anne
Frank, die von Auschwitz nach Bergen-Belsen kam: „Anne fragte mich und
andere Mädchen, ob wir ihr Kleider besorgen und über den Stacheldraht werfen
könnten, durch den wir getrennt waren. Wir haben welche besorgt und sind
nachts zu ihr. Das alles musste in der Dunkelheit passieren, damit uns die
Wärter nicht erwischen. Anne hatte ihre Brille aber nicht mehr. Sie hat
nicht gesehen, wohin die Kleider gefallen sind. Eine andere Frau hat sie
aufgesammelt und ist mit der Kleidung einfach weggelaufen.“
Fast glaubte die Familie an den Austausch nicht
mehr. Doch nach einem Jahr war es so weit. „300 Menschen wurden für den
Transport ausgesucht“, sagt Irene Butter. „Wir hatten das Glück
dazuzugehören, wir wussten natürlich nicht, was wirklich passieren würde.“
Doch der Zug fuhr langsam Richtung Freiheit. Das Glück wehrte jedoch nicht
lange, denn die Eltern wurden krank. Der Vater so schwer, dass er starb. In
Biberach wurde er aus dem Zug getragen und abgelegt. Der Zug fuhr weiter:
Schweiz, Frankreich, Afrika. Im Dezember 1945 stieg Irene allein auf ein
Schiff Richtung Amerika. „21 Tage waren wir auf stürmischer See unterwegs“,
sagt sie.
„Du musst alles vergessen“
In New York lebt sie bei einem Onkel und einer
Tante. Sie sagen: „Du bist jetzt in Amerika. Du musst alles vergessen.“ Sie
wollen nichts wissen von dem Leid, das sie erfahren hat. „Bis 1970 haben wir
nie über den Holocaust gesprochen.“
Im Sommer 1946 kommen ihre Mutter und ihr Bruder
nach. Ein neues Leben beginnt. Während ihres Wirtschaftsstudiums lernt Irene
den Mann kennen, den sie später heiratet. Mit ihm zieht sie 1962 nach
Michigan, wo beide lehren. Sie bekommen eine Tochter, die mittlerweile mit
ihrer Familie in Israel lebt, und einen Sohn. Er ist in Amerika geblieben
und wohnt in Kalifornien.
Irgendwann fragt sich Irene Butter: „Habe ich das
Recht zu schweigen? Anne Frank ist nicht mehr hier. Ich bin die Zeugin. Es
ist wichtig, an die Toten zu erinnern und daran, was damals passiert ist.“
Mittlerweile sind es 27 Jahre, in denen sie an Schulen und anderen Orten
über ihr Leben und das Schicksal ihrer Familie spricht.
Initiiert hat den Vortrag Michael Schick von der
Gesellschaft für Geschichte und Gedenken. An der Organisation beteiligt
waren die Lehrerinnen Anne Kirchhoff und Elisabeth Lincke.
(Erschienen: 10.03.2014 21:00)