Carl Laemmle
und Deutschland
Von
Dr. Udo Bayer, Laupheim
Die
Erschließung verschiedener neuer Quellen zu dem aus Laupheim stammenden großen
Hollywood-Pionier und Gründer der Universal, Carl Laemmle, erlaubt es, einige
Momente vor allem seiner Beziehung zu Deutschland etwas genauer zu beleuchten.
Wir erhalten so gewissermaßen
Mosaikbausreine zu seiner Biographie, deren Buch form
bekanntlich nur den Zeitrau bis ca. 1930 umfaßt und auf Deutschland bezogene
Einzelheiten naturgemäß vernachlässigen muß. Zum einen bestehen diese
Quellen in Akten aus dem Laupheimer Stadtarchiv, die großenteils Myrah Adams zu
sammengestellt har; sodann ist sein persönlicher Nachlaß zu erwähnen, der überraschenderweise
im Natural Hisrory Museum of Los Angeles — Seaver Genter for Western History
Research liegt. Laemmle hatte dieses Museum finanziell unterstürzt, und seine
1994 verstorbene Enkelin hat daher diese Dokumente dort hingegeben. Die
Dokumentarfilme werden als Laemmle-Collection im Medienarchiv der University of
California Los Angeles aufbewahrt und vermutlich Laupheim in Kopie zugänglich
gemacht, die Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin konnte den Nachlaß von Paul
Kohner, der einige Jahre für Laemmle, u. a. auch als Produzent bei der
Deutschen Universal, gearbeitet hatte, erwerben; er enthält über 100 Briefe
Laemmles. Im Archiv der Universal in Los Angeles befindet sich eine Fülle von
Fotomaterial zu Filmen und von Presseveröffentlichungen, und schließlich ist
noch das Deutsche Institut für Filmkunde in Frankfurt mit seiner umfangreichen
Sammlung von Filmzeitschriften zu nennen.
Bereits
die Generation der Großeltern von Laemmle ist in dem seit einer Ministerialverfügung
nach dem Emanzipationsgesetz von 1828 angelegten Verzeichnis der Laupheimer
Juden aufgeführt:
Samuel
Laemmle, sein 1804 in Laupheim geboren Großvater mütterlicherseits mit der
Berufsbezeichnung „Schacherhändler“; seine Taschenuhr hat Carl später
erhalten, und Laemmles Schwiegersohn hat sie dem Laupheimer Museum geschenkt —
übrigens das wertvollste Objekt der Sammlung zu Laemmle. Bei Samuels 1793
geborenem Bruder Lehmann fehlt der Eintrag des Geburtsorts; es ist möglich, daß
er noch in Fischbach geboren wurde, von wo die Laemmles um die Jahrhundertwende
nach Laupheim kamen. Noch heute befindet sich in diesem südlich von Augsburg
gelegenen Städtchen ein jüdischer Friedhof mit Trägern dieses Namens. Bis
etwa 1570 lassen sich die Spuren der Fischacher Judengemeinde zurückverfolgen,
wobei möglicherweise die Vertreibung aus Augsburg den Anlaß für diese
Ansiedlung gab. Was die Herkunft des Namens Lämmle betrifft, so wurden hierzu
in den „Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Familienforschung“ zwei
Vermutungen genannt: zum einen kann es eine Umformung des hebräischen „Lemuel“
(wohl mit mohel = Beschneider zusammenhängend) sein, zum anderen vertritt die
Verkleinerung des Wortes Lamm im Spätmittelalter den hebräischen Namen Ascher,
weil in Israel das Lamm als Synonym des Wohlgenährten galt.
Auf
Laemmles Großvater Baruch vermutlich bezieht sich das bislang älteste
erhaltene Dokument, das die Spuren der Familie in Laupheim zeigt. Es handelt
sich um einen Bescheid des Oberamts Wiblingen von 1838, der eine Bitte Baruch
Laemmles, von Laupheim aus einen Kramhandel betreiben zu dürfen, ablehnt, da für
das beabsichtigte Gewerbe kein „örtliche(s) Bedürfnis“ bestehe; der
Kramhandel mit „unzünftigen Eisenwaren“ hingegen bedürfe keiner Erlaubnis
— schließlich existierte in Württemberg zu dieser Zeit noch die
Zunftverfassung. Carl Laemmles Vater Judas Baruch, auch Julius genannt, geboren
1825, wird in den Verzeichnissen bereits als „Handelsmann“ geführt, der
Onkel Josef war Rechtsconsulent — Zeichen eines beginnenden sozialen
Aufstiegs.
Am
28. Januar 1884 war der 1867 geborene Carl Laemmle nach New York aufgebrochen,
nach einem knapp zweijährigen Besuch der Lateinschule in Laupheim, die heute
als Gymnasium seinen Namen trägt, und nach einer dreijährigen Lehrzeit in
Ichenhausen. Im persönlichen Nachlaß hat sich ein Album erhalten, das er
zeitlebens aufbewahrt hat und in dem sich über Jahrzehnte vor allem auch Angehörige
und Freunde aus Laupheim verewigt haben, häufig mit selbstgedichteten Sinnsprüchen
oder auch Malereien, wie sie sein Münchner Freund Regensteiner, mit dem
zusammen er in die neue Welt aufgebrochen war, hinterließ, Der Eintrag seines
Vaters am Vorabend der Abreise sei hier zitiert:
Vertrau
auf Gott wie auf Lebens Freuden
die
letzte auch dich zu verlassen droht,
wie
dir die Gegenwart nur unter Leiden,
die
Zukunft Dir erscheint als Bild der Noth.
Vertrau
auf Gott, der unsichtbar Dich schützet,
Sein
Kind verläßt der gute Vater nicht.
Er
weiß am besten was Dir nützet,
Und
ewig hält er was er dir verspricht.
Mögen
Dich, lieber Karl, diese Zeilen
manchmal
erinnern an Deinen Dich
liebenden
treuen Vater Julius.
Auch
zu Datierungsfragen ist dieses Büchlein aufschlussreich — so finden sich etwa
Einträge zu Europareisen 1886 und 1889, die Laemmle mehrfach trotz seiner
sicher nicht üppigen finanziellen Lage unternommen hatte. 1889 wünscht ihm
sein dreizehn ‚Jahre älterer Bruder Josef „eine glückliche Reise nach der
alten Heimath“; er war schon Jahre vor CarI ausgewandert und hat, was bislang
auch wenig bekannt war, beim Aufbau des Filmtheatergeschäfts in Chicago ab 1906
mitgewirkt. Josef Laemmles 1909 geborene Tochter Carla ist übrigens die einzige
noch lebende engere Verwandte; sie hat dieses Jahr zum ersten Mal Laupheim
besucht. Der jüngere Bruder Louis, Konditorlehrling, wird auf Antrag 1887, drei
Jahre nach seinem Bruder Carl, aus der württembergischen Staatsangehörigkeit
entlassen, um ebenfalls nach Amerika zugehen.
Was
Laemmles bereits 1919 verstorbene Frau Recha, geborene Stern, betrifft, so ließ
sich hei der Gemeindeverwaltung von Stadt Steinau im Main Kinzig-Kreis das
Geburtsdatum ermitteln: 8. Juli 1875. In einem Heimatmuseum wird dort auch an
die ehemaligen Landjudengemeinde erinnert, der die Sterns entstammten. Nicht
feststellbar war, wann sie ihrem Onkel nach Oshkosh/Wisconsiri gefolgt ist, wo
sie Carl Laemmle in der Sternschen Textilfabrik kennen lernte. Mitglieder der
Familie Stern waren ebenfalls im Filmgeschäft tätig, und 1927 begleitete
Julius Stern, Präsident der Stern Film Corporation, Laemmle unter anderem auch
nach Laupheim. Ihr Metier waren offenbar vor allem Filmkomödien, weswegen die
„Stern Brothers Comedies“ zum Begriff wurden.
Zu
Laemmles erstem Laupheim-Aufenthalt nach dem Krieg hat ihm die Inhaberin des
Ochsen, Sofie Saenger, am 2. Oktober 1920 einen Spruch in seinem Album gewidmet.
Anläßlich dieses Besuchs ist auch das erste Beispiel von Laemmles finanzieller
Großzügigkeit gegenüber seiner Geburtsstadt dokumentiert, die einen wichtigen
Abschnitt im Rahmen dieses Aufsatzes ausmacht. Diese Dokumente sind natürlich
nicht neu, aber sie wurden bislang in keiner Publikation ausführlich und
zusammenhängend ausgewertet. Dies soll hier zumindest ansatzweise geschehen.
Laemmle
errichtete zusammen mit dem Stadtschultheiß Schick den Vertrag über die
„Carl Laemmlesche Armenstiftung“, demzufolge Laemmle 100000 Mark hei der
Gewerbebank an legte mit der Maßgabe, daß die Ortsarmenbehörde die Verwaltung
und Verwendung der Zinsen übernehmen sollte; mit seinem Tode sollte das Kapital
der Stadt als dauernde Armenstiftung zufallen, deren Erträge an die Ortsarmen
„ohne Ansehung der Konfession“ verteilt werden sollten. Um den Betrag in
seiner Größe einzuschätzen, kann man ihn zum einen auf den — allerdings
stark schwankenden — Dollarkurs beziehen, der für 1920 im Schnitt bei 15 Mark
lag. Eine andere, binnenwirtschaftliche und daher aussagefähigere Bezugsgröße
für die Kaufkraft wäre der durchschnittliche Monatslohn eines Arbeiters, der
nach Petzina knapp 100 Mark betrug. Diese Bezugsgröße der Lohnhöhe bleibt übrigens
relativ konstant. Dem Ortsfürsorge-Ausschuß gehörte seit 1931 auch der Mann
von Laemmles Nichte und Universal-Repräsentant für Europa, der im Haus in der
Radstraße wohnende Max Friedland an. Er legte dieses Amt im März 1933 nieder.
Die Armenstiftung wird im Januar 1941 formell aufgelöst; das Stifrungskapital fällt
nun, nach dem Tode Laemmles im September 1939, der Stadt „als dauernde
Armenstiftung“ zu, wobei unklar bleibt, ob weiterhin vertagsgemäß Ausschüttungen
erfolgen. Die Stiftungssumme hatte einen Goldwert von 10400 Mark, der zm Jahr
1932 um 10 Prozent aufgewertet wird, vermutlich — so der Tübinger
Zeithistoriker Schulz — im Zusammenhang mit den Ergebnissen der
Deflationspolitik seit 1931 und der von ihr bewirkten fühlbaren Senkung des
allgemeinen Preisniveaus. Der Tod Laemmles wurde von den Angehörigen
telegrafisch zuerst dem Vorsitzenden des Israelitischen Vorsteheramts
mitgeteilt, der darüber die Stadtverwaltung informierte.
Dieser
erste Besuch erhält eine besondere Bedeutung dadurch, daß Laemmle auf einer
Festsitzung des Gemeinderats der etwa ein Jahr zuvor verliehene Ehrenbürgerbrief
überreicht wird. Der Laupheimer Verkündiger vorn 31. Juli berichtete hierüber,
Laemmle „suchte in seiner Bescheiden heit alles mögliche zu verdecken, was
ihm zur Ehre gereichen muß, Am Schluß der Sitzung lud Herr Stadtschultheiß
Schick den Gast, die Mitglieder des Gemeinderats und den Ausschuß des Verschönerungsvereins,
jenes Vereins, dessen Bestrebungen sich der besonderen Wertschätzung des Herrn
Lämmle erfreuen dürfen, zu einer geselligen Unterhaltung in den Gasthof zum
Ochsen ... Beim Eintritt in den Saal sah man einladend gedeckte und mit Blumen
geschmückte Tische, denn der Gast hatte es sich nicht nehmen lassen, den
Gastgeber zu machen“. Im Oktober 1921 stellt sich der Gemeinderat noch hinter
seinen Beschluß vom Vorjahr, Laemmle das Ehrenbürgerrecht zu verleihen;
mittlerweile hat ein Abgeordneter der politischen Rechten im Landtag eine gegen
Laemmle gerichtete Anfrage eingebracht. Aber am 3. Dezember wird bekannt
gegeben, das Ministerium des Innern habe „zu erkennen gegeben“,
Voraussetzung sei, daß der Betreffende nicht Ausländer sei; daher habe das
Ehenamt den Beschluß „als ungesetzlich außer Wirkung gesetzt. Von dieser
Verfügung wird heute Kenntnis genommen und beschlossen, davon dem C. Lämmle
Kenntnis zu geben“. An diesen Sachverhalt muß hier noch einmal erinnert
werden, denn er bildet den Hintergrund für Laemmles Verhalten gegenüber
Laupheim im folgenden Jahrzehnt.
Laemmles,
des „heimattreuen Landsmanns“ (wie der Ortschultheiß formuliert) nächste
Aktion ist eine Geldsammlung zugunsten Laupheims, angeregt von Stadtrat Max
Bergmann. Sie erbringt bis März 1921 340989 Mark, bis Januar 1922 noch einmal
20794 Mark. Hinzu kommt in diesem Jahr eine persönliche Spende Laemmles in Höhe
von 50000 Mark, wovon die eine Hälfte der Mittelstandsnothilfe“ zugeteilt
wird und die andere auf Laemmles Wunsch an Neujahr den Armen ausgeteilt wurde.
Die Verteilung von Lebensmitteln aus Mitteln der Carl-Lämmle-Spende“ wurde
aber auch zu anderen Terminen vorgenommen, wie etwa aus einem
Gemeinderarsprotokoll von 1926 hervorgeht: im März beispielsweise wurden an
Erwerbslose für 450 Mark Schmalz und Zucker verteilt, und zwar an Verheiratete
je zwei Pfund, an Ledige die Hälfte; außerdem erhielten die Erwerbs losen zum
Weißen Sonntag“ je drei Mark.
Ein
Jahr später, im Krisenjahr 1923, erhält Laemmle einen Bettelbrief des
Stadtschultheißen, in dem dieser auf zwei Seiten notwendige Bauvorhaben und
Soziallasten der Gemeinde aufzählt, um folgendermaßen zu schließen: „Wir
haben im Gemeinderat eingehende Beratung darüber gepflogen, wie wir aus dieser
Notlage herauskommen könnten, da die Steuerschraube nicht mehr weiter angezogen
werden kann und kamen auf den Ge danken, die Gutherzigkeit unserer in Amerika
lebenden Mitbürger anzugehen, und gingen dabei von der Anschauung aus, dass es
dem valutastarken Amerika ein Reichres sein werde, hei dem jetzigen Valutastand
unserer Mark eine entsprechende Anzahl Dollars dafür aufzubringen, und uns die
Zahlung der für Laupheim unerschwinglichen Summe von nahezu 5 Millionen Mark zu
ermöglichen.“ Die Dollarparität hatte sich allein im Laufe des Januar von
7260 auf 50000 Mark verschlechtert, was man hei dieser Summe im Auge behalten muß,
aber man sollte sich angesichts des späteren Verhaltens Laupheims und der
Laupheimer gegenüber Laemmle und der Erinnerung an ihn diesen Brief doch noch
einmal ins Gedächtnis rufen, Eine Antwort Laemrnles ist im
Gemeinderatsprotokoll nicht vermerkt; er wird im Juli aber zu einer offiziellen
Festsitzung des Gemeinderats eingeladen, deren Thema die Verwendung seiner
Spenden sein soll. Sogar die „Anbringung eines Bildes“ im Sitzungssaal wird
besprochen. Laemmle spendet der Gemeindeverwaltung 1500 $‚ zu diesem Zeit
punkt die Summe von 525 Millionen Mark. Im Oktober 1923 stellt der Gemeinderat
bekümmert „das rapide Schwinden des Dollarkontos“ fest, und Max Bergmann
sieht den „einzigen Ausweg“ darin, „unter Klarlegung der Verhältnisse an
Herrn CarI Lärnrnle, New York, die Bitte um weitere Unterstützung der
Gemeinde“ zu richten, wofür sich der Gemeinderat einstimmig ausspricht.
1923,
dieses Jahr der Ruhrbesetzung und der Hyperinflation, verschlimmerte die soziale
Not auch in Laupheim. Laemmle schreibt im November an den Stadtschultheiß-. „
Seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, haben sich die Verhältnisse in
Deutschland sehr verändert. Ich kann mich, so sehr ich es auch versuche, gar
nicht hineindenken. Dass Sie aller meiner Sympathie versichert sein dürfen,
brauche ich Ihnen wohl nicht extra zu sagen. Vor einigen Wochen habe ich
angefangen für unsere armen Klassen in Laupheim Kleider zu sammeln die Sachen
sollen ohne Unterschied der Konfession verteilt werden.“ (Daß der Glöckner
von Notre Dame ein „riesiger Erfolg“ war, wie Laemmle noch erwähnt, dürfte
für den Adressaten vergleichsweise uninteressant gewesen sein.)
Skrentny
hat aus der Saturday Evening Post, in der Laemmle eine regelmäßige Kolumne veröffentlichte,
folgenden Aufruf übersetzt, den Laemmle in diesem Zusammenhang an seine
amerikanischen Landsleute richtete und der es verdient, hier noch einmal zitiert
zu werden (5. 40)-. „Ich appelliere an Sie, gute Samariter, und an meine
Freunde und Bekannten in der ganzen Welt, mir Geld und Kleidung, alt und neu für
das so sehr leidende deutsche Volk zu schicken. Keine andere Nation der Welt hat
schnellere Hilfe verdient! Die Tatsache. daß diese Menschen Feinde von Amerika
waren, daß sie von einem machtdurstigen närrischen Kaiser irregeführt und genötigt
wurden, ein Teil seiner Kriegsmaschinerie zu sein, ist aus meinem Gedächtnis ge
wichen; der Wunsch zu helfen war stärker.“
Im
Januar 1924 kommen dann in Laupheim mindestens 26 Kisten (laut Frachtpapieren)
mit insgesamt 1,4 Tonnen Kleidern an. Der Zentralverband der Kriegsgeschädigten
und Hinterbliebenen wendet sich an die Verteilungskommission der
Laemmle-Stiftung und bittet um Berücksichtigung bei der Verteilung „von den
in letzten Tagen eingetroffenen Kleidungsstücken, stammend von unserem
segensreichsten Wohltäter“. Der Brief schließt mit dem „wärmsten Dank für
alle diese Wohltaten, die von Seiten der Karl-Lämmle-Komission unsern
Kriegerwitwen, durch Abgabe von Mehl, Zucker, Kartoffel, Brikets und
Geldspende!) zuteilgeworden sind“.
Aus
dem Jahr 1923 sind auch noch zwei Dokumente erhalten, die Laemrnles Beziehung
zur jüdischen Krankenpflege- und Beerdigungsbruderschaft in Laupheim zeigen.
Sie gehören zu den um fangreichen geretteten Rabbinatsakten, die heute in
Jerusalem liegen und von Benigna Schönhagen im Auftrag der Stadtverwaltung erfaßt
wurden. Laemmle ist Ehrengast der Feier anläßlich des I7 Bestehens der
Laupheimer Chewra Kadischa, der er auch 500 Mark überweist. In der Rede wird
Laemmle für seine Zuweisungen an die israelitische Gemeinde gedankt, wodurch es
möglich gewesen sei, Schulhaus, Friedhof und die Synagoge wieder in Stand zu
setzen. Daher wird er zum Ehrenmitglied ernannt. Mit ihn) anwesend ist übrigens
Sigmund Moos, seine rechte Hand in Los Angeles, sowie ein Mitglied der Familie
Heller aus Ichenhausen. Sie besuchte Laemmle ebenfalls regelmäßig hei seinen
Deutsch da er Aaron Heller einen Teil seiner Bildung — über die
Lehrlingsausbildung hinaus — verdankte. Die familiären Beziehungen waren auch
dadurch verstärkt, daß Laemmles Bruder Louis sowie sein Neffe Ed- ward (ein
Filmregisseur) in die Heller-Familie geheiratet hatten.
In
das Jahr 1924 fällt die Finanzierung des „Lämmle-Bades“ im Neuen Schulhaus
in der Rabenstraße mit Duschen und Wannenbädern auch für die Öffentlichkeit.
Die Namensgebung soll seinen Namen für „künftige Zeiten in dankbarer
Erinnerung“ festhalten, so das Gemeinderatsprotokoll.
Im
März 1924 war Laemmles Schwester Karoline Bernheim verstorben. Laemmle bittet
den Gemeinderat um Genehmigung. ihre Wohnung im Geburtshaus für sich selbst
reservieren zu dürfen, was offenbar wegen der Wohnungsknappheit erforderlich
war. Dem wird zugestimmt, weil Laemmle die Erstellung von acht neuen Wohnungen
finanziert hat. Der „Wohnungsbau“ wird auch bei den Vorbereitungen zu
Laemmles Besuch im Juli dieses Jahres als eines seiner Verdienste aufgeführt
(neben der Kinderspeisung und der Unterstützung des Verschönerungsvereins).
Laemmle ist bereit, Laupheim einen Kredit von 12 000 $ zu gewähren; dieses
Entgegenkommen müsse besonders anerkannt werden, da „in der gegenwärtigen
Zeit die Beschaffung von Bargeld mit außerordentlichen Schwierigkeiten
verbunden oder gar zur Unmöglichkeit geworden ist“. Gleichzeitig spendet er
1500 $ (davon 500 für die Kinderspeisung), was übrigens etwa dem Zins für die
nächsten zwei Jahre entspricht. Interessant ist in diesem Protokoll zum einen
die Erwähnung „manchen Undanks“, den Laemmle in Laupheim habe erfahren müssen
(wo- mir antisemitische Aktionen gemeint sein dürften). Zum anderen ist die
Rede von „außerordentlich vielen Gesuchen, die vonseiten hiesiger Einwohner
an Herrn Lämmle gerichtet werden und oft ganz unerfüllbare Wünsche
enthalten“. Laemmle erklärte im Hinblick auf die vielen Darlehensgesuche, daß
er aus jetziger Sicht die früher gewährten Darlehen nicht mehr geben würde;
er wolle daher künftig „an einzelne Gemeindeangehörige ... nichts mehr
ausgeben“ Sicher gehören auch diese beiden Fakten zur Geschichte der
Beziehung von Laemmle und Laupheim.
Im
Oktober 1924 hatte sich ein neu gegründeter „Turnhallebauverein Laupheim e.
V.“ mit einem Spendenaufruf an die Öffentlichkeit gewandt, „denn jeder
einsichtige Deutsche geht mit uns darin einig, dass gerade in heutiger Zeit der
heran wachsenden Generation ausreichende Möglichkeit zum D und zu anderem Sport
geschaffen wer den muss“. So stiftet Laemmle Ende 1925 für den Turnhallenbau
in der Bühler Straße 20000 Goldmark; das Kapital von weiteren 10000 Goldmark
sollte ebenfalls für den Turnhallenneubau verwendet werden, die Zinsen
allerdings sollten achtzig Jahre lang einige Tage vor dem israelitischen
Neujahrsfest zu einem Viertel an jüdische, zu drei Vierteln an christliche Arme
verteilt werden. Laemmle hatte für einen Teil seiner Spende somit der Stadt
eine beste soziale Gegenleistung auferlegt. Bei der Verwendung des Geldes mußten
der Direktor der Gewerbebank, Heumann, und der Vorsitzende des
Turnhallenhauvereins, Adolf Scheffold, gehört werden. Besonderen Dank stattete
der Gemeinderat seinem Mitglied Max Bergmann ab, der zum Zustandekommen dieser
Stiftung Laemmles wesentlich beigetragen habe. Außerdem wurde beschlossen,,, in
der zu erbauenden Turnhalle in geeigneter, noch zu bestimmender Weise den
kommenden Geschlechtern den Opfersinn des Herrn Lämmle vor Augen zu führen und
ihm ein ewiges Zeichen des Dankes zu setzen“. Auch hier scheint die Ewigkeit
kurz gewesen zu sein.
Was
die Armenstiftung betrifft, so war sie übrigens nicht die einzige, die von
einem in Amerika zu Wohlstand gelang Laupheimer Juden errichtet wurde;
zeitgleich hatten Sam. S. Steiner und seine Frau aus New York zum Andenken an
ihren Sohn William eine mit 10000 Goldmark ausgestattete Stiftung errichtet; sie
wünschten aber keine Veröffentlichung darüber. Das Kapital selbst sollte eben
falls zur Errichtung der Turnhalle verwendet wer den. Die Zusammenstellung der
Einnahmen für den Turnhallenneubau mit einem Gesamtvolumen von knapp 90000 Mark
(was gleichzeitig natürlich auch einen wichtigen Geldwertindikator für diese
Zeit darstellt) zeigt, daß insgesamt etwa 45 Prozent von Laemmle stammten, denn
Laemmle spendete 1926 weitere 10000 Mark hierfür, außerdem noch für Wohltätigkeitszwecke.
Der Zeitungsbericht über die Einweihung am 23. Mai 1927 führt in der zitierten
Begrüßungsansprache auch Carl Laemmle auf, der somit vermutlich auch persönlich
anwesend war.
Im
Jahr 1926 ergab sich eine weitere Gelegenheit zum Spenden: die Hochwasserschäden
in Laupheim. Auch hier ist erwähnenswert, daß Laemmles Spendenanteil von 12
000 Mark allein etwa 40 Prozent des Gesamtaufkommens aus macht. Der Verschönerungsverein
erhielt offenbar den Zinsertrag aus einem Laemmle gehörenden Kapital von 4000
Mark. Ihn schätzte, wie oben er wähnt, Laemmle besonders, und
erfreulicherweise war es eben dieser Verein, der 1987 die erste öffentliche
Ehrung Laemmles in Laupheim durch die Plakette an seinem Geburtshaus vornahm,
sieht man einmal von der Benennung eines Sträßchens nach ihm ab.
Ein
Artikel in The Film daily von 1926, anscheinend auf einem Interview basierend,
erwähnt auch eine Spende Laemmles für die Restaurierung des Ulmer Münsters.
Laemmle wird hier zitiert mit den Worten‘. „Das Glück hat mir gelacht; das
wenigste, das ich tun kann, ist, es dort auszuteilen, wo es das meiste Gute
bewirkt. Sagen Sie mir, wie ich den Leuten in Laupheim helfen kann — meinen
Leuten, den Leuten meines Vaters.“
In
Laemmles Autographensammlung im Seaver Center (deren wertvollste Stücke übrigens
die Stadt Laupheim durch das entschlossene Handeln von Rolf Müller 1995 fernmündlich
auf zwei Auktionen in San Francisco erwerben konnte) befindet sich auch ein
Schreiben des Stadtschultheißen Konrad. Laemmle hatte die Angewohnheit, Leu
ten, die er in seiner Sammlung verewigen wollte, Pergamentblätter zuzuschicken,
und sn kam das Blatt Konrads in die Gesellschaft von Widmungs blättern von
Roosevelt, Gershwin, Henry Ford oder Lumkre. Sicher ist dies ein Ausdruck seiner
besonderen persönlichen Wertschätzung und daher an dieser Stelle erwähnenswert.
Konrad schreibt im Februar 19280. a.: „Sie haben nicht nur durch Ihre
fahelhaften geschäftlichen Erfolge den Namen unserer Heimat Laupheim über die
ganze Welt (? unleserlich) getragen, Sie sind auch der immer hilfsbereite Helfer
in unserer Not, der Vater unserer Armen und Kranken, dessen Güte keine Grenzen
kennt — ich glaube, das ist der schönste und wert vollste Ehrentitel, den Sie
im Leben je erwerben konnten. Gott schütze Sie auch fernerhin,“
Ein
Schreiben der Lichispiel-Betriebs-Gesellschaft m.b.H. Laupheim an das Bürgermeisteramt
aus dem Jahre 1935 dokumentiert relativ ausführlich die Geschichte dieser
Firma, an der Laemmle zu 90 Prozent und Max Friedland als Geschäftsführer zu
10 Prozent beteiligt waren, also — neben der Deutschen Universal — einer
weiteren Unternehmung Laemmles in Deutschland. Zunächst ist übrigens
festzuhalten, daß das Kino eines Besitzers gleichen Namens in Laupheim nichts
mit der Familie Carl Laemmles zu tun hatte. Die LBG wurde 1927/28 gegründet, um
eigene oder gepachtete Lichtspieltheater zu betreiben. Sie kaufte eines in
Schramberg und pachtete welche in Schwäbisch Gmünd, Sigmaringen und Rothenhurg
o. T. Wegen der schwierigen Geschäftssituation in den Zeiten der
Weltwirtschaftskrise und den Investitionskosten für die Umstellung auf Tonfilm
mußte Laemmle 100000$ in die Firma stecken. Nachdem Friedland Genetalmanager
der Universal für Europa und Vorstandsmitglied der Deutschen Universal geworden
war, zog sieh die LBG aus dem Geschäft zurück und verkaufte die eigenen
Theater, so daß sie 1935 nur noch als Pächter auftrat. 1937 befindet sieh die
Gesellschaft in Liquidation: die Verpflichtungen werden u. a. durch eine
Grundschuld auf das Friedhaus und Hypothekenforderungen Laemmle auch auf ein
Haus in Laupheim, abgedeckt. Laemmle, der Deutschland nicht mehr besucht,
unterzeichnet in Zürich.
Bislang
unbekannt war auch die zum Thema Laemmle und Deutschland gehörende Tatsache, daß
offenbar die Universität Würzburg — sicher nicht ganz uneigennützig —
Laemmle Anfang 1929 eine Ehrendoktorwürde anbieten wollte. Dies geht aus einem
Brief Laemmles an Kohner in Berlin hervor, wo Laemmle sehr barsch erklärt, er
gehöre nicht zu der Art von Leuten, die einen Titel kaufen — das Angebot der
Universität zielte wohl in diese Richtung. Dieses Selbstbewußtsein des
amerikanischen Selfmademan hatte er schon bei seiner ersten Begegnung mit Paul
Kohner zum Ausdruck gebracht, wie Frederick in seinem Buch berichtet: der
achtzehnjährige Paul äußerte, er wolle Betriebswirtschaft studieren, worauf
ihm Laemmle sagte: „Es gibt keinen besseren Ort als Amerika, uni was vorn
Geschäft zu lernen. Da hab ichs gelernt — nicht an einer Universität.“
Ende
der zwanziger Jahre, auf dem Höhepunkt seines Erfolges, steht auch die Frage
einer Biographie zur Debatte. Kohner fragt Ende 1928 an, ob Laemmle ein Autor
namens Biro genehm wäre, was dieser aber ablehnt, da die Geschichte erstens in
Amerika nun einem sehr bekannten Autor mit nationaler oder internationaler
Reputation zu schreiben wäre und er außerdem hierfür ein Jahr seiner Freizeit
opfern müßte. Bekanntlich erhält dann der damals sehr bekannte englische
Schriftsteller John Drinkwater (1882—1937) diesen Auf trag, und 1931 erscheint
The Life and Adventures of Carl Laemmle.
In
Laemmles Nachlaß findet sich eine Einladungskarte für den 30. August 1929: die
württembergische Staatsregierung und die Stadt Friedrichshafen „beehren sich,
den Herrn Präsidenten Laemmle zur Begrüßung des Lutfschiffes ‚Gral
Zeppelin‘ hei seiner Ankunft und zu einem aus diesem Anlaß statt
findenden Frühstück ergehenst einzuladen.“ Laemmles offenbares
Interesse an Luftfahrttechnik erhellt auch aus einem Film aus der
Laemmle-Collcction, wo der Flugpionier Baron Koenig von Warthausen auf dem
Universal-Gelände landet und empfangen wird — ein sicher für unsere Region
interessantes Ereignis.
Was
Laemmles Kontakte mit bedeutenden deutschen Zeitgenossen betrifft, so seien halt
Thomas Mann und Albert Einstein herausgegriffen. Von beiden konnte das
Stadtarchiv hei den erwähnten Auktionen Briefe an Laemmle erwerben, und zwar
hatten sich beide an ihn mit der Bitte um Unterstützung für Bekannte gewandt
— offensichtlich war seine Hilfsbereitschaft bekannt. Einstein schreibt am 1.
Juni 1931 einen Empfehlungsbrief für einen Dirigenten namens Walter Kaufmann;
Mann, mindestens seit 1934 mit Laemmle in Kontakt, wie aus seinen Tagebüchern
hervorgeht, bittet am 23. November 1937, sich für einen Regieassistenten Sergej
Eisensteins zu verwenden.
Frederick
Kohner berichtet in seinem Buch über Einsteins ersten Besuch in den
Universal-Studios, offenbar 1930. Auf die von Paul Kohner übermittelte
Einladung Laemmles äußerte Einstein, er denke nicht im Tod daran, ein Studio
zu betreten. Filme, versicherte er, seien nichts als eine schlechte
Angewohnheit, die das Jahrhundert verdorben habe — ein Ausbruch fragwürdigen
Geschmacks und Kitschs. Bei Einsteins Violinvortrag nach dem Dinner erwähnte
Kohner, wie wunder- voll es wäre, ein derartiges Ereignis durch die neue
Tonfilmtechnik zu verewigen; Laemmle würde es als Ehre für sein Studio
betrachten, einen kurzen Film über ein Violinkonzert von Einstein zu drehen.
Wegen seiner Bescheidenheit war dieser hier nun nicht beeindruckt, aber er erklärte
sich zu einem Besuch des Studios bereit. Seine einzige Bedingung: Laemmle mußte
sein Wort geben, daß keine Fotos gemacht würden. Laemmle stimmte zu „wir
werden kein einziges Photo von Einstein machen“. An den Haupttoren der
Studios, die mit der Flagge der Weimarer Republik dekoriert waren, stand die
Universal-Polizei in Habachtstellung, und Laemmle half seinen Gästen aus dem
Wagen. Nach dem Essen wurde Einstein zur ersten Vorführung des gerade
fertiggestellten Films „Im Westen nichts Neues“ gebeten. Einstein schien
fasziniert zu sein und beachtete auch, als die Beleuchtung wieder anging, die
Hollywoodprominenz um ihn her nicht. Ein blondes Mädchen küßte Einsteins
Hand; er fragte Laemmle, wer das gewesen sei, und dieser war höchst verlegen,
da er es nicht fassen konnte, daß jemand eines der meistveröffentlichten
Gesichter nicht kannte: „das war Mary Pickford, Herr Professor“ .„Wer ist
das?“, fragte Einstein. Zum Abschied bemerkte Einstein, er habe es besonders
geschätzt, daß sein Wunsch, nicht fotografiert zu werden, respektiert worden
sei. Laemmle antwortete ehrerbibig, und seine Augen zwinkerten hinter den dicken
Brillengläsern: „Ich habe versprochen, daß nicht ein einziges Photo von
Ihnen gemacht würde, und ich habe mein Wort gehalten“ — vom Filmen war ja
nicht die Rede gewesen. Zu der Laemmle-Collection der UCLA gehört auch ein
kurzer Film mit Einstein, wobei aber nicht ganz deutlich wird, wo er aufgenommen
wurde.
Von
Thomas Mann, der auf unserem Foto mit Laemmle 1938 zu sehen ist, findet sich die
erste Tagebucheintragung unter dem 21. August 1934, also mehr als ein Jahr nach
Manns Emigration. Er notiert:,,., ins Buch auch, zum Tee mit dem Film Magnaren
Lemmle und seinem Srabe von amerikanisch-deutschen Mitarbeitern. Photogr.
Aufnahmen im Garten, Interview über den amerikanischen Film ... Erörterung über
den Joseph-Film, in den man, wie L. meinte, eine Million Dollars vorstrecken müsse.“
Es ging um das Projekt einer Verfilmung seines Romans „Josef und seine Brüder“.
Laut Kommenrar interessierte sich Laemmle seit längerem für die Verfilmung von
Manns Romanen, insbesondere des Josef. Etwa zwei Jahre später, am 2. Juli 1936,
trifft er am gleichen Ort wieder „mit dem alten Lämmle, seinem Sohn, Herrn
Marx“ zu sammen — „Verfilmungsaussichten“, im Oktober des gleichen
Jahres macht ihm Laemmle junior offenbar ein Angebot. Die nächste Erwähnung
von „old Lemmle“ findet sich am 3. April 1938, als Mann bereits in Beverly
Hills weilt, die nächste am 10. April, als er bei Laemmle eingeladen ist:
„Schöne
Besitzung ... Neben dem Alten.“ Hier ist das abgebildete Foto entstanden. Auch
in Laemmles privatem Filmtheater genießt er eine Vorführung. Die letzte
Eintragung und damit die vermutlich letzte Begegnung findet wieder in der
Schweiz statt, und zwar am 24. Juli 1938 in Küßnacht.
Laemmle
hatte übrigens auch nach dem Verkauf der Universal und trotz seines Alters das
Interesse für das Filmgeschäft keineswegs verloren und sich auch nicht völlig
zurückgezogen: erstaunlicher weise noch am 24. Juli 1939, zwei Monate vor
seinem Tod, geht Koliner in einem Brief auf gemeinsame Projekte, eventuell auch
zusammen mit Laemmles Schwiegersohn Bergerman, ein.
Einen
entscheidenden Wendepunkt in Laemmles Verhältnis zu Deutschland stellen sicher
die Ereignisse im Zusammenhang mit der Verfilmung von Remarques „Im Westen
nichts Neues“ dar. Das Jahrbuch der Remarque-Gesellschaft hat zu den
politischen Ereignissen um die Berliner Uraufführung Anfang Dezember 1930 und
zum Verbot ausführliche Untersuchungen vorgelegt. Weniger bekannt sind
Pressestimmen und Materialien der Deutschen Universal, die hier veröffentlicht
wer den sollen. Die Auseinandersetzungen um diesen Film bedingen auch, daß nun,
also noch vor 1933, Laemmles Deutschlandbesuche enden. Einen Aus schnitt aus dem
„Völkischen Beobachter“ mit einem besonders üblen Angriff auf sich hat
Laemmle aufbewahrt — er findet sich in seinem Nachlaß.
Zunächst
eine Pressemitteilung der Deutschen Universal, die die Aussageabsicht des Films
zusammenfaßt — in einer für einen Werbetext sicher ungewöhnlich objektiven,
zurückhaltenden Weise:
Heute
wissen die Bewohner ganzer Kontinente, was Krieg in seiner furchtbaren
Vollendung bedeutet. Was Krieg an Begleiterscheinungen — bis tief in den
Frieden hinein — in seinem Gefolge hat, er schüttert die ganze Welt. Was
Krieg aber wirklich ist, muss der einzelne Mensch immer wieder selbst
durchkosten, wenn das hinter diesem Wort verborgene schreckliche Geschehen
Wirklichkeit wird. — Es ist ein Merkmal der Geschichte, dass in allen
Stilformen, bis zur Übersteigerung, immer wieder Versuche unternommen wurden,
Kriegserlebnisse zu schildern. Gar zu häufig nur sind aus diesen Erlebnisberichten
Schilderungen geworden, die, von mannigfachen Tendenzen getrübt, das Grauen
heroisieren. Gefärbtes Schrifttum, das Mittel zum Zweck war. — Aber da
schrieb Erich Maria Remarque ein Buch, hinter dessen Titel sich das verbirgt,
was jeden angeht: die erlebte, lebendige Wahrheit vom Krieg. Vier lakonische
Worte — IM WESTEN NICHTS NEUES — erfüllen die traurige Pflicht, allen klar
zu machen, dass im „Westen“ wirklich noch al les beim „Alten“ war. Dass
verschimmeltes Brot und schale Steckrüben genauso zum täglichen Le ben gehörten
wie Granaten und Bomben zum täglichen Sterben. — Und nach dieser einmaligen
Vorlage entstand ein Film, der dem Buch gerecht wird. All das, was in Worten
kaum, oder gar nicht zu fassen war, wurde von Regisseuer Lewis Milestone ins
Optische übertragen. In einer die damals gebräuchlichen Aufnahmemethoden
revolutionierenden Manier wurde ein Film fotografiert, der ganz von optischen
Eindrücken beherrscht wird, und in dessen Ablauf der Remarquesche Dialog
sparsam ein gewoben ist. Das ergibt Realismus, wie man ihn selten auf einer
Kinoleinwand zu sehen bekommt. Der Akademiepreis — Oscar — war die
Anerkennung, die dem avantgardistischen Regisseur für sein Werk zuteil wurde.
IM WESTEN NICHTS NEUES, einer der wenigen ‚Klassiker unter den Filmen, wird
seine Daseinsberechtigung nie verlieren. Und dieses ewig Aktuellsein ist nicht
nur in der Art der Verfilmung zu suchen, sondern auch in dein auf die Leinwand
genannten Stoff. Ist doch noch nie zuvor der Mensch in all seiner seelischen und
körperlichen Ohnmacht so eindrucksvoll und nüchtern gezeichnet worden. Wurde
doch nie zu vor Mannesangst, Furcht und Sehnsucht, bar jeder doktrinären Grösse
angesichts des Todes, so rück haltlos ausgesprochen wie in dem Film IM WE STEN
NICHTS NEUES. Und wurde doch noch nie zuvor so eindringlich manifestiert, dass 1
r i e g der Feind der Menschheit ist.“
Die
Filmzeitschritten bezogen in der Kontroverse unterschiedlich Stellung: der
Kinematograph aus dem Scherl-Vetiag polemisiert gegen das politische Kino, ähnlich
der Reichsverband Deutscher Lichtspieltheaterbesitzer: diese „lehnen es ab,
Filme zu zeigen, die ihre Theater zum Schauplatz politischer Kämpfe machen. Sie
bedauern es außerordentlich, daß der Deutsch-Amerikaner Carl Laemmle 12 Jahre
nach Friedensschluß noch einen Kriegsfilm hergestellt hat, der in Berlin nicht
in der gleichen Fassung wie in London und Paris laufen kann“. Im Filmkurier
erscheint eine positive Kritik. Die Berliner Volkszeitung vom 12. Dezember 1930
titelt die Meldung des Verbots hellsichtig mit der Schlagzeile „Goebbels
regiert“; „Diese Republik hat sich selbst aufgegeben.“ „Es war
vielleicht ihr Sterbetag ... Die Republik hat diese Bataille verloren nicht
durch Verrat, sondern durch die Erbärmlichkeit ... Die Regierung des dritten
Reiches rüstet sich zur offizeillen Machtergreifung.“
Das
Berliner Tagblatt veröffentlichte am 13. Dezember ein Gespräch mit dem
(sozialdemokratischen) preußischen Ministerpräsidenten Braun, der erklärte:
„Ich bin jetzt noch, 24 Stunden später, auf das tiefste erschüttert und
stehe noch völlig unter dem starken Eindruck dieses Filmwerks. Hier wird gewiß
nicht die Gesamtheit der Greuel und Schrecken des Krieges gezeigt. Denn das
darzustellen, in all seinen Auswirkungen und Begleiterscheinungen, würde auch
dem größten Film- meister nicht gelingen. Aber wir sehen doch einen
Teilausschnitt, der in seiner Wahrheit und ungeschminkten Darstellung jeden
Zuschauer packt
Nach
meiner festen Überzeugung ... habe ich nichts gesehen, was man als Deutscher,
der sein Vaterland liebt und sein Ansehen in der Welt verteidigen und mehren möchte,
ablehnen muss ... Das Ansehen Deutschlands in der Welt scheint mir beeinträchtigt
dadurch, daß dieser Film, der eine einzige, grosse, schwere und berechtigte
Anklage gegen den Wahnwitz des modernen Krieges darstellt, und lediglich
geeignet ist, einer kriegshetzerischen Agitation Abbruch zu tun, in Deutschland
nicht mehr gezeigt werden darf. Ein Volk, das die Wahrheit nicht mehr verträgt,
gibt sich selbst auf.“
Wir
schließen diese kleine Auswahl aus den im Frankfurter Institut für Filmkunde
archivierten Materialien zu „Im Westen nichts Neues“ mit einem Ausschnitt
aus den Nachrichtenblättern der Deutschen Universal vom 12. Dezember 1930, in
dem Laemmle zu Wort kommt. Er habe zum Aus druck bringen wollen, „dass er in
dieser schwierigen Situation, die zwar nicht durch den Film aber doch aus Anlaß
seiner Aufführung entstanden sei, unbedingt alles tun wolle, um, was an ihm
liege, in Deutschland eine Verschärfung dieser Schwierigkeiten aus dem Wege zu
räumen. Der Kampf um die Freigabe des Films sei für ihn und die amerikanische
Firma jetzt nur ein Kampf um die Weltanschauung und um das Recht. Und gerade
deshalb werde ohne Rücksicht um den Ausgang des Streites die materielle
Ausnutzungties Films in Deutsch land unterbleiben. — Im Zusammenhang hiermit
brachte der Vertreter der Universal ein Kabelgramm von Laemmle zur Verlesung ‚
in dem er seinen Werdegang, seine Treue zum alten Vaterland und die Beweggründe
für die Herstellung des Films zum Ausdruck bringt. Laemmle hat Wert darauf
gelegt, dass angesichts der Verunglimpfung, die ihm persönlich hei dieser
Gelegenheit widerfahren sei, der Filmoberprüfstelle seine Äußerungen zu
dieser Sache vorgetragen werden. — In diesem Kabel gibt Laemmle eine
Schilderung seiner Beziehungen zu Deutschland und er legt dar, er habe sich
lediglich von dem Gedanken leiten lassen, dass das Remarquesche Buch in Amerika
einen ungeheuren Umschwung der Stimmung des amerikanischen Volkes zu Gunsten
Deutschlands herbeigeführt hatte. In dem guten Glauben, hier in Deutschland
weiter helfen zu wollen, und die Wirkung des Buches um ein Vielfaches zu
vertiefen, entstand die Absicht, das Buch in Filmform zu übertragen. Dass der
Film auf keinen Fall anti- deutsch ist, geht auch daraus hervor, daß die
Akademie der Kunst und Wissenschaft in Amerika dem Film die Medaille als dem
besten Film des Jahres zuerkannt hat. Die Akademic dokumentiert damit nicht
allein die künstlerische Qualität des Films, sondern sie beweist auch, dass er
keinerlei Elemente enthält, die g sind, irgendwelche Personen oder gar ganze Völker,
bzw. ihr Ansehen zu gefährden“.
Der
oben bereits erwähnte Kinematograph veröffentlicht 1931 zu Laemmles fünfundzwanzigstem
Geschäftsjubiläum einen insgesamt wenig freundlichen Gratulationsartikel, der
sicherlich bezeichnend ist für die Haltung großer Teile der Meinungswacher im
Filmgeschäft, die sich als Vertreter der „deutschen Einstellung“
bezeichnen, und der zeigt, wie die Auseinandersetzung um den Remarque film
weiterwirkte. Nach der ironischen Einleitung Erlassen Sie es uns, die schönen
Geschichten hier zu erzählen, von dem kleinen Zehn-Pfennig-Kino, mit dem Sie
Ihre Filmkarriere anfingen‘ und dein Lob, das deutsche Geschäft sei ihm
„allerhand Investitiunsdollar wert“ gewesen, wird nationalistisch
polemisiert: „Aber lieber Carl Laemmle, mit Grammophon aus Laupheim (Anm.: möglicher
weise die Aufnahmen synagogaler Musik? allein läßt sich heute in der deutschen
Tonfilm-Öffentlichkeit die Liebe zum Deutschtum nicht immer restlos beweisen.
Es wird immer wieder hier bei uns behauptet, daß bei denen neben der Liebe auch
noch das Wort ‚business steht. Das soll, bitte, kein Vorwurf sein, sondern
lediglich eine Feststellung, damit Sie die deutsche Einstellung Ihnen gegenüber
besser erkennen. Damit Sie unter anderem auch verstehen, warum sich große,
wichtige und ausschlaggebende Teile der deutschen Bevölkerung fast aller
Richtungen und aller Stände so scharf und nachdrücklich gegen den Film ‚Im
Westen nichts Neues‘ wehrten.“ Laemmle habe sich „persönlich und den
Prestige der Universal-Film durch diesen überflüssigen Film bei all denen, die
Sie nicht genau kennen und die nicht die Person von der Sache zu unterscheiden
wissen“ — immerhin noch eine wohlwollende Unterscheidung — „enorm
geschadet“. Dennoch wird auch der Bewunderung für die „Energie, den Wagemut
und den Fleiß, mit dem Sie Ihr glückhaft Lebensschiff, Ihr Showbnat‘
gesteuert haben“, Ausdruck gegeben, und die Gratulation schließt dann
einigermaßen versöhnlich: „Wir hofflen, Sie noch recht lange an der Spitze
Ihres wundervollen Unternehmens zu sehen.“
Die
„Deutsche Universal Film-Aktiengesellschaft“ wurde (nach dem Jahrbuch des
deutschen Films) am 21. oktober 1929 mit einem Aktienkapital von 2 Mio. RM gegründet.
In ihr gingen einige Vorgängerfirmen auf. Eines der beiden Vorstandsmitglieder
war Max Friedland. Die Bilanz hatte ein
Volumen
von ca. 3,5 Mio. RM; es sank 1931 auf knapp unter 3 Mio. 1930 und 1931 war die
Universät mit neun amerikanischen Filmen der größte Verleiher ausländischer
Filme in Deutschland. Ein wichtiger Grund für die Gründung von
Tochterunternehmen in Deutschland mit eigener Filmproduktion war, nationale
Beschränkungen für den Import abzumildern. Das amerikanische Mutterunternehmen
hatte im gleichen Zeitraum ein Bilanzvolumen von ca. 18 Mio. $‚ das aber —
und hier zeigte die Rezession ebenfalls deutliche Sparen — 1931 auf 15 Mio.
zurückging. Im Sommer 1932 wird Max Friedland Generalmanager der Deutschen
Universal und zugleich Bevollmächtigter Laemmles für den europäischen Markt;
mit einem neuen Programm sollen die Aktivitäten in Deutsch land verstärkt
werden; aber ein Jahr später hat Friedland Deutschland bereits verlassen.
Von
den Produktionen der Deutschen Universal aus dem Jahr 1932/33 sei hier „SOS
Eisberg“ kurz erwähnt. Die Regie hatte ein Pionier des Berg- und
Naturspielfilms, Arnold Fanck. Zwei deutsche Wissenschaftler durften die
Gelegenheit zu Forschungen benutzen und die Filmexpedition begleiten. In ihm
wirkten bemerkenswerterweise Leni Riefenstahl als Hauptdarstellerin—die über
die Dreharbeiten in einem Bildband von 1934 berichtete —. und der Flieger
Ernst Udet mit. Eine dreißigköpfige Grönlandexpedition, erstmals nicht für
wissenschaftliche Zwecke, erhielt hierfür die Dreherlaubnis. In den erhaltenen
Briefen an seinen genau rapportierenden Produktionsleiter Kohner in Berlin nimmt
Laemmle regen Anteil an der Herstellung: er beklagt sich über Kosten der
Expedition für Wein und Zigarren und daß die Aufnahme eines berstenden
Eisbergs nicht gelungen war, und er schreibt, er denke Tag und Nacht an die
Expedition und die Gefahren. Gegen Ende der Aufnahmen be klagt er, daß man für
die bislang ausgegebenen 200 000 $ nur Landschaftsaufnahmen ohne wirkliche Story
habe und daß alle im Studio in Los Angeles ihn vor diesem Projekt gewarnt hätten.
Die end gültigen Kosten lagen dann bei 300 000 $.
1932
erscheint auch eine interessante Meldung einer englischen Zeitung: Laemmle
interessiere sich für die Möglichkeiten des Fernsehens, und er wolle im Rahmen
eines geplanten Europaaufenthalts eine von einem Deutschen entwickelte
Erfindung, Filme drahtlos für den Hausgebrauch zu übertragen, besichtigen. Der
Artikel fragt, ob nun die Zeit komme, da man sich einfach in eine Kinovorführung
einblenden könne wie in ein drahtloses Funkprogramm; aber niemand wisse genau,
wie das Fernsehen in die Kinowelt eindringe, doch scheine die allgemeine
Stimmung zu sein, daß dies kommen werde — in der Tat eine zutreffende
Prognose. In Deutschland hatten bekanntlich seit Ende der zwanziger Jahre Loewe
und von Ardenne die technischen Voraussetzungen des Fernsehens entwickelt. Es
zeugt von Laemmles geschäftlicher Weitsicht, die Chancen dieses neuen Mediums
erkannt zu haben, und es wäre natürlich interessant, in diesbezügliche
Dokumente der Universal Ein sicht nehmen zu können.
In
dieses Jahr 1932 fällt noch eine bemerkenswerte Aktivität Laemmles, die
bislang nicht gewürdigt worden ist. Fr gründete zusammen mit dem Vertreter des
deutschen Olympiade-Ausschusses in Amerika, dem deutschen Konsul in Los Angeles,
ein Komitee, denn im Sornnier sollten in Los Angeles die Olympischen Spiele
stattfinden. Der zufällig erhaltene Brief an seinen Freund und Anwalt Loeb
(Stanley Bergerman hat ihn Laupheim geschenkt) führt dies näher aus. Er macht
Loeb darauf aufmerksam, daß die deutsche Regierung die Jünsten für die
Teilnahme der deutschen Sportler nicht tragen könne und deren Teilnahme nur
durch Unterstützung von Amerika aus möglich sei; daher falle ein Großteil der
Last auf die in Deutschland Geborenen der diejenigen mit Sympathien für
Deutschland. Als Gesamtkosten für Reise und Auf enthalt veranschlagt er 40000
$. Laemmle selbst beteiligt sich gleich mit 2500 $. In einem zweiten erhaltenen
Brief an Loch, der 50 $ stiftet, beklagt sich Laemmle, daß es angesichts der
abnormalen Umstände schwer gewesen sei, die erwarteten großzügigen Reaktionen
zu bekommen; aber viele seiner guten Freunde hätten ihren Möglichkeiten
entsprechend dazu beigetragen. Sogar sein Briefpapier schmückt Laemmle mit dem
Emblem der Olympiade. Bemerkenswert für den Dank Deutschlands ist, daß in dem
offiziellen Olympia-Buch, das später in Deutschland erscheint, zwar die
amerikanische Unterstützung insgesamt erwähnt, Laemmle aber als der wichtige
Fromotor verschwiegen wird.
Das
Jahr 1933 bringt dann den entscheidenden Einschnitt. Sichtbares Zeichen in
Laupheim ist die auf einstimmigem Gemeinderatsbeschluß vom 13. Juni erfolgte
Umbenennung der Lämmle-Straße in „Schlageter-Straße“; der Vorsitzende —
eben der selbe Ortsschultheiß Konrad, der uns in Lämmles Handschriftensammlung
begegnet — „regt“ diese Umbenennung „an“, „da die politische
Entwicklung der letzten Monate dies notwendig erscheinen lasse“. Das alte Straßenschild
hat sich noch erhalten und wird künftig im Museum zu sehen sein. Wie tief
Laemmle dieser Akt der Undankbarkeit trifft, zeigt seine (Herr Gabler zitierte)
Äußerung gegenüber seinem Mitarbeiter Ross: „Ich habe hier al les für
meine kleine Stadt getan, und jetzt heißt es nicht mehr ‚Lämmnle-Straße‘.“
Daß dieses quasi symbolische Faktum sogar noch auf Laemmle junior gewirkt hat,
zeigt ein Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1942, also neun Jahre später, den
Paul Kohner aufbewahrt hat: Junior, mittlerweile in militärischer Ausbildung,
gesteht dem Journalisten, sein Ehrgeiz sei es, bei der Truppe zu sein, wenn sie
in Laupheim einmarschiere, und er bäte dann um das einzige Vorrecht, nämlich
persönlich das Schild der Hitlerstraße herunterreißen zu dürfen (die er irrtümlich
für die ehemalige Lämmle-Straße hielt); sein Vater sei über ein Jahrzehtlang
der Hauptwohltäter der Stadt gewesen.
Laemmle
gab — so Frederick Kohner — unmittelbar nach dem Judenboykott vom 1. April
1933 die Weisung, die Filmproduktion in Berlin einzustellen. Nachfolger der
Universal wurde eine Firma namens Rota-Film, wobei die Modalitäten des Übergangs
allerdings noch der Klärung bedürfen. 1934 wurden die Verleihe der
Hollywood-Studios in Deutschland geschlossen.
Daß
die Filmbranche ein besonders geeignetes Objekt für den Kampf gegen die Juden
gleich nach der Machtergreifung war, folgt zum einen aus der zutreffenden Einschätzung
der Propagandamöglichkeiten des Kinos, zum andern aus dem Gewicht der Juden in
dieser Branche. Ein Zeitungsartikel etwa, den Wulf zitiert, versuchte diese
angebliche „Mißwirtschaft“ mit folgenden Zahlen zu belegen:
„70
Prozent der Produktionsfirmen standen unter rassisch fremder Leitung, gegen 85
Prozent aller Filme wurden von nichtdeutschen Firmen hergestellt, 80 Prozent der
Verleihfirmen waren in nicht arischem Besitz, an 90 Prozent aller Spielfilme
wurden von diesen ortsfremden Firmen auf den Markt gebracht.“
Bereits
vor dem Erlaß des Reichskulturkammer gesetzes im September 1933 richteten die
Nationalsozialisten im Juli 1933 eine vorläufige Filmkammer ein; sie wurde der
Kulturkammer ab Februar 1934 eingefügt mit einem „Reichsfilmdramaturgen“ an
der Spitze. Auch wenn sich Hitler 1933 gleich viermal an dem von der deutschen
Universal produzierten Andreas-Hofer-Film „Der Rebell“ mit Trenker in der
Hauptrolle ergötzt hatte, so wird gleichzeitig im Filmkurier dekretiert: „Fs
wird als unpatriotisch, ja sogar als Landesverrat angesehen, wenn jetzt inmitten
der großen Aufbauarbeit am deutschen Film deutsche Künstler sich mit
Filmgesellschaften und Filmschaffenden im Auslande verbinden, die entweder als
Nichtarier aus Deutsch land auswanderten oder gegen das neue Deutsch land
feindselig eingestellt sind Das betraf natürlich alle großen
Hollywood-Gesellschaften und ihre Tochterfirmen. Auch für vor 1936 entstandene
Filme mit „nichtarischen Schauspielern“, insbesondere wenn sie emigriert
waren, besteht seit Juni 1935 ein Verleih — und Ausfuhrverbot. Das
„Lichtspielgesetz“ vom Februar 1934 bereits siebt eine „Vorprüfung“
aller Drehprojekte vor. Alle vor 1933 entstandene Filme müssen ab 1935 eine
„Nachzensur“ durchlaufen. Auch Filme mit „nichtarischen Darstellern“
durften generell nicht importiert wer den, und „nichtarische Staatsangehörige“
konnten sich seit 1935 nicht mehr in der deutschen Filmindustrie betätigen; im
August dieses Jahres wurden sie zwangsweise im „Reichsverband jüdischer
Kulturbünde“ zusammengefaßt. Natürlich hat man auch schon zu Zeiten der
Weimarer Republik mit antisemitischer Propaganda gegen die jüdische
Filmindustrie Hollywoods und gegen Laemmle als Person polemisiert. Die
Korrespondenz mit Kohner zeigt, daß Laemmle sehr mißtrauisch war, was Trenkers
Verhältnis gegenüber den Nationalsozialisten betraf — oh zu Recht, sei
dahingestellt.
Für
Laemmles großes Interesse an den Freignissen in Deutschland spricht auch, daß
er noch während seiner bis 1936 währenden Präsidentschaft der Universal einen
in Deutschland geborenen Public-Relation-Spezialisten, der bereits für den späteren
General Marshall eine Untersuchung über
die Nationalsozialisten organisiert hatte, im Studio einstellte: Joseph Ross.
Laemmles im vergangenen Jahr verstorbener Neffe Walther erinnerte sich, daß in
den Briefen des Onkels seit 1933 immer wieder die Aufforderung stand, das
Antiquitätengeschäft zu verkaufen und Deutschland zu verlassen, was die
Familie erst im September 1938 tat. Nicht nur Laemmles enge Kontakte mit
prominenten Emigranten machen es sehr wahrscheinlich, daß er über die Vorgänge
in Deutschland gut informiert war. Auch die erhaltene Korrespondenz zur
Affidavitgewährung, die übrigens durch den Kühner-Nachlaß noch ergänzt
wird, wo eine Reihe von Briefen erhalten ist, iu denen Laemmle Emigranten beim
Aufbau einer neuen beruflichen Existenz. zu unterstützen versucht, belegt dies
vor allem für die Jahre ab 1936. Dieses bereits bearbeitete Kapitel seiner
Biographie ist dann gleichzeitig das letzte seiner Beziehung zu Deutschland. Aus
diesem Jahr selbst hat sich zufällig im Nachlaß von Loeb ein Brief Laemmles
erhalten, der zeigt, daß er bewußt auch auf andere Informationsquellen zur
Situation in Deutschland zurückgriff: er macht hier Loch darauf aufmerksam, daß
er schon lange Abonnent der Jewis Telegraphic Agency sei, die
Laemmles
lebenslange Verbundenheit mit der deutschen Kultur noch nach den für ihn auch
persönlich bitteren Ereignissen ab 1933 enthüllt indirekt in einer beinahe rührenden
Weise ein Foto, das die letzte Wirtin des „Ochsen“ in Laupheim, die anfangs
erwähnte Sophie Noerdlinger, Ernst Schäll geschenkt hat: Laemmle 1938 an dem
letzten Weihnachten, das er erlebte, mit seinen Enkelkindern vor dem geschmückten
Weihnachtshaum. Das folgende von Heinz Berggruen zitierte Wort eines
befreundeten Emigranten gilt sicher auch für dieje nigen deutschen Juden, denen
es wie Laetrtmle nach 1 933 nicht mehr möglich war, in das Land und an der Ort
ihrer Geburt zurückzukehren, der ihnen so viel bedeutete: Man kann einen
Menschen aus der Heimat vertreiben, aber nicht die Heimat aus dem Menschen.“
Zu den Nachwirkungen der, gründlichen Vertreibung aus der Hei gehörte auch, daß
sich in Laupheim 1967 — übrigens zum Erstaunen einer überregionalen
Tageszeitung — niemand an Laemmles 100. Geburtstag erinnerte.
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