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Friedrich Adler – Teetasse in Orange

Die Faszination eines neuen Werkstoffs

Daniela Barth

                                             

„Die Stoffe und ihre Eigenschaften geben der Phantasie des Ingenieurs die Nahrung, sie sind die Elemente, in welchen er geahnte Möglichkeiten seiner Phantasie verwirklicht“.

Friedrich Adler spannt in seinem Beitrag „Von der Phantasie“ in den Monatsblättern des jüdischen Kulturbundes Hamburg in der Dezemberausgabe von 1937 einen gedanklichen Bogen von der expressiven Phantasie eines Künstlers über die spekulative Phantasie der Forscher, Entdecker und Erfinder bis hin zur kalkulierten Phantasie eines Ingenieurs.

Aus der Zusammenschau der Ausführungen Adlers mit dem Anspruch von Walter Gropius 1926, dem Begründer des Bauhauses in Weimar, „die Herstellung von Serienprodukten durch die entschlossene Berücksichtigung aller modernen Herstellungsmethoden, Konstruktionen und Materialien“ so zu forcieren, dass „die Gebrauchsgüter für den modernen Menschen … formschön, billig und funktional sein“ sollen, erklärt sich das Interesse Friedrich Adlers in den zwanziger Jahren, sich immer weiter weg von der künstlerischen Designtätigkeit und hin zu neuen Technologien bzw. der experimentellen Auseinandersetzung mit neuen Werkstoffen zu entwickeln.1

Friedrich Adler war fasziniert von den schier unerschöpflichen Gestaltungs- und Einsatzmöglichkeiten, die die neuen Werkstoffe mit sich brachten. Gleichzeitig stellte er sich der Herausforderung, seine Entwürfe dem Diktat der Maschine zu unterwerfen und dabei seinem Anspruch nach künstlerischer Vollendung gerecht zu werden.

Anfang der 1930er Jahre bot sich Friedrich Adler durch einen Auftrag der Bebrit-Preßstoffwerke in Bebra die Möglichkeit, Entwürfe für Haushaltsgegenstände anzufertigen. Im Matrizenbuch der Firma lassen sich in den Jahren von 1934-1939 dreiundfünfzig Produktaufnahmen von Entwürfen  Friedrich Adlers nachweisen.² Da im Matrizenbuch nur die tatsächlich produzierten Gegenstände aufgelistet wurden, kann davon ausgegangen werden, dass Friedrich Adler eine sehr viel umfangreichere Kollektion für die Firma entworfen hat.

Unter der Matrizennummer 1723 findet sich die Teetasse und unter der Nummer 1724 die dazugehörige Untertasse, jeweils mit Datum vom 14.05.1934.

Alle Haushaltsgegenstände waren aus dem neuen Harnstoffharz Pollopas gefertigt. Er gehört zur Familie der duroplastischen Kunststoffe und wird aus Kabamid und Formaldehyd hergestellt. Die Erfinder Dr. Pollak und Dr. Ripper klassifizieren den Stoff als organisches Kolloid, das „wenn einmal ausgeschieden, in Wasser nicht mehr löslich ist“. Besonders attraktiv war der neue Kunststoff, weil er in seiner Grundkonsistenz farblos und durchsichtig ist und so durch die Beimischung von Farben dem Designer ungeahnte Möglichkeiten der Gestaltung bietet. Außerdem ist Pollopas leicht zu bearbeiten, widerstandsfähiger als Glas und durchlässig für ultraviolette Strahlen, wodurch ein besonderer Glanzeffekt entsteht.³

Ein erster flüchtiger Blick auf die orangefarbene Tasse und der Betrachter wird sofort durch die Ausstrahlung und Leuchtkraft in ihren Bann gezogen. Für diese Zeit eine äußerst gewagte Farbe  im Hinblick auf das Kunstverständnis, das von den Nationalsozialisten als deutsch propagiert wurde und sich eher durch zurückhaltende Farben und naive Dekore auszeichnete.

Die Ausformung der Tasse folgt einer klaren geometrischen Linie. So ist die Grundform kreisrund und nach einem kleinen, gerade nach oben führenden Absatz im Verhältnis 1:8, öffnet sich die Schale kegelstumpfförmig. Der Rand schließt mit einem Ring ab, der sich nach außen wölbt.

Bemerkenswert ist der Haltegriff der Teetasse. Gegen jede Konvention besteht er aus einer rechteckigen, geschlossenen Platte, die sich an den Kegelstumpf anschmiegt und ihn zur rechten Seite hin im 90° Winkel abschließt. Einzig zugestandenes Dekor des Griffs sind drei geometrisch angeordnete Wölbungen als senkrecht nach unten führende Linien, die in ihrer Ausformung den Rand widerspiegeln. Der Griff wird von oben und rechts durch einen rechteckigen, l-förmigen Bogen umschlossen, der über die drei schmalen integrierten Wölbungen auf der Griffplatte hinausführt. Ohne Absatz verschmilzt der Bogen dann mit dem Tassenrand.

Die Untertasse weist ebenfalls die geometrische Form des Kreises auf. Sie wölbt sich in einem sehr flachen Kegelstumpf nach oben. In der Mitte befindet sich eine kreisrunde Vertiefung, in die der Tassenboden genau eingepasst ist. Der Rand der Untertasse wird ebenfalls, wie der Rand der Teetasse, durch einen Ring abgeschlossen. Dieser Ring stülpt sich, im Gegensatz zum Ring der Tasse, aber nicht nach außen, sondern fließt, einem Wasserfall gleich, wellenförmig aus. Der Haltegriff der Tasse schließt genau mit dem Rand der Untertasse ab. Dadurch entsteht eine in sich harmonisierende Einheit.  Je nach Produktionslinie, konnten die Farben von Tasse und Untertasse variieren bzw. waren variabel miteinander kombinierbar.

Analysiert man die von Friedrich Adler eingesetzten Designelemente, so sind mehrere Stilrichtungen erkennbar.

Der Entwurf der Teetasse lässt sich in die Zeit des Art Déco einordnen. Die von Friedrich Adler verwendeten Details allerdings bewegen sich zwischen der floralen Ornamentik des Jugendstils und den linearen, kubistischen Formen des Bauhauses.

Zunächst lassen sich die streng geometrischen Formen des Kreises, Kegelstumpfes und Rechtecks erkennen. Geometrie und Abstraktion sind ein Gestaltungselement des Jugendstils, die sich aber auch im Art Déco und Bauhaus wiederfinden. Der Grabstein beispielsweise, den Friedrich Adler für seine Mutter Frieda Adler entworfen hat, weist genau diese geometrischen Grundmuster in Form von abgerundeten Kanten auf. Die nach oben strebende Verjüngung des Steins dreht Adler bei seinem Tassenentwurf um und lässt die Schale nach oben hin breiter werden. Interessant ist beim Grabstein, dass seine pyramidenförmigen Absetzungen sich als Pendant im Haltegriff der Tasse widerspiegeln.

Würde man die Tasse in der Mitte vom Griff ausgehend bis zur gegenüber liegenden Seite senkrecht nach unten zerteilen, so entstünden zwei spiegelgleiche Halbschalen. Auch dadurch wird das Design dem Anspruch an das Grundmuster der Geometrie gerecht.

Betrachtet man die exakt im gleichen Abstand angebrachten Wölbungen auf dem Haltegriff, so lassen sich daran die dem Jugendstil zugrunde liegenden organischen Naturformen erkennen. Allerdings wird hier nicht die formale Oberfläche abgebildet, sondern die ihr zugrunde liegenden Strukturen und Gerippe. Die Sichtbarkeit wird bis in ihre Grundstrukturen hinein skelettiert. Es entsteht eine Dreidimensionalität von ungeahnter Kraft. Der Einfluss des Münchner „Lehr- und Versuchs-Atelier für angewandte und freie Kunst“ unter der Leitung von Wilhelm von Debschitz und Hermann Obrist zeigt sich an dieser Stelle sehr deutlich. Friedrich Adler war 1902 im Atelier zunächst als Student eingeschrieben, um dann von 1903-1907 selbst dort zu lehren. Durch die exakten, symmetrischen Abmessungen entstehen Objekte voller Gesetzmäßigkeiten. Auch dieses Gestaltungselement hatte Friedrich Adler schon einmal eingesetzt. Am Sockel des Grabsteins von Hugo Hofheimer, der in seiner Gesamtform sehr kubistische Züge aufweist, lassen sich diese Wölbungen wiederfinden.

Sowohl der Abschlussring der Tasse, als auch der ausfließende Ring der Untertasse finden ihre Entsprechung in den weichen, fließenden Linien, Schwüngen und Bögen des japanischen Farbholzschnittes, der in seiner Dynamik dem Jugendstil als schöpferische Inspiration diente.

Die Teetasse samt Untertasse bilden ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk. Dadurch entsteht ein fließender Übergang von Formvollendung in Alltagsgegenständen hin zum Leben des Betrachters.4 Der Kunst wird die Möglichkeit eingeräumt, in die Existenz eines jeden Einzelnen einzutreten und diese durch Schönheit und Eleganz zu bereichern.

Friedrich Adler kann also zu Recht als Pionier im Bereich des Kunststoffdesigns angesehen werden. Aufgrund der Zäsur durch den Zweiten Weltkrieg und der jüdischen Herkunft Adlers durfte er jedoch während der Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr als Designer namentlich  genannt werden.5

„Ich wußte von meinem Vater, daß er sich seine Backformen und „Springerlesmodel“, aus denen sich so herrliches Gebäck ausformen ließ, wenn man den Teig hineinquetschte, selbst negativ geschnitten hatte“ beschreibt Friedrich Adler in den Monatsblättern des jüdischen Kulturbundes Hamburg vom Januar 1937 seine Kindheitserfahrung mit den mannigfachen Möglichkeiten von Negativformen. Viele Jahrzehnte später sollte er genau diese schöpferische Potenzialität des Industriedesigns wieder neu für sich entdecken. 

 

 

1 Vgl. Leonhardt, Brigitte: Objekte aus Kunststoff von Friedrich Adler. . In: Leonhardt, Brigitte; Zühlsdorff, Dieter (Hrsg.): Spurensuche: Friedrich Adler zwischen Jugendstil und Art Déco. Stuttgart. Arnoldsche Verlagsanstalt GmbH, 1994, S. 384-385.

2 Vgl. Leonhardt, Brigitte: Objekte aus Kunststoff von Friedrich Adler. . In: Leonhardt, Brigitte; Zühlsdorff, Dieter (Hrsg.): Spurensuche: Friedrich Adler zwischen Jugendstil und Art Déco. Stuttgart. Arnoldsche Verlagsanstalt GmbH, 1994, S. 391.

3 http://dingler.cultur.hu-berlin.de

4 Bayer, Dr. Udo: Friedrich Adler-Kontexte des Werks, www.ggg-laupheim.de

5 Lattermann, Günter: Bauhaus ohne Kunststoffe-Kunststoffe ohne Bauhaus?, form+zweck 20(2003), S. 123

 

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