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Friedrich Adlereine Formbetrachtung

„Von der Natur her – und zur Kunst hin“

Daniela Barth

„Darin liegt Anfang und Ende aller Formung und Anfang und Ende der Kunst überhaupt. Damit ist der klare Weg vorgezeichnet, der von der Natur her und zur Kunst hin führt“. (Friedrich Adler: Monatsblätter des Jüdischen Kulturbundes Hamburg, April 1938)

Nach seinem Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule München (1894 – 1898) arbeitete Friedrich Adler als freischaffender Künstler in München. Während an den Kunstgewerbeschulen die vorherrschende Lehrmethode auf der Nachbildung von Mustern und Formen aus verschiedenen Kunstepochen beruhte, war Adler bestrebt, eine neue, eigenständige, künstlerische Sprache zu entwickeln und wieder selbst „schöpferisch“ zu werden. Der Weg führte also weg vom Historismus hin zu einer Reformbewegung, die nur noch die Ordnungen und Formen der Natur zum Vorbild haben sollte.1

Zu Adlers frühen Metallentwürfen gehört der fünfflammige Leuchter von 1900, der durch vegetabile Ornamentik, Symmetrie und Rhythmus besticht und bei dem die Gestaltungsprinzipien aus der Objektfläche heraus zur räumlichen Dimension weiterentwickelt werden. Zunächst fallen dem Betrachter die flächigen Ornamente auf, die nicht der Ausschmückung dienen, sondern sich im Zusammenspiel als Bestandteile des Leuchters harmonisch zu einer Einheit verbinden.2 Vor dem inneren Auge entsteht das Bild eines Pflanzenstängels, aus dessen Fruchtknospe einzelne Verästelungen herauszuwachsen scheinen. In kleinerer Ausführung tragen solche Knospen auch die Leuchterteller und erinnern an Knospenkapitelle der Gotik. Die wechselseitig ausgebogenen Leuchterarme wiederum finden ihre Entsprechung im Barock.3 Adler verzichtet also, trotz des Aufbruchs in die Moderne, nicht gänzlich auf historische Vorbilder, der Leuchter als Gesamtkunstwerk bleibt in seiner vegetabilen Ornamentik ganz dem Jugendstil treu.

Durch intensives Studium der Natur- und Pflanzenwelt ergründet Adler den Zusammenhang zwischen innerer Ausprägung und äußerer Gestalt.4 In seinen Studien und Skizzen durchdringt er die Grundkonstruktionen der Natur, arbeitet kleinste Schemata heraus und setzt die so gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten in universale künstlerische Leitlinien um. Im Design belässt Adler den Leuchter jedoch in seiner ihm eigenen Funktionalität. Gleich einer Komposition verwebt er Ornamente und Strukturen so miteinander, dass sich daraus die Gesamtform bildet.

Durch plastisch herausgearbeitete Ornamente am Fuß des Leuchters, die in ihrem Aussehen an weich gezeichnete Herzen erinnern und sich im Verhältnis zur Gesamtornamentik wenig feingliedrig abzeichnen, erhält der Leuchter seine Standfestigkeit, ohne gewichtig und plump zu wirken. Adler verzichtet auf harte Kanten und Geraden, vielmehr wirken die Übergänge weich und fließend. Gebogene, aufgewölbte Linien, die sich wie Ranken am Stängel nach oben winden, führen das Auge des Betrachters in ihrer Dynamik wie selbstverständlich zur Fruchtknospe hin. Erst auf den zweiten Blick, verborgen durch die Drehung der Mittelachse, entdeckt man vier rechteckige Flächen, die sich aus den Linienverbindungen entwickeln. Durch Absenkung innerhalb der Rechtecke entstehen wiederum Ovale, die dem Stamm die Schwere nehmen. Gleichwohl hat Adler die Ornamente der Leuchterarme ebenfalls nicht flächig geschlossen gehalten, sondern bewusst durchbrochen, um damit eine Leichtigkeit zu erzeugen, die durch den zusätzlichen Lichteinfall noch intensiviert wird.

Dreht man den Leuchter nach allen Seiten, so besticht er durch seinen achsensymmetrischen, spiegelbildlichen Aufbau. Die Fruchtknospe bildet die Mitte und in der Proportion entspricht die Länge der Waagrechten dem Abstand zwischen Leuchterfuß und Knospe. Erst danach verschlankt sich die Mittelachse wieder und es entsteht der Eindruck einer nach oben strebenden Bewegung. Gleichzeitig erzielt Adler durch das Heben und Senken der sich symmetrisch angeordneten Gestaltungselemente einen Rhythmus, eine Taktung, wobei keine Form die Ordnung durchbricht. Der Leuchter weckt im Betrachter den Wunsch, ihn tastend zu umschließen, zärtlich berührend über die Ornamente zu streichen und sich ganz seiner Schönheit und Eleganz hinzugeben.

 

1 Vgl. Ottomeyer, Hans: Stil und Methode im Werk Friedrich Adlers. In: Leonhardt, Brigitte; Zühlsdorff, Dieter (Hrsg.): Spurensuche: Friedrich Adler zwischen Jugendstil und Art Déco. Stuttgart. Arnoldsche Verlagsanstalt GmbH, 1994, S. 14; 16-17.

2 Vgl. Pese, Claus: Die Welt ist voll von Form. In: Leonhardt, Brigitte; Zühlsdorff, Dieter (Hrsg.): Spurensuche: Friedrich Adler zwischen Jugendstil und Art Déco. Stuttgart. Arnoldsche Verlagsanstalt GmbH, 1994, S. 150.

3 Vgl. Schäll, Ernst: Friedrich Adler Leben und Werk. Bad Buchau: Federsee-Verlag, 2004, S. 63.

4 Vgl. Ziffer, Alfred: Münchner Jahre. In: Leonhardt, Brigitte; Zühlsdorff, Dieter (Hrsg.): Spurensuche: Friedrich Adler zwischen Jugendstil und Art Déco. Stuttgart. Arnoldsche Verlagsanstalt GmbH, 1994, S. 38.

 

Beitrag aus dem Sammelwerk:

Barth, Daniela: „Von der Natur her – und zur Kunst hin“. Friedrich Adler – eine Formbetrachtung

In: Museum zur Geschichte von Christen und Juden, Laupheim; Gesellschaft für Geschichte und Gedenken e.V., Laupheim (Hrsg.): Heimat revisited Begegnungen mit dem Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden nach 20 Jahren; S. 52-53 ISBN 978-3-00-059574-5

 

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