Dr. Udo Bayer, Laupheim
Friedrich Adler – Kontexte des Werks
Für Elisabeth
Adler
Friedrich Adler, von 130 Jahren in Laupheim geboren und
1942 in Auschwitz ermordet, gehört zu den bedeutenden Repräsentanten der
zahlenmäßig kleinen und doch an wichtigen Persönlichkeiten so reichen
Laupheimer jüdischen Gemeinde. Spuren seines künstlerischen Werkes haben sich
auf dem Laupheimer Friedhof erhalten; der ihm gewidmete Raum des Museums zur
Geschichte von Christen und Juden versammelt Werkbeispiele aus verschiedenen
Perioden. Dem unermüdlichen Einsatz von Ernst Schäll vor allem ist es zu
verdanken, dass Adlers Leben und Werk vor dem vergessen bewahrt wurden. Dessen
2004 erschienenes Buch über Adler enthält auch das wichtigste
Abbildungsmaterial für diesen Aufsatz.
Erst im Abstand
nehmenden Rückblick erschließen sich Kontexte eines künstlerischen Werks.
Solche Kontexte erst markieren den Verstehenshorizont. Dieser Rückblick ist
nunmehr und vor allen anderen auf der Basis der großen Leistung Ernst Schälls
bei der Spurensuche nach Leben und Werk Friedrich Adlers und seinen Resultaten,
das sich trotz der schmerzhaft empfundenen unwiederbringlichen Verluste großer
Teile zu einem gewissen Ganzen runden kann, möglich. Was sich im Rückblick von
über einem Jahrhundert als Kontextmoment herausschält, muss nicht unbedingt
bei Adler eine explizite Resonanz gefunden haben, aber als etwas, das den
Diskurs der Zeit bestimmt hat, dürfte es einem Menschen mit dem wachen,
durchdringenden Blick Adlers nicht entgangen sein. Leider gibt es kaum
schriftliche Zeugnisse seiner Lehr- und Vortragstätigkeit, die gestatteten,
diese Kontextverbindungen außer durch ihre Evidenz oder durch Zeugnisse aus
seinem beruflichen Umfeld zu belegen. Natürlich gehören zum Kontext auch
Gegenströmungen, bewusst oder unabsichtlich Ignoriertes. Insgesamt enthüllt
sich bei näherem Hinsehen diese Epoche von Kunst und Design als von
spannungsreichen Gegensätzen geprägt. Das hier Vorgestellte kann selbstverständlich
nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Wir können heute
Adler als Produktgestalter, also als Designer in einem ganz umfassenden Sinn bezeichnen. Das Designobjekt
ist dadurch definiert, dass es eine Gebrauchsfunktion, also eine Festlegung, mit
ästhetischer Gestaltung innerhalb eines Freiheitsspielraums verbindet; es hat
folglich eine doppelte Formbestimmung. Somit nimmt es eine Zwischenstellung ein
zwischen dem technischen Objekt, das nur von seiner Funktion bestimmt ist, und
dem freien Kunstwerk als Selbstzweck. Außerdem ist, zumindest prinzipiell,
seine beliebige technische Reproduzierbarkeit möglich. Das Designobjekt ist
also meist nicht als ein Singuläres konzipiert im Gegensatz zum traditionellen
Kunstwerk. Der heutige Designbegriff ist eng mit der Möglichkeit industrieller
Serienfertigung verbunden; sie bedingt die Trennung von Konzeption/Gestaltung
einerseits und Fertigung andererseits.
Ein Rahmen der
Wertung der Werke dieser Epoche der Moderne ist wohl die Frage, inwiefern ein
auf ästhetische Ausgestaltung der menschlichen Umwelt zielendes künstlerisches
Schaffen als gleichrangig v.a. mit dem traditionellen singulären Tafelbild und
der Plastik anzusehen ist. Angesichts der Bedeutung, die wir heute dem klassisch
gewordenen künstlerischen Design zumessen, ist die Gegenwart geneigt, die Frage
zugunsten des Design zu beantworten.
Der Entwurf
von Ornamenten bildet in Adlers Werk nur eine Teilkomponente, die in die
Gestaltbildung des Designobjekts eingebettet ist. Wir verbinden mit dem Begriff
des Ornaments eine Zutat, die der Steigerung der Wirkung eines solches Objekts
oder der Gliederung und Belebung seiner Oberfläche dient. Beim
dreidimensionalen Designobjekt ist diese Gestalt im Sinne einer übersummativen
Ganzheit, also einer Ganzheit, die mehr ist als ihre Elemente, diejenige
Bezugsgröße, von der unsere ästhetische Wahrnehmung ausgeht. Dies gilt
insbesondere für die Metall- und Steinarbeiten und die Möbelgestaltung. Das
Ornament als eine Flächen schmückende Möglichkeit haben wir bei Adler z. B.
in den Einlegearbeiten der Möbel oder in den Stuckrosetten. Die Leuchter und
die Spiegel vor allem entwickeln die achsensymmetrische plastische Gesamtgestalt
aus einer an organischen Formen orientierten einheitlichen Konzeption, in der
das Ornament gerade nicht mehr als Zutat, als Zierrat erscheint, der auch
weggenommen werden könnte. Einen solchen Übergang zur Plastik mit funktionaler
Möglichkeit der Nutzung – diese Umschreibung soll die Akzentverschiebung
bewusst machen – findet sich wohl am reinsten in der Gartenbank im Laupheimer
Museum (1904/05) verwirklicht; hier löst sich weitgehend die Rechtwinkligkeit
auf, nur die Symmetrieachse ist beibehalten. Zunächst aber zur ästhetischen
Diskussion und Praxis in derjenigen Epoche, in der Adlers Werk seinen Ausgang
nimmt.
Jugendstil – Art Nouveau – Art Deco
1 . Ausgangslage: Kritik am Historismus und den
Maschinenprodukten
Im Programm der
Wiener Werkstätten, neben München einem der Ausgangspunkte der neuen
Kunstbewegung, heißt es: „Das grenzenlose Unheil, welches die schlechte
Massenproduktion einerseits, die gedankenlose Nachahmung alter Stile
andererseits auf kunstgewerblichem Gebiet verursacht hat, durchdringt als
Riesenstrom die ganze Welt“. 1 Das Unbehagen am Rückgriff auf die
Stilmuster längst vergangener Epochen wie Antike, Renaissance, Barock und
Rokoko, deren Geist in der bürgerlichen Industriegesellschaft längst aus den
Formen verschwunden war, also die eigentliche Stillosigkeit des Historismus, die
sich aus den Mustern vergangener Epochen bedient, ist der eine Angriffspunkt.
Die Verbindung mit der Massenproduktion, mit industrieller Fertigung der andere.
Man kann sogar die Hauptmerkmale dessen, was dann als Kitsch bezeichnet wird,
großenteils hier schon feststellen2: das Prinzip der Häufung,
Imitatmaterial, Verzerrung von Dimensionen, die Nachahmung der Oberschicht,
Unangemessenheit im Verhältnis von Material und Objekt usw.
Daraus
insgesamt entsteht der Wunsch von Gestaltern, bewusst eine Gegenbewegung zu
schaffen unter Einbeziehung der technischen Möglichkeiten der Zeit, aber
gleichzeitig auch als Gegengewicht gegen die als seelenlos empfundene
Mechanisierung und Industrialisierung mit ihrer Orientierung an Sachlichkeit, Nützlichkeit
und purem Zweckdenken. Dieses Stilwollen war jetzt bewusster als beim Übergang
früherer Kunstepochen und es hatte einen weiteren Bereich des Anspruchs: eine
Verbindung der Künste untereinander, die Einheit von Kunst und Leben für alle,
eine ästhetische Erziehung, also insgesamt eine Art Lebensreformbewegung mit
einem zugehörigen Lebensgefühl. Die Zeitschrift „Jugend“ mit dem
Untertitel “Wochenschrift für Kultur und Leben“ gab unverdientermaßen der
ganzen Stilrichtung in Deutschland den Namen, wohingegen sich die französische
Entsprechung l’Art Nouveau von einer gleichnamigen wichtigen Kunstgalerie in
Paris, 1895 von dem Hamburger Samuel Bing gegründet, ableitet. „Das Prinzip
der Neuheit wurde zum alles umfassenden Konzept.“3 Bing ist in
mehrfacher Weise prägend: Er war ganz entscheidend an der Popularisierung
japanischer Kunst beteiligt, hatte eigene Werkstätten für Gebrauchskunst bzw.
gab ihre Produktion in Auftrag und vertrat schließlich bedeutende Künstler wie
Tiffany in Europa. Die Zeitschrift „Jugend“ hat nichts mit der Entstehung,
Programm oder Entwicklung dieses Stils zu tun (allenfalls wurden dort Grafiken
von Vertretern des Jugendstils publiziert).4 Dem Modernitätsaspekt
wird der Name „Art Nouveau“ weitaus gerechter. Noch in der
Rückerinnerung ist Adler der negative Eindruck des historistischen
Lehrprinzips an der Münchner Kunstgewerbeschule gegenwärtig: der Sechzehnjährige
musste bei der Aufnahmeprüfung ein Renaissance-Ornament bearbeiten. 5
Es ist wichtig
darauf hinzuweisen, dass die genannten Merkmale des Kitsches gerade auf die
bedeutenden Werke des Jugendstils nicht zutreffen, auch wenn spätere Kritiker
gelegentlich die angebliche Nähe betonen.
Den unauflösbaren Konflikt zwischen dem sozialreformerischen Anspruch und
den Produktionsbedingungen, der Kostenseite bei der Gestaltung von
Gebrauchsgegenständen schon in der englischen Art-and-Crafts-Bewegung hatte
Morris schon auf den Punkt gebracht mit dem Bekenntnis, er mache ganz einfache Möbel,
die so teuer seien, dass nur die reichsten Kapitalisten sie sich kaufen könnten
6. Noch van de Velde hält an dieser sozialen Dimension fest, wenn er
die Wiederkehr der Schönheit in eine Ära sozialer Gerechtigkeit und
menschlicher Würde eingebettet erstrebt. 7 Wir haben von Adler
leider kaum theoretische Positionsbestimmungen überliefert, obwohl er sich
hiermit im Rahmen seiner Lehrtätigkeit auseinandergesetzt haben wird. Wir
kommen hierauf noch zurück im Abschnitt über die Reproduzierbarkeit.
Der umfassende
Kontext des Adlerschen Werks sind Strömungen des ausgehenden 19. und des
beginnenden 20. Jh., also zunächst die von England ausgehende Diskussion der
dekorativen Künste seit der 2. Hälfte des 19. Jh. in der erwähnten
Arts-and-Crafts-Bewegung, die in einer Reihe europäischer Länder und den USA
aufgegriffen wird. Diese Entwicklung mündet, insbesondere nach dem ersten
Weltkrieg, in der ebenfalls internationalen Stilrichtung des „Art Deco“ mit
Tendenzen zu einer strengeren Formgebung, als sie in den genannten Bewegungen in
Deutschland und Frankreich üblich war, und läuft dann aus. Wie die meisten
Stilneuerungen knüpft der Jugendstil an Vergangenem an, aber er enthält in
besonderem Maß gegensätzliche Tendenzen, so dass dieser letzte relativ
einheitliche Stil in Europa als“ fundamentale Bewegung des ‚Für und
Wider‘ um 1900“ betrachtet werden kann, mit einer das ganze Jahrhundert
bestimmenden Wirkung. 8
Ein analoger
Paradigmenwechsel weg vom Historismus hin zu neuen Formen wie bei der Gestaltung
von Gebrauchsgegenständen vollzieht sich in der Malerei – etwa im Übergang
von Makart zu seinem Schüler Klimt. Der Historismus hatte in Deutschland die
Weihe des bizarren kaiserlichen Machtanspruchs: “Eine Kunst, die sich über
die von Mir(!) bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst
mehr, sie ist Fabrikarbeit, ist Gewerbe“. 9 Genau diese Scheidung
sollte für den obersten Geschmacksrichter also aufrecht erhalten bleiben. Aber
die Geschwindigkeit, mit der sich der Jugendstil verbreitete und, verglichen mit
auf die Malerei beschränkten neuen Richtungen, breite Akzeptanz gewann, ist
erstaunlich, natürlich wegen des engen Bezuges zu den angewandten Künsten.
Adlers Werk hat
zu der dem Jugendstil verwandten Malerei – dazu gehören v. a. motivisch und
stilistisch der noch genauer zu betrachtende Symbolismus, aber auch die
Plakatkunst Toulouse-Lautrecs – keine direkte Beziehung, sondern, wie noch zu
zeigen ist, viel mehr zu dem etwas später entstandenen deutschen
Expressionismus. Alle diese Tendenzen der Kunst haben eine Wendung gegen die
Reproduktion der Wahrnehmungsrealität, der realistischen oder naturalistischen
Darstellungsweise gemeinsam. Bei Klimt ist die Einbeziehung der linear
ornamentierten Fläche in der Malerei und damit die Abkehr von abbildenden
Momenten in die Komposition am radikalsten verwirklicht.
Einen
Niederschlag dieser Ornamentgestaltung bei Adler finden wir in dem Gewandmuster
der „Inspiration“ wie auch der meisten übrigen Arbeiten seines Schülers
Kellermann. Wenn man davon ausgeht, dass bestimmte Motive aus dem 19.Jh.
durchlaufen und vom Jugendstil nur neu gefasst wurden 10, könnte man
diese wichtigste vollplastische Figur Adlers und seines Schülers außer in dem
aktuelleren Nietzsche-Kontext, der für die Zeit der Jahrhundertwende von
eminenter Bedeutung ist, aber bei Adler sonst keine motivische Parallele findet
(im Gegensatz zu Behrens, 11), auch in dem ganz anderen Zusammenhang
mit dem vom Symbolismus tradierten Sehnsuchtsmotiv einer mädchenhaften Gestalt
sehen, 12 eventuell auch im Zusammenhang mit anderen Varianten des
Bildnisses der Frau. Auch im nachfolgenden Art Deco bleibt die weibliche Figur
als Motiv unübersehbar. Allerdings zeigen die Elfenbeinarbeiten Kellermanns
sicher gleichzeitig Züge der Überdekorierung des Historismus, insbesondere die
Schmuckreliefs mit den Wagnermotiven.
Eine weitere
Neuerung, die als Kontext für Adlers Werk und seine Vermittlung wichtig ist,
sind internationale Ausstellungen.
Sie sind ein Gesamtkunstwerk auf Zeit. Ein Beobachter fasst den zwiespältigen
Eindruck der Turiner Ausstellung von 1902 folgendermaßen zusammen:
„Entsetzlicher Rummel und doch ein großes Kulturwerk, Überschwemmung mit
Humbug, unverschämte Aufschneiderei und doch ein ernstes Zeugnis, ein großartiges
Dokument des gewaltigen Fortschritts der Menschheit…“13. Spielten
zuvor im 19. Jh. Ausstellungen mit ganz unterschiedlicher Thematik insgesamt
schon eine zentrale Rolle für die Herstellung einer Öffentlichkeit, so kann
man nun geradezu von „Ausstellungskunst“ sprechen. Nicht zuletzt sind Adlers
Teilnahme an mindestens drei derartigen Projekten entscheidende Stationen seines
Aufstiegs: an der genannten„ 1. Internationalen Ausstellung für moderne
dekorative Kunst“ in Turin 1902, an der „Bayerischen Landesausstellung Nürnberg“1906
und der Kölner Werkbundausstellung 1914. Die Turiner Ausstellung stand, wie ein
anderer zeitgenössischer Bericht zeigt, in bedenklicher Nähe zur Protzigkeit
des Kaiserreichs und seiner offiziellen Kunstdogmatik:“…Denn was sich
stummen Mundes kund gibt in dieser Halle, das ist die Macht, das ist die Macht
des Kaisertums Wilhelms II.“14 Die Weltausstellungen Ende des Jh.
sind wichtige Foren zur Verbreitung der neuen Gebrauchskunst, aber auch des
Kunstmarkts überhaupt, wie sich am Beispiel des Japonismus zeigen lässt; 15
Bing etwa hatte einen eigenen Pavillon auf der Weltausstellung in Paris 1900.
Zur
Popularisierung der neuen Formensprache trugen aber auch entscheidend öffentliche
Bauaufträge bei wie die Eingänge der Métro in Paris 1900 oder Wagners Werke
in Wien, natürlich auch das Sezessionsgebäude. Für Adler gab es größere
Aufträge, die sich an eine Öffentlichkeit wandten, leider nur im synagogalen
Bereich.
Eine Kritik
am Historismus musste nicht gleichbedeutend mit der Akzeptierung
oder Zustimmung zu den sich herauskristallisierenden neuen Strömungen im
Bereich der dekorativen Künste sein, im Gegenteil. Das schlagendste Beispiel
hierfür sind die Thesen eines Wiener Architekten und Designers, Adolf Loos.
1908 trug dieser radikale Gegners des Historismus, aber gleichzeitig auch des
Jugendstils, in Berlin ein begeistert aufgenommenes und sprichwörtlich
gewordenes Pamphlet vor: „Ornament und Verbrechen“. Schon der Kontext, den
der Titel herstellt und aus der Nähe von Tätowierung und Kriminalität
ableitet, rückt das Ästhetische in einen – hier etwas eigenartigen –
ethischen Kontext. Es richtete sich nicht nur gegen die von den Zeitgenossen
scharf bekämpften Rückgriff auf Dekorationselemente vergangener Epochen,
sondern zielte vielmehr auf zeitgenössische Bewegungen wie die Wiener
Sezession, gleichzeitig auch gegen den Werkbund – ihm warf Loos
„Produzentenjunkertum, das der Welt seinen Formwillen aufzwingen möchte“16
vor. Stattdessen kämpft seine radikale Gegenposition für eine Trennung von
Kunst und Handwerk, von Kunst und Industrie. Evolution der Kultur sei
gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornamentes aus dem Gebrauchsgegenstande.
„Mir, und mit mir allen kultivierten Menschen, erhöht das Ornament die
Lebensfreude nicht.“17 Die Polemik ist letztlich nicht von ästhetischen
Argumenten, sondern von ökonomischen geprägt: die Hälfte der Arbeit entfalle
auf Ornamente und wahrhaft unästhetisch wirkten ornamentierte Objekte erst,
„wenn sie im besten Material, mit der höchsten Sorgfalt ausgeführt werden
und lange Arbeitszeit beansprucht haben.“18 Seine Gegner scheuten
dann aber nicht davor zurück, von einer „extrem-jüdischen Richtung“, dem
„Bolschewismus in der Kunst“ (1919), zu sprechen, was zeigt, in welchem Maße
derartige Kontroversen bereits mit antisemitischen Vorurteilen belastet wurden.
Der bissige Karl Kraus formulierte: Nur der Philister „schnappt nach den
Ornamenten wie der Hund nach der Wurst.“19
Kurz noch zu den Zentren
der Bewegung des Jugendstils in Deutschland: nicht die Reichshauptstadt mit
ihrem offiziellen Historismus-Geschmack spielt eine Rolle, sondern regionale
Zentren – aus unterschiedlichen Gründen. In Darmstadt und in Weimar entstehen
Werkstätten, Gebäude und Schulen in Zusammenarbeit mit den an Wirtschafts-und
Gewerbeförderung interessierten Monarchen. München hatte eine klassizistische
Tradition, aber auch einen „subversiven Zug“ in Literatur und Kabarett, bot
also einen gewissen Boden für die Moderne. In der Gründung der „Vereinigten
Werkstätten“ wollte man, wie dann der 1907 gegründete Werkbund,
handwerkliche und Maschinenproduktion verbinden. Hamburg, in das Adler 1907
kommt, ist in dieser Hinsicht ohne einen vergleichbaren Modernisierungsschub,
und das heißt auch: ohne ein entsprechend interessiertes Auftraggeber-Publikum.
Was aber in Deutschland offenbar vor allem fehlte, ist eine
Vermittlungsinstitution wie Bings Art Nouveau-Galerie; über ein vergleichbares
Unternehmen schrieb ein Zeitgenosse: “Eine charakteristische Neuerung unserer
Zeit, da Kunst und Handwerk nach allzu langer Trennung sich wieder einander genähert
haben, ist der moderne kunstgewerbliche Basar, das merkwürdige Mittelstück
zwischen einer Kunsthandlung und einem Warenhaus für Gebrauchs-und Kunstgegenstände,
dessen Besitzer und Leiter eine seltsame Vereinigung von Kenner, Künstler,
Kritiker, Anreger und Geschäftsmann im vornehmsten Sinn darzustellen pflegt“.
20
2 . Herkunft und Entwicklung des Formenrepertoires des
Jugendstils
Es lassen sich
hier mindestens sechs Teilaspekte herausarbeiten: die Malerei des Symbolismus,
die Begegnung mit dem japanischen
Farbholzschnitt, die Orientierung an organischen Naturformen, die neben diesem Gegenstandsbezug
existierenden Tendenzen zur Geometrisierung und Abstraktion, verbunden mit dem Ausgang von
der Gebrauchsform, die Vorstellung von
einem Gesamtkunstwerk und schließlich
das Faktum der Reproduzierbarkeit.
Wenden wir uns
zunächst den Bezügen zum Symbolismus
zu, der bereits erwähnt wurde. Die Zeitgenossen bemerkten durchaus den Bruch
mit den bisherigen Stilen, das befremdlich Neue im Versuch “einer künstlichen
Kreation ein lebendiges Aussehen zu verleihen.“21
2. 1 - Zentrale Merkmale dieser in sich heterogenen europäischen
Richtung der Malerei seit der Industrialisierung in der Mitte des 19. Jh. ist
inhaltlich eine Tendenz gegen das Reale, Profane, die Darstellung von etwas
Unbekanntem, Begehrtem, die Verbindung mit dem „Ungewöhnlichen, das den Geist
von der vertrauten Welt entfernt, der Neurose eine Stimme und der Angst eine
Gestalt gibt und dem tiefsten Traum… ein Gesicht verleiht.“22
Bing hatte die Aufgabe der Art Nouveau so formuliert: Sie solle „den Kampf
gegen alles Hässliche und Prätentiöse an den uns umgebenden Dingen antreten
und diese mit perfektem Geschmack, Charme und schlichter Schönheit erfüllen,
bis hin zu den niedrigsten Gebrauchsgegenständen.“23 Die
Industrialisierung mit ihren gesellschaftlichen Veränderungen spielt hierbei
eine wichtige Rolle als Auslöser. Dieser Rückzug aufs Imaginäre lehnt sich
gegen den Fortschrittsoptimismus der Zeit auf und gipfelt in der Décadence und
dem Ästhetizismus als einer Kunst- und Lebenshaltung. Inhaltlich spielt der
Mythos des Weiblichen in unterschiedlichen Graden der Erotik eine wichtige
Rolle, die Tendenz zu einer weihevollen Pose der Figuren – beide Momente sind
greifbar in Adlers Statuette der „Inspiration“. Die Verwendung von Elfenbein
in den sog. „chryselephantinen“ Skulpturen aus der Verbindung von Metall und
Elfenbein hatte seinen profanen Ursprung übrigens in den Wirtschaftsinteressen
des belgischen Königs und findet sich später auch im Art Deco noch in den
Werken des Rumänen Chiparis. Formal zeichnet sich der Symbolismus durch eine
Tendenz zur Abstraktion, eine Ablehnung naturalistischer oder illusionistischer
Darstellung der Welt aus; hinzu kommen ein schattierungsloser Farbauftrag und
eine Betonung des Linearen, gut greifbar in den weniger bekannten Werken von
Thorn-Prikker und von Delville. Hier finden wir eine Linienführung und eine
Farbnuancierung, die nahezu identisch in Arbeiten des Jugendstil wiederkehrt.24
Für Maurice Denis, einen anderen Vertreter der Malerei des Symbolismus,
war ein Bild eine flache Oberfläche mit Farben, die in einer bestimmten Weise
angeordnet sind. 25
2.2 - Die zweite Inspirationsquelle, von der der Jugendstil
Anregungen empfängt, ist der japanische Farbholzschnitt des ausgehenden 18. und 19. Jh., der
die „vergängliche Welt“ – „Ukiyo-e“ thematisiert: “Wir leben nur für
den Augenblick, in dem wir die Pracht des Mondlichts, des Schnees, der Kirschblüten
und bunten Ahornblätter bewundern…“26, wie es in einer zeitgenössischen
literarischen Fassung des Selbstverständnisses dieser Kunst heißt. “Fließende
Welt: das ist die Dynamik der Linien, ihre Strömungen, Schwünge, Biegungen,
Verschlingungen, Hakenschläge und Stöße. Das ist der Rhythmus der Richtungen,
wie sie miteinander und gegeneinander laufen…, der Wechsel von Linie und
Fleck, Figur und Grund…Alles ist angedeutet, alles Angedeutete ist mehrdeutig,
aber nichts ist verschwommen….Der Körper hat kein Volumen, keine Schatten und
keine Schwere. Der Raum hat keinen Boden und keine betretbare Tiefe.“27
Linie, Fläche und Ornament in ihrem Eigenwert sind in der Komposition genau
abgrenzbar. Hinzu kommen die später von den Impressionisten aufgegriffene
Ausschnitthaftigkeit und dezentrale Anordnung, die Asymmetrie der Komposition
und die Einbeziehung der Leere28 und, beim dreidimensionalen Design,
die viel bewunderte Rücksicht der Japaner auf Material und Funktion. So setzte
jedes Meisteratelier der Jahrhundertwende sein Japanbild um;29 Gallés
durchgehende Begeisterung für japanische Kunst ist vielleicht der beste Beleg
hierfür; er sagte: “Eine noch so genaue naturalistische Abbildung,
reproduziert in einem naturwissenschaftlichen Werk, rührt uns nicht, weil die
Seele fehlt, während es etwa ein nach der Natur arbeitender japanischer Künstler
in einzigartiger Weise versteht, das auslösende Motiv oder das bald spöttische,
bald melancholische Antlitz eines lebendigen Wesens…zu übersetzen.“30
Außer dem Formalen spielte eine der japanischen Geisteswelt unterstellte
Spiritualität, die der Entfremdung von der Natur entgegenwirken könnte, eine
Rolle.31 Nicht die illusionistische Nachahmung, sondern die ästhetische
Eigenrealität der Komposition steht also auch bei dieser zweiten Quelle des
Jugendstils im Zentrum und bildet ein Gegenmodell gegen andere Tendenzen der
zeitgenössischen Kunst wie Realismus oder Naturalismus oder ihrer
historistischen Kombination. Das Interesse an japanischer Kunst wurde zum ersten
Mal in größerem Maß auf der Weltausstellung 1867 in Paris geweckt, und für
einige Jahre erschien sogar eine deutschsprachige Ausgabe von Bings Zeitschrift
über japanische Kunst mit dem Titel „Japanischer Formenschatz“.32
2. 3 - Wenden wir uns nun als dritter Inspirationsquelle der
Orientierung an der organischen Naturform zu. - Bekanntlich ist gehört die künstlerische
Auseinandersetzung mit der Erfahrung der Natur zu den thematischen Hauptmotiven
der Malerei der Moderne, aber sie stellte sich aus verschiedenen Gründen verschärft
im Design und hier vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion um das Ornament.
Ruskin, einer der
wichtigsten Wortführer der Neubesinnung innerhalb der Produktgestaltung in
England, vertrat die These, dass die vom Leben geschaffenen Ordnungen biegsamer,
abwechslungsreicher und elastischer seien als die gewöhnlich durch mechanische
Wiederholung entstandenen. “Auf dieses Zeugnis des Lebens kam es Ruskin an. Für
ihn war das Aufkommen der Maschine eine neue, polarisierende Frage, bei weitem
fundamentaler als die alte Frage von Teuer und Billig“33, die durch
das Maschinenzeitalter in gewisser Weise beantwortet wurde. Wichtig ist also
dieser Bezug zum Leben.
Auch Owen Jones,
Verfasser eines umfangreichen Werkes, „Die Grammatik der Ornamente“ von 1856
vertrat die noch ein halbes Jahrhundert später richtungweisende These, das
Ornament solle der Natur folgen, nicht durch Nachahmung ihrer Erscheinungen,
sondern durch die Anwendung der ihr eigenen Gesetze, beispielsweise das der
Ausstrahlung und Unterteilung.34 Es findet sich bei ihm ein Gedanke,
den v. a. später die Linienführung des Jugendstils verwirklicht, nämlich in
den besten Perioden der Kunst basierten Ornamente auf Kurven höherer Ordnung
als Kegelschnitte; Kreise und Zirkelwerk seien Ausdruck des Verfalls .35 „Die
Schönheit der Form erzeugt man mittelst Linien, die allmählich und wellenförmig
aus einander entspringen, und zwar ohne Auswüchse, so dass man weder etwas
hinzufügen noch etwas wegnehmen könnte, ohne die Schönheit des Ganzen zu
beeinträchtigen.“ 36 Die Wellenlinie als „Linie der Schönheit“
hatte übrigens bereits Hogarth ein Jahrhundert zuvor an prominenter Stelle
seiner „Analyse der Schönheit“ herausgestellt.
Um die
Jahrhundertmitte entwarf Gottfried Semper, uns heute eher als Architekt bekannt,
in Deutschland ebenfalls eine Art axiomatisches System der dekorativen Kunst;
auch er war der Ansicht, die Kunst solle den Naturgesetzen folgen, aber nicht
die Natur nachahmen; als formale Grundlagen, mit denen die Natur arbeitet, sah
er Symmetrie, Proportionalität und Richtung an; außerdem legte er Wert auf die
genaue Beziehung von Zweck, Material und Technik als Gestaltungsprinzip des
Design 37. Diese Unterscheidung zwischen der unmittelbaren, konkreten
visuellen Gegebenheit der Natur und der wesentlich abstrakteren Ebene von
Bildungsgesetzlichkeiten ist ein bis über die Jahrhundertwende hinausreichender
wichtiger Gedanke, der den Unterschied zu einer naturalistischen Haltung
markiert, die ohnehin sich eher in der Malerei als im Designobjekt realisiert.
Ein zentraler Kontext, in dem Kunst und Design überhaupt und speziell um
die Jahrhundertwende zu sehen sind, ist das also das auch theoretisch
diskutierte Verhältnis zur Naturerscheinung und ihrer Übernahme in die
Objektgestaltung.
Bemerkenswert ist
der Weg, den der Kreis um Obrist, einem führenden Vertreter des Münchner
Jugendstils, der Adler zu Beginn seines Weges entscheidend prägte, bei der
Orientierung an Formen der Natur einschlägt und der ganz offensichtlich an die
genannten Überlegungen anknüpft: nicht die formale Oberfläche, sondern die
zugrundeliegenden allgemeinen Konstruktionsprinzipien wie Gelenke, Verzahnungen,
Rippenstrukturen, Ausprägungen von Zug und Druck sollten Vorbilder für analoge
Gestaltungen im Design sein. 38 In gewisser Weise finden sich im Münchner
Jugendstil bereits die beiden konkurrierenden Ansätze des Jugendstils im
Ausgang von der Naturform: die Inspiration durch die Natur und der Rückgriff
auf die abstrakte Linie. 39
Adlers
Schale mit Glaseinsatz von 1899/1900 benutzt das Liniengeflecht als Bauprinzip.
Diese Linie, die nicht organischer Herkunft ist, wird gleichsam zu einer Art
Urmodell der auf vegetativ-florale Gegenstandsbereiche zurückgeführten Formen
– bis hin zur erwähnten Eingangsgestaltung der Pariser Métro von Guimard.
Dieser insbesondere verräumlicht, neben dem Belgier Horta, die eigentlich flächengebundene
Linie und nimmt hierbei zwei wichtige Invarianten des Linearen in der Natur auf,
denn sie,„als größte Baumeisterin“, „macht doch nichts Paralleles und
nichts Symmetrisches“ .40 Allenfalls durch spiegelbildliche
Kombinationen entstehen im linearen Jugendstil Achsensymmetrien. Trotz des
betonten Unterschieds zur Natur in der Linearität bleibt aber auch, etwa bei
Guimard, die „Logik der Natur“ oberster Orientierungspunkt; Zeitgenossen
sprachen gleichzeitig von einer „Kunst der Geste“, in der die
Gegenstandsassoziation unwichtig wird. 41
Bei Adler finden
wir die dynamische gebogene Linie als Gestaltungselement in den frühen
Textilentwürfen und in Fliesenentwürfen.42 Im Rahmen der ästhetischen
Wirkung ist bei den Fliesen erwähnenswert, dass ihr Linienornament
aneinandergefügt sich zu Gestalten höherer Ordnung, zu Superisationen fügt.
Van de Velde hatte den Gestaltgedanken hinsichtlich der kompositorischen
Ganzheit aus Linien schon 1893 so formuliert: Hat ein Künstler eine Kurve
gezogen, „kann diejenige, die er ihr gegenüberstellt, sich nicht mehr von dem
Begriff lösen, der in jedem Teil der ersteren eingeschlossen liegt…“.43
Wir finden den
Niederschlag des Gedankens, organische Konstruktionsprinzipien herauszuarbeiten,
im Werk Adlers am deutlichsten in der Gestaltung seiner dreidimensionalen
Metallarbeiten, im Schmuck und im Grabstein für seine Mutter. Debschitz sprach
von „denkendem Beobachten“ der Natur.44 Für Obrist waren
Naturobjekte „organisierte Gebilde voller Gesetzmäßigkeiten, voller
Strukturen, voller Kraftäußerungen…voller linearer, plastischer,
konstruktiver Bewegungen von unerhörtem Reichtum und erstaunlicher Vielfältigkeit“45.
„Ein spezieller Kunstgriff des Obrist-Kreises war es, mikroskopisch kleine
Gebilde zu studieren und in einer Detailvergrößerung zu neuer Wirkung zu
entfalten“.46 Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil Obrists
Stickerei „Peitschenhieb“ von 1895, die im Formenkanon des vegetabilen
Jugendstils umfangreich ausdifferenziert wird, ursprünglich eigentlich der
physikalischen, anorganischen Natur entstammt. Obrist belässt die Linie aber
ebenfalls nicht in der Ebene, sondern postuliert ihr Ausgreifen in den Raum:
“Nicht nur Liniencurven, sondern formgewordene, plastische, körperlich
gewordene Formen, deren Umrisse schöne Curven bilden…“ und so finden sich
seine künstlerischen Absichten in der Grundbewegung der Spirale am reinsten
verwirklicht.47
Zurück zu den
inspirierenden Vorlagen aus der organischen Natur. - Abbildungen solcher
„Gebilde voller Gesetzmäßigkeiten“ waren zeitgleich mit dem Münchner
Jugendstil von dem Jenenser Biologen und Philosophen Ernst Haeckel veröffentlicht
worden. Da sein Ansatz ebenfalls von der Suche nach einem gemeinsamen
Strukturierungsprinzip der Natur, das für das Anorganische ebenso wie für das
Organische gilt, ausgeht, sehen wir eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit
Obrist; Haeckel versucht eine Synthese von Goethe und Darwin zu schaffen und
stellt, was heute für einen Naturwissenschaftler überrascht, selber einen
Bezug zu Kunst und Design her, wenn er im Vorwort betont: “Die moderne
bildende Kunst und das moderne, mächtig emporgeblühte Kunstgewerbe werden in
diesen ‚Kunstformen der Natur‘ eine reiche Fülle neuer und schöner Motive
finden.“ Gleichzeitig geht es von der Überlegenheit der von der Natur
geschaffenen Gestalten in Schönheit und Mannigfaltigkeit über die menschlichen
Kunstformen aus. Der Bezug zwischen Haeckels Zeichnungen der „Stachelstrahlinge“
und Adlers zunächst für Deckenrosetten konzipierten Entwürfen, die sich im
Prinzip des Durchbrochenen seiner Schmuckentwürfe genauso finden, ist evident.
Adlers auf organischen Naturformen basierende Ornamente – meistens nur Entwurf
geblieben – orientieren sich, ebenso wie die Obristsche Spirale, an diesem von
Haeckel publizierten Formenkatalog.
Schließlich sei
noch eine Tierform aus dem unmittelbar sichtbaren Bereich erwähnt, die eine
auffällige Stellung im Design des Jugendstils einnimmt, das Insekt, das wir
auch auf Adlers Bratenplatte finden. Es gibt mehrere Motive für insektenähnliche
Formen: das wachsende Interesse an Naturforschung, aber auch die Tatsache, dass
diese „schillernden, fragilen Wesen von fast graphisch zu nennendem Körperbau“48
den Prinzipien von Bewegung und Biegung besonders entgegenkamen. Gallé
konstruiert sogar aus grazilen Libellenleibern die Beine eines Tischs .49
2. 4 Nun zu Geometrie und
Abstraktion als Einflussfaktoren der Formgebung allgemein, unserem vierten
Teilbereich. Ein 1908 erschienenes Buch hatte auf die zeitgenössische
Kunstdiskussion, v.a. auch des Expressionismus, eine große Wirkung und gehört
somit auch zu dem hier herausgearbeiteten Kontext: Wilhelm Worringers Abstraktion und Einfühlung. Worringer wendet sich gegen die
Tradition eines Kunstbegriffs, der einseitig an Antike und Renaissance
orientiert ist und stellt ihm als gleichberechtigt das Kunstwollen der unter dem
Typ der Abstraktion zusammengefassten Werke entgegen; er geht davon aus, „dass
das Kunstwerk als selbständiger Organismus gleichwertig neben der Natur und in
seinem tiefsten innersten Wesen ohne Zusammenhang mit ihr steht, sofern man
unter Natur die sichtbare Oberfläche der Dinge versteht. Das Naturschöne darf
keineswegs als eine Bedingung des Kunstwerks angesehen werden.“50
„Wie der Einfühlungsdrang als Voraussetzung des ästhetischen Erlebens seine
Befriedigung in der Schönheit des Organischen findet, so findet der
Abstraktionsdrang seine Schönheit im lebenverneinenden Anorganischen, im
Kristallinischen, allgemein gesprochen, in aller abstrakten Gesetzmäßigkeit
und Notwendigkeit.“51 Dieser von ihm konstruierte Kunsttypus v. a.
außereuropäischer Kulturen möchte „den Dingen der Außenwelt ihre Willkür
und Unklarheit im Weltbilde nehmen“.52 Die in diesem Werk deutlich
hervortretende positive Wertung der nicht-mimetischen Kunst führt dann auch zu
einem anderen Blick auf die außereuropäische Kunst insgesamt. Die dynamische
Linie ist, insofern sie floralen Ursprungs ist, natürlich selbst ein
hochgradiges Abstraktionsprodukt.
Auch wenn wir
wegen der Tatsache, dass Adler nur wenig schriftlich formuliert hat und wir
zudem aufgrund des Schicksals seines Nachlasses keine Belege für die Beschäftigung
mit dem zeitgenössischen Diskurs über Kunst haben, dürfen wir annehmen, dass
diese Diskussion nicht ohne Eindruck an ihm vorüber gegangen ist.
Keineswegs gilt
die Allgemeinbehauptung „Im Jugendstil zu entwerfen und zu denken hieß, die
gerade Linie zu verbannen und die langzügig fließende Linie, das pflanzenhafte
weiche Ab- und Anschwellen der Formen zu verwenden.“53 In Wien,
einem wichtigen Zentrum der neuen Kunst im deutschsprachigen Raum, hatte Josef
Hoffmann kurz nach der Jahrhundertwende in seiner Architektur und in den
Designobjekten der Wiener Werkstätten
einen aus dem Quadrat und seiner Rechtwinkligkeit entwickelten Stil kreiert, das
als Grundprinzip der Konstruktion übrigens hier das keineswegs abgeschaffte
Ornament bestimmte. Möglicherweise war dieser Wiener Kreis d
i e Designergruppe des Jahrhunderts 54, nicht zuletzt deswegen,
weil Hoffmann und die anderen Beteiligten im Brüsseler Palais Stoclet das 1908
Gesamtkunstwerk der Epoche schlechthin schufen. „Der Zwiespalt des Jugendstils
– hier florales Ornament, da Linie oder Konstruktivismus – wird in den
Arbeiten der Wiener Werkstätte im Dialog gelöst; die Flora verschmilzt zu
einer Einheit mit der Geometrie.“55 Allerdings gibt es um 1920 in
Wien auch die radikale Gegentendenz des Verspielten bei Peche.
Bei Adler findet
sich eine vergleichbare Tendenz zur selben Zeit in den Möbelentwürfen zwischen
1906 und 1909 und noch stärker in späteren Grabsteinentwürfen. Besonders
manche spätere Textilentwürfe, etwa die „Zugvögel“ von 1932 zeigen in
ihrer Strenge eine Weiterentwicklung dieser abstrahierenden
Gestaltungsprinzipien. Aber auch die Prunkbowle Noris von 1913/14 und das stilistisch verwandte Sedergerät von 1913
lassen die Abkehr vom floralen Schwung erkennen. Der Gebrauchszweck dominiert.
Adler hat 1913 in
seinen Prinzipien der Lehre dieses reflektierte, nicht mehr unmittelbare Verhältnis
zur Natur so formuliert: „Der Weg zum lebendigen Werk der freien und
angewandten Kunst muss durch die Natur hindurchführen. Der Schüler muss
lernen, sich die Natur untertan zu machen, er muss sie überwinden, um dann,
wenn er selbst schafft, frei mit deren Formen, Farben und Rhythmen, die er sich
zu eigen gemacht hat, schalten und walten zu können.“56
Bemerkenswert ist hier auch seine Einbeziehung des für das Design immer
wichtigen technischen Aspekts, wenn er von den „vorbildlichen technischen Schönheiten
der Naturgebilde“ spricht und in der „ vollen Durchdringung von Stoff und
Zweck in der Natur“ das Resultat der „ selbstverständlichen Schönheit der
Dinge“ feststellt.
Der Bruch mit der
Geschmeidigkeit und Dynamik der Gestaltung schon bald nach der Jahrhundertwende
und die wesentlich stärkere Orientierung an der Gebrauchsform wird besonders
gut an Peter Behrens, der eine Zeit lang dem Münchner Kreis angehört hatte,
deutlich; das Ornament “verschwand zwar nicht, erstarrte jedoch sichtlich
unter dem kalten Guss der Verdammung. Schwung, Spiel und Erfindungsgabe…alles
schrumpfte zusammen, trocknete ein; und wie den von der Phantasie geleiteten
Spielen der Kinder das militärische In-Reih-und-Glied zu folgen pflegte, so
wurde … aus dem Dynamisch-Bewegten, dem Gleiten und Tanzen von Linie, Form und
Farbe, als hätte jemand ‚Stillgestanden!‘ kommandiert, die bewegungslose
abstrakte Figur: Quadrat und Kreis, Rhombus und Oval, gereihtes, geordnetes
Nebeneinander von gedrungenen Einzelmotiven“;57 (die vom Autor für
diesen allgemeinen Umschwung angesetzte Jahreszahl 1902 erscheint allerdings als
etwas zu früh).
Für die
Entwicklung des Designs in Deutschland hat nach dem ersten Weltkrieg das Bauhaus,
zumindest im Rückblick, eine große Bedeutung. Adlers Biografie ist mit zwei
wichtigen Namen auf schicksalhafte Weise verbunden, nämlich mit dessen erstem
Leiter Walter Gropius, der Adler gerne nach 1933 mit nach Amerika nehmen wollt,
und mit Johannes Itten, der ihm nach 1938 die Unterstützung für einen
Aufenthalt in den Niederlanden verweigerte 58. Führende Vertreter
dieser Schule nehmen die oben genannten, schon vor dem Krieg deutlichen
Tendenzen des Bruchs mit dem bisherigen Jugendstil auf und verschärfen sie.
Nicht mehr Kunst und Handwerk, sondern Kunst und Technik sollten, so Gropius
1922, eine neue Einheit bilden.59 Die Vorstellung einer neuen
Verbindung von Kunst und Leben – ohne eindeutigen Kunstbegriff – blieb
bestehen.60 Andererseits sollte nach Vorstellungen des Bauhauses die
Kunst in Handwerk und Technik aufgehen, auf eine künstlerische Begründung für
die Form verzichtet werden; 61 „das künstlerische Formelement ist
ein Fremdkörper im Industrieprodukt. die technische Bindung macht die Kunst zu
einem nutzlosen etwas“ proklamierte Georg Muche 1926 62. Nicht
Kunstwerke wollte man schaffen, sondern der Lebensraum des Menschen sollte
gestaltet werden, wobei die Exaktheit der Maschine emphatisch bejaht wurde.63
Van Doesburg polemisierte gegen die Vorherrschaft der Natur. 64
Adlers Landeskunstschule in Hamburg war sicher konfrontiert mit diesen zeitgenössischen
Thesen, Einflüsse finden sich in seinen Textilentwürfen und dem
Kunststoffdesign.
Man kann im
Hinblick auf Adlers Werk in den zwanziger Jahren sagen, dass es in einem
Zwiespalt zwischen „radikal und angepasst modern“ steht, zumal er,
insbesondere bei seinen Möbelentwürfen, auf den konservativ-bürgerlichen
Geschmack der Auftraggeber Rücksicht nehmen musste.65 Außerdem
fehlten ihm offenbar die Kontakte für Aufträge größerer Serien. Schon die Münchener
Werkstätten hatten Notwendigkeiten maschinell vorgefertigter Serien bedacht und
„Maschinenkunst“ musste, unter Nutzung der technischen Möglichkeiten, nicht
unbedingt etwas Negatives sein; Muthesius hoffte schon 1902 auf deren
Anerkennung als ästhetische Produkte.66
Der
Kunsthistoriker Hildebrandt hatte bereits 1924 eine indirekte Abwertung aller
Versuche der bewussten künstlerischen Gestaltung der technischen Umwelt
formuliert, indem er von zwei „Zeitstilen“ ausgeht: „Den einen hat die
Technik absichtslos gebildet; er schafft aus ihren reinen Erzeugnissen Präzisionsleistungen
organisch-harmonisch ineinandergreifender Glieder mit genauest abgewogenen
Funktionen, Dinge von angespanntestem, straffstem Leben…daneben den zweiten, künstlichen,
gewollten, der Vergangenheit entliehen, der sich noch nicht anzupassen wusste
und langsam Schritt für Schritt vorwärts geht, während die Entwicklung schon
um Meilen weiter geeilt ist.“ 67
2.5 Das Gesamtkunstwerk. Die Villa des Malers von Stuck in München
ist, als Beispiel einer Einrichtungsgestaltung der Zeit, noch heute ein
eindrucksvoller Beleg für den Versuch eines umfassenden Designs der
Wohnumgebung. Adler hat, wie nahezu
alle bedeutenden Künstler der Zeit, Werke in der ganzen Bandbreite des Designs
geschaffen, von Gebrauchsgegenständen bis hin zur Architektur eines Hauses.
Leider war es ihm offenbar von der Seite der Aufträge her nicht vergönnt, ein
weiteres Gebäude außer dem Haus für die Eltern in Laupheim zu schaffen. Ein
Gesamtkunstwerk, wie es etwa Hoffmann im Palais Stoclet oder Guimard im Castel Béranger
schaffen konnten, aber auch die Darmstädter Künstlerkolonie wäre hier zu
nennen, war nur durch sehr reiche Auftraggeber möglich.
Olbrich hatte
diese Konzeption des Gesamtkunstwerks 1900 formuliert im Zusammenhang mit der
Auffassung dieser Epoche von Kunst und Leben überhaupt: „Kunst ist nichts
anderes, als eine harmonische und ästhetische Inszenierung des Lebens, Kunst
ist nichts anderes als das Leben aus der Sicht eines Temperaments und seines
Bewusstseins…“68. Diese Konzeption bewirkte eine gewisse
Umformung der bis dahin und heute wieder getrennten Werkbereiche, wenn etwa
Architektur in Plastik übergeht oder Malerei die Funktion der Raumausschmückung
innerhalb der Gesamtdekoration erhält. Begehbare Räume präsentierten die
Gesamtwirkung des neuen Stils sehr viel überzeugender als Einzelobjekte. Adler
hat mehrere Gesamtinterieurs entworfen 69, aber auch hier ist es
entweder nicht sicher, ob der Entwurf ausgeführt wurde oder der Verbleib ist
unbekannt – Probleme, die uns bei Adlers Werk leider öfters begegnen. Diese
Idee des Gesamtkunstwerks hielt sich bemerkenswerterweise, mit anderen
Vorzeichen, bis in die Konzeption des Bauhauses hinein als gestalterisches Ziel.
70
2.6 Technische Reproduzierbarkeit .- Als letzter Teilaspekt oder
Faktor in der Entwicklung zum Jugendstil hin ist dieser Stand der technischen
Entwicklung zu nennen. Mehrfach wurde der entscheidende Kontext industrieller
Produktionsweise für Gebrauchsgegenstände und ihre Gestaltung angesprochen.
Man kann es als
entscheidendes Ereignis in der Geschichte der dekorativen Kunst sehen, dass die
industrielle Produktionsweise das traditionelle Verhältnis zwischen Wert und
Herstellungsaufwand der Produktgestaltung umgeworfen hat71 und vor
allem auch einen entscheidenden Anstoß zur Neubesinnung gegeben hat – von
England ausgehend bis nach München, Darmstadt oder Wien. Der
Herstellungsaufwand hatte sich durch die Technisierung stark verändert.
Walter Benjamins
berühmter und für unseren Kontext anregender Aufsatz Das
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ist zwar erst
1936 entstanden, aber das untersuchte Problem stellte sich letztlich seit dem
Aufkommen industrieller Fertigungstechnik. „Um
neunzehnhundert hatte die technische Reproduktion einen Standard erreicht, auf
dem sie … die Gesamtheit
der überkommenen
Kunstwerke zu ihrem Objekt machen und deren Wirkung den tiefsten Veränderungen
zu unterwerfen begann…72 (Ich habe den Teil des Zitats, der zur
Filmproduktion überleitet, ausgespart); man kann den Gedanken aber auch
erweitern, indem man ergänzend noch die Designobjekte einfügt. Zu beachten ist
natürlich, dass Benjamin das ortsgebundene originale Kunstwerk im Blick hat.
Nach Benjamin ist
für das originale Kunstwerk sein Hier und Jetzt zentral und konstitutiv. Ursprünglich
ist das Kunstwerk in den Traditionszusammenhang des Kults eingebettet, aus dem
es seine Aura, seine Strahlkraft, die „einmalige Erscheinung einer Ferne“
bezieht. Die Reproduktionstechnik aber löst das Reproduzierte aus dem Bereich
der Tradition. Alles vom Ursprung her Tradierbare mache jedoch die Echtheit aus.
Die technische Reproduzierbarkeit nun emanzipiert das Kunstwerk gleichzeitig von
seinem „parasitären Dasein am Ritual“.
Mit der
technischen Reproduzierbarkeit hängt für Benjamin etwas Zweites zusammen:
seine Ausstellbarkeit, sein Ausstellungswert, eine neue Funktion, die das
Kunstwerk qualitativ verändert habe. Die Lösung vom kultischen Ursprung habe
auch ihren Schein der Autonomie aufgelöst. Die Bedeutung der Ausstellungen für
die Verbreitung des Design wurde bereits erwähnt.
Diese kurz
skizzierten Gedanken Benjamins sind für die Situation um die Jahrhundertwende
in mehrfacher Hinsicht erhellend. – Die Münchner Gruppe war sich der
Konkurrenz massenhaft hergestellter Gebrauchsgegenstände voll bewusst; für die
erste Ausstellung 1897 wurde, u. a. von Riemerschmid und Obrist die
programmatische These verkündet: „Diese Ausstellung …legt daher das
Hauptgewicht auf Ursprünglichkeit der Empfindung sowie auf eine künstlerisch
wie technisch vollendete Ausführung solcher Kunstgegenstände, die den Bedürfnissen
unseres modernen Lebens entsprechen.- Sie schließt…alles aus, was als eine
gedankenlose und unwahre Nachbildung oder Nachahmung fremder Stilarten
erscheint; was sich nicht auf der Höhe der modernen Technik befindet…“.73
Die „Vereinigten Werkstätten“ und vergleichbare Unternehmungen strebten
letztlich nichts weniger an als eine „Durchdringung der gewerblichen
Produktion mit künstlerischem Geist auf der Basis der modernen, großindustriellen,
Wirtschaftsorganisation und somit auch der modernen Technik“.74 Von
Bing wird berichtet, dass er die Produktion von Art Nouveau-Objekten in einem
bis dahin nicht da gewesenen Ausmaß durch die Koordinierung von Design und
industrieller Fertigung, von Künstler und Handwerker bis hin zur
Mustereintragung beim Patentamt durchrationalisiert hat. 75
Die radikale
Abgrenzung von der Nachahmung fremder
Stilarten zielt genau auf den Historismus. Die Entwicklungsrichtung zu einem
rationalen Funktionalismus mit weitgehend maschinell herstellbaren Bauteilen war
die eine Komponente dieser Bewegung, eine stärker ornamental orientierte die
andere. Erstere findet ihre Fortsetzung im Umkreis des Bauhauses, die Bezugnahme
aufs Ornament wird großenteils im Art Deco fortgesetzt. Keiner dieser
handwerklichen Initiativen zur Produktion größerer Stückzahlen gelang ein
wirtschaftlicher Durchbruch, selbst später den Bauhausangehörigen nicht.
Zurück zur Möglichkeit
der technischen Reproduzierbarkeit und dem Begriff des Originals.- Im Werk
Adlers finden sich mindestens drei Bereiche, an denen sich ihm einerseits das
Problem des Verzichts auf das Einmalige des original Gestalteten stellte und wo
die Absicht der Vervielfältigung schon von Anfang an bestand; zum anderen
stellte er sich bewusst der Frage, wie die technische Reproduzierbarkeit des von
ihm Geschaffenen zu realisieren sei und worauf er unterschiedliche Antworten
fand. Hierbei ist die Antwort in ganz entscheidendem Maße von dem zur Verfügung
stehenden technischen Entwicklungsstandard abhängig.
Als erstes ist
die Möglichkeit der Vervielfältigung beim Guss von Metallobjekten zu nennen,
wo die Realisation in den Händen eines handwerklichen Spezialbetriebes lag und
die Auflage natürlich sehr begrenzt ist, wodurch die Spannweite des Begriffs
„Reproduktion“ deutlich wird. Dieser technischen Trennung von Formentwurf
und Guss verdanken wir übrigens das unwahrscheinliche Glück der Möglichkeit
eines Nachgusses wie bei dem Sedergerät im Laupheimer Museum. Da aber nicht
immer die Autorschaft des Entwurfs ganz eindeutig ist, finden wir hier
gelegentlich auch nur eine „Zuschreibung“.
Das zweite
Beispiel ist die Technik des Stoffdrucks, für Massenproduktion in der
Textilindustrie üblich. Adler scheiterte hier mit dem Versuch, vom Prinzip der
Batiktechnik ausgehend, eine Maschine für größere Auflagen zu entwickeln. Die
gewissermaßen auratischen Qualitäten der traditionellen, handgefertigten Batik
ließen sich nicht auf die technische Reproduktion übertragen. So ist das
letzte – vielleicht schönste – in „Wachsreservetechnik“ ausgeführte,
also batikähnliche Werk Adlers von 1937 wieder ein Unikat. Seine Entwürfe für
die Teppichfabrik Wurzen sind wegen ihrer eher traditionellen Ornamentik und,
teilweise auch dem Rapportprinzip, eindeutig für die technischen Reproduktion
bestimmt.
Das dritte
Arbeitsfeld, das im Zusammenhang mit der Frage der technischen
Reproduzierbarkeit von Designobjekten bei Adler zu betrachten ist, ist das
hochinteressante Feld der Kunststoffentwürfe
für die Bebrit-Werke. 76 Gropius hatte schon 1926 in den Grundsätzen
zur Bauhausproduktion die „Herstellung von Serienprodukten durch die
entschlossene Berücksichtigung aller modernen Herstellungsmethoden,
Konstruktionen und Materialien“ gefordert, aber erstaunlicherweise sind von
niemandem aus diesem Umfeld entsprechende Entwürfe bekannt. Bemerkenswert ist,
dass Adler vermutlich den gesamten Bereich ‚Haushaltswaren‘ von Bebrit mit
ca. insgesamt 30 Objekten auf der Basis des Kunstoffs „Pollopas“ gestaltet
hat, und zwar in der Zeit, als bereits seine Ausgrenzung eingesetzt hatte. Die
formschöne Schlichtheit der Tasse, deren Henkel reduziert ist zu einer
geriffelten Griffplatte, ist gleichzeitig der Extrempol zu den Münchener Anfängen
seines Werks und macht dessen Spannweite bewusst. Sein Name musste von der Firma
verschwiegen werden, aber offenbar war er im quantitativen Endergebnis
erfolgreicher als das Bauhaus, dem es nie gelang, Standardprodukte in großen
Serien in Zusammenarbeit mit Firmen zu realisieren. Auch hier begegnet uns
wieder die Tragik seines Schicksals, das eine entsprechende Anerkennung lang
verhindert hat.
Für die
technische Reproduktion schließlich sind auch die beiden Bucheinbände für die
DVA bestimmt; leider hatte Adler offenbar keine Gelegenheit für weitere
Arbeiten auf diesem Gebiet. Bücher waren innerhalb der Designkonzeptionen der
Jahrhundertwende und ihrer Vorstellung vom Gesamtkunstwerk im Extremfall ein
Gesamtkunstwerk im Kleinen , teilweise mit durchgehend eigener
Schriftgestaltung, was hier allerdings nicht der Fall ist. Ihrer Entstehungszeit
gemäß sind Adlers Entwürfe stark linear strukturiert.
Die Überlegungen
Benjamins nochmals aufgreifend, könnte man Adlers Werk aufteilen in die bewusst
zur Vervielfältigung bestimmten Werke aufgrund entsprechender Entwürfe und die
Arbeiten mit der Aura des Einmaligen des traditionellen Kunstobjekts. Hinzu
kommt noch ein Faktum, das die Verschiebung zum Singulären mit zunehmender
zeitlicher Distanz begünstigt: auch die für Mehrfertigung konzipierten Werke
werden zunehmend seltener und nähert sie gewissermaßen dem Original an.
3. Kunst und Judentum in Deutschland
Zum letzten
Abschnitt dieser Herausarbeitung von Kontexten des Werkes Friedrich Adlers.- Er
steht nicht in einem systematischen Zusammenhang mit den vorhergehenden Überlegungen
zum Jugendstil und den auf ihn folgenden Tendenzen, sondern ergibt sich zwangsläufig
als geschichtlicher Kontext aus Adlers Biografie. Adlers Schaffen und sein Leben
fallen in die entscheidende Periode der Geschichte der deutschen Juden, das 20.
Jh., ihren Höhepunkt und ihre Katastrophe. Beides, Höhepunkt und Katastrophe,
prägen Werk und Biografie. Letztere nicht nur durch seine Ermordung in
Auschwitz, sondern auch vor allem schon durch die zunehmende Einschränkung der
Arbeitsmöglichkeiten und die Vernichtung seines Nachlasses.
Die Tatsache,
dass die Werkbundausstellung in Köln 1914 den jüdischen Kultraum und damit das
Judentum offenbar selbstverständlich als gleichberechtigte Konfession – bei
einem Bevölkerungsanteil von nur etwa einem Prozent - voraussetzte, ist
insbesondere deswegen bemerkenswert, weil das Kaiserreich von einem zunehmenden
Antisemitismus geprägt war. Das Judentum war im Wesentlichen eine großstädtische
Gruppe mit einer gewissen Distanz zur eigenen religiösen Tradition und
zunehmender Akkulturation. Offenkundig unterscheiden sich die Verhältnisse in
Hamburg nicht von denen im Reich. 77 In diesem Antisemitismus flossen
unterschiedliche ideologische Strömungen zusammen; als wichtigste Momente sind
die Gegnerschaft zum Liberalismus, das Unbehagen an der Moderne insgesamt und
nicht zuletzt die Ideologie des Wagner-Kreises zu nennen. Wagners Vorurteil von
der Kunst-Unfähigkeit der Juden wird trivialisiert in der These, sie könnten
nicht teilhaben an dem, was die deutsche Nation ausmache. Nun ist es der
aufkommende Zionismus, der diese These aufgreift und quasi ins Positive wendet,
wenn Buber 1901 verkündet, im künstlerischen Schaffen sprächen sich die
spezifischen Eigenschaften der Nation am reinsten aus; folglich „ist unsere
Kunst der schönste Weg unseres Volkes zu sich selbst.“ Eine jüdische Kunst
wird aus dem ästhetischen Diskurs der Moderne begründet; 78 1913
formulierte Heimann, Adressat jüdischer Kunst könne allein die jüdische
Gemeinde sein.
Auch später,
nach dem Krieg, versuchen jüdische Publizisten aktuelle Kunstentwicklungen mit
vermeintlicher jüdischer Tradition zu verbinden, wenn sie etwa die
apokalyptischen Visionen mit dem Geist der Propheten verbinden – nach Bertz
der gleiche Zirkelschluss wie schon bei Buber in der Behauptung einer Übereinstimmung
von Judentum und Moderne 79. In dieses Umfeld gehört auch Hermann
Struck, der nach Palästina auswanderte und Adler bereits 1933 nach Jerusalem
holen wollte 80. Dass Adler dieser Bitte nicht folgte, legt nahe,
dass er sich nicht mit dem Zionismus identifizierte. Dennoch scheint ihm 1910
das Ziel einer „großen jüdischen Kunst“ vorgeschwebt zu haben und seine
beiden Synagogenobjekte von 1912 machten ihn zum ersten namhaften Designer für
jüdisches Kultgerät 81. Die Zeugnisse seiner Mitarbeit an der
Laupheimer Synagoge 1903 und der Hamburger Synagoge Oberstaße 1931 wurden durch
deren Zerstörung vernichtet. Deutsch-nationalistische Töne, die die
„deutsche Volksseele“ bemühten, machten sich übrigens schon bald in der
Rezeption und Wertung der Arbeiten der „Vereinigten Werkstätten“ geltend. 82
Das bedeutet, dass die Herausbildung der Moderne auch im Design bereits zu
dieser Zeit eingebettet ist in politische Ideologisierungen, die sich
selbstredend nach 1933 verschärfen.
Das schon vom
Format her eindrucksvollste Werk Adlers, das das Laupheimer Museum besitzt, die
Zweitfertigung des Buntglasfensters von 1919 mit den 12 Stämmen Israels,
verdankt seine Entstehung letztlich auch diesem Hintergrund der zionistischen
Bewegung, da der Markenhof ja Auswanderungswillige auf Palästina vorbereiten
sollte. Aufschlussreich für Adlers künstlerische Entwicklung und seine neue
Formensprache ist der Vergleich dieses Werkes mit dem nur als Abb. erhaltenen
Foto des Synagogenraums von 1914. Hier sind allerdings nur die Zeichen von sechs
Stämmen zu finden, so dass vermutlich ein Gegenstück dieses Fensters
existierte. Nur jeweils zwei der vier senkrechten Felder sind mit Symbolen für
die Stämme besetzt, die übrigen durch zart konturierte, meist
achsensymmetrisch angeordnete organische Formen einschließende Metallstege
strukturiert.
1919 dagegen ist
unverkennbar der Einfluss der Formensprache des deutschen Expressionismus,
was sich stellvertretend an Meidners „Apokalyptischer Landschaft“ von
1912/13 demonstrieren lässt. Diese Formen übernimmt Adler für die Technik des
Glasfensters und passt sie ihr an. Also ein weiterer Kontext aus der bildenden
Kunst. - Meidners Werk zeigt als hervorstechendes Merkmal, dass die
Rechtwinkligkeit zugunsten gezackter, oft schwarz konturierter, scharf
abgegrenzter Einzelformen aufgegeben ist. Adler setzt diese Elemente einer
expressiven Formensprache im Gerüst der Stege um, wobei die Strahlen im Feld
der Bundeslade für Levi und die Umgebung des Schwertes für Simon auch in den
Farbtönen hervorstechen. Bemerkenswerterweise impliziert die doch beibehaltene
Symmetrieachse – ebenso wie bei den Josefsgarben – ein traditionelles
Ordnungsprinzip und eine gewisse Regelmäßigkeit, wenn wir die formalen
Einheiten auf dem expressionistischen Gemälde dagegenhalten. Polygone
Grundformen tauchen bei Adler immer wieder auf, aber in sich meistens
symmetrisch, wovon er hier großenteils abweicht. Auch die Achsen von Baum und
Rebe sowie die Ruder des Schiffs stellen dynamische Elemente dar, die die Ruhe
einer rechtwinkligen Ordnung stören. Allenfalls der elegante Bogen der Körperform
des Hirsches erinnert an das Lineare im Ornament früherer Werke. Der
Unterschied zur mittlerweile vergangenen Formensprache des Jugendstils in dieser
Technik des Glasfensters wird sehr gut deutlich im Vergleich mit Arbeiten etwa
von Tiffany. Adlers Werk wurde als Unikat konzipiert; letztlich hat auch die
Zweitfertigung dessen Aura, um Benjamins Begriff zu benutzen, denn es ist keine
technische Reproduktion des Originals. Da der Jugendstil als ein wesentlicher
Wegbereiter des Expressionismus gesehen werden kann, haben wir an diesem
Werkbeispiel Adlers gewissermaßen einen Beleg für diesen Zusammenhang.
Das Erlebnis des
ersten Weltkriegs und die Demütigung durch die Judenzählung in der Armee 1917,
verbunden mit der Erfahrung, nicht vollwertig als Deutsche akzeptiert zu sein,
ist eine entscheidende Erfahrung für die deutschen Juden, somit auch für den
mehrfach ausgezeichneten Friedrich Adler. Sein wegen seiner Schlichtheit noch
heute eindrucksvolles Kriegerdenkmal auf dem jüdischen Friedhof, ohne alles
nationalistische Pathos nur „unseren Söhnen“ gewidmet, reflektiert möglicherweise
auch diese Erfahrung. Formal ist es natürlich von den Vereinfachungstendenzen
der Zeit nach dem Krieg geprägt. Seine Grabsteinentwürfe gehören in gewisser
Weise ebenso zum religiös-kulturellen Kontext, zumal die jüdische Tradition
hier, vor allem seit dem 19. Jh., eine bestimmte Ikonografie entwickelt hat, von
der sich Adler löst. Höhepunkte sind hier der Grabstein für Rebecca Laemmle,
wo das durchbrochene Ornament mit eine kalligrafischen Initialengestaltung
verbunden ist, und, in seiner formalen Strenge und äußersten geometrischen
Stilisierung des Prinzip organischen Wachstums, die Grabstele für seine Mutter.
Sie gehört zu den Werken mit der größten Affinität zum Art Deco. Erst bei
genauer Betrachtung erschließt sich das raffinierte Spiel von Symmetrie und
Abweichung. Es handelt sich nicht um ein Ornament auf einem Grabstein, sondern
um eine eigenständige Plastik
Adlers metallene
Kultgeräte, im wesentlichen aus der Zeit vor dem Krieg, sind formal einerseits
durch die kultbedingte Funktionsvorgabe einschließlich Schriftzeichen
determiniert, lassen andererseits aber auch unverkennbar die Handschrift von
Adlers profanen Metallarbeiten erkennen.
Dieser kurze Überblick
konnte nur das Panorama vielfältiger Einflüsse andeuten, die den Zusammenhang
der für Adler entscheidenden Jahre geprägt haben.
Anmerkungen
1 Lorenz, 128
2 s. Moles, 48ff
3 Joppien in: Art
Nouveau, 238
4 Fahr Becker,
2004/07, 22
5 Schäll, 15
6 Fahr-Becker,
2004/07, 32
7 ebd.25
8 ebd.175
9 ebd. 255
10 Hofstätter,
13
11 Fahr-Becker,
2004/07, 245
12 Adler-Kat. ,
Negendank/Winter 196 ff, Hofstätter 13
13 Fahr-Becker,
2004/07, 179
14 Sembach, 158
15 s. Art
Nouveau, 18, 33, 189ff
16 S. 16
17 S. 195
18 S. 200
19 Fahr-Becker,
2004/07, 335
20 Art Nouveau,
236
21 s. Guimard, 90
ff
22 Gibson, 19, 24
23 Art Nouveau,
115
24 Fahr-Becker,
2004/07, 150
25 Jugendstil (Meritverl.),
25
26 Fahr-Becker,
2004/07, 23
27 Fahr-Becker,
1993, 23
28 dies. 2004/07,
9 f
29 ebd.10
30 ebd. 128
31 dies. 2008, 17
32 Weisberg in:
L‘Art Nouveau 51 ff
33 Gombrich, 52 f
34 ebd. 65
35 ebd. 66
36 Jones, 5
37 Gombrich, 59 f
38 Adler-Kat.,
Ottomeyer, 17
39 s. Bloom
Hiesinger, 18 f
40 Fahr-Becker,
2004/07, 76
41 Guimard, 12,
102
42 Adler-Kat. 306
f, 376
43 Fahr-Becker,
2004/07, 160
44 Adler-Kat.,
Ziffer, 38
45 Adler-Kat., v.
Hase-Schmundt, 213
46 ebd. Ottomeyer,
17
47 Fahr-Becker,
2004/07, 220 f
48 ebd. 118 f
49 Abb. in
Jugenstil. Merit-Verlag, 51
50 Worringer, 5
51 ebd. 6
52 ebd. 17
53 Jugendstil.
Merit-Verlag, 8
54 Fahr-Becker,
2008, 73
55 ebd. 162 f
56 Schäll, 19 f
57 Hevesi 1909,
zit. Fahr-Becker 2004/07, 272 f
58 Adler-Kat.,
30, 90
59 Droste, 58
60 Honisch, in:
Zwanziger Jahre 1/1
61 Droste, 84
62 ebd. 161
63 Zwanziger
Jahre, 164 f
64 ebd. 1/ 176
65 Adler-Kat.,
Joppien/Klingbeil, 57
66 ebd., Pese,
154
67 zit. bei
Deuchler, 166
68 Fahr-Becker,
2004/07, 242
69 Adler-Kat.,
253-265
70 s. Droste , 54
71 Gombrich, 43
72 Benjamin, 13
73 Blohm
Hiesinger, 10
74 ebd.,Sombart,
15
75 Weisberg, in:
L‘Art Nouveau, 182 ff
76 s. hierzu
Leonhard, Adler-Kat. 384 ff
77 Lorenz in: Die
Juden in Hamburg
78 Bertz, 150 ff
79 ebd. 158
80 Adler-Kat.,
Schäll, 30
81 Adler-Kat.,
Joppien/Klingbeil, 53
82 s. Blohm
Hiesinger, 18
Literaturverzeichnis
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Art Deco. Hamburg
1990
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Jugendstil.
Hamburg 1990
L’Art Nouveau.
Ausstellungskatalog Stuttgart 2005
Loos, A.:
Ornament und Verbrechen. Wien 2000
Lorenz, O.:
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