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Glasmalerei-Entwürfe von Friedrich Adler

und die ausführenden Glaskunstanstalten


Von Ernst Schäll, Laupheim

 

Friedrich Adlers Künstlerleben, das für den Vierundsechzigjährigen 1942 in einer Gaskammer von Ausschwitz endete, war über Jahrzehnte vergessen. Erst in den vergangenen 22 Jahren erschienen dazu eine Anzahl Veröffentlichungen. Besonders die Ausstellung „Friedrich Adler – zwischen Jugendstil und Art Déco“, die 1994/95 in Laupheim und in großen deutschen Museen präsentiert, zuletzt 1995/96 in Chicago/USA gezeigt wurde, hat Adler seinen Ruf als bedeutenden Künstler und Kunstpädagogen zurückgegeben. Die Ausstellung wurde von namhaften Kunstwissenschaftlern, dem Münchner Stadtmuseum und dem Nürnberger Germanischen Nationalmuseum initiiert. Ein aufwendiges Katalog-Buch hat die Ausstellung begleitet. 

Seit der Neueröffnung des „Museums zur Geschichte von Christen und Juden“ im Schloß Großlaupheim, ist Friedrich Adler und seinem Werk ein eigener Raum gewidmet. In München, Nürnberg, Berlin und Hamburg, sowie in Philadelphia und Chicago gehören Adlers Arbeiten zum ständigen Ausstellungsgut.

Der vorliegende Beitrag ist ausschließlich seinen Buntglasfenster-Entwürfen für Synagogen gewidmet. In Adlers Gesamtwerk spielten diese eher eine untergeordnete Rolle. Obgleich er durch eine Anzahl Entwürfen jüdischer Kultgeräte und Synagogen-Interieurs umwälzend Neues schuf, wäre es doch verfehlt, in ihm einen typisch jüdischen Künstler zu sehen, denn die Mehrzahl seiner Entwürfe der angewandten Kunst sind profaner Art.  

 

Geschichte und Technik der Glasmalerei

Die Geschichte der Glaskunst geht bis in die Antike zurück und fand ihren Höhepunkt in den Sakralbauten der Gotik. Diese sogenannte Mosaikverglasung findet ihren bildnerischen Ausdruck ausschließlich in den Farbgläsern und den Bleiruten, die optisch als Zeichnung wirken und den Zusammenhalt der Gläser gewährleisten. Die Wahl der farbigen Gläser und das durchstrahlende Sonnenlicht vollenden die Umsetzung des Entwurfes.

In der Zeit der Renaissance, die von Italien kommend in Deutschland erst im 15. Jahr hundert Einzug hielt, entwickelte sich die Musivische Glasmalerei, zu deren Motivge­staltung zusätzlich zur Mosaikverglasung eine Schwarzlot-Aufmalung kam. Diese konnte zur Verstärkung des Ausdrucks in Gesichtern und Gewanddrapierungen, bei Menschendarstellungen und ornamentalen Verzierungen dienen, zeigte aber auch den Niedergang der Glasmalerei-Kunst an.

Mit der Barockkunst des 17. und 18. Jahr­hunderts verschwanden auch die Buntglasfenster. Der reiche Kirchenschmuck des Barock und Rokoko, oft mit farbigem Stuck, mit großflächigen Freskenmalereien, reich vergoldeten Statuen und vielfarbiger Marmorierungen, bedürfen viel Licht, das durch bunte Fenster gestört wäre. So vergingen zwei Jahrhunderte, in denen die handwerklichen Techniken, doch weit schlimmer, auch die Rezepturen zur Herstellung der farbigen Gläser verloren gingen. Es dauerte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als mit der eklektischen Architektur, vorwiegend der Neugotik, die Glasmalerei wieder in Mode kam. Doch es wurde zunächst ein Neuanfang mit falschen Ansätzen. Die mangelhafte Mosaikkunst wurde durch Emailmalerei auf das Glas ersetzt.

Textfeld: Entwurf für zwei Jugendstil-Buntglasfenster in der Synagoge Laupheim (1903). Zerstört in der Progromnacht am 9. November 1938

 

In England war die Entwicklung weiter fortgeschritten. Um 1830 erfolgte die Gründung der Bruderschaft der Präraffaelisten. Diese Gruppe um William Morris führte später zur „Arts and Crafts Bewegung“, deren Mitgliedern einen wesentlichen Anteil an einem künstlerisch und handwerklichen Neuanfang zu verdanken ist. Ausgehend davon entstand 1890 der deutsche Jugendstil, in dem mit neuen Stilelementen an die klassische Glaskunst angeknüpft wurde. Der kurzlebige Jugendstil, dessen Impulse die Kunst und Architektur und viele Bereiche des täglichen Lebens veränderte, brachte der Glaskunst einen noch nie zuvor dagewesenen Aufschwung, und dies alles in der kurzen Zeit von nur knapp 20 Jahren.

 

Friedrich Adlers

Synagogenfenster-Entwürfe

 

Anläßlich der Restaurierung und Modernisierung des Laupheimer jüdischen Gotteshauses im Jahre 1903 wirkte Friedrich Adler mit. Gesicherte Entwürfe sind der Tora-Vorhang und zwei identische, ornamentale Jugendstil-Buntglasfenster. Adler war zu dieser Zeit Lehrer an den angesehenen „Lehr- und Versuchsateliers für freie und angewandte Kunst“ in München. Ausgeführt wurden die Fenster in der Glaskunstwerkstatt Karl Ule in München, die als modern und fortschrittlich galt. Andere namhafte Künstler, wie Peter Behrens, Richard Riemerschmid und Bruno Paul ließen ebenfalls dort ihre Entwürfe ausführen. Karl Ule, 1858 in Halle geboren, erhielt seine Ausbildung in der Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin. Die Karl Ule Anstalt für Glasmalerei, Verglasung und Glasmosaik bestand von 1886 bis 1905. Beim sich abzeichnenden Niedergang des Jugendstils verließen viele Künstler München. Ule wurde Professor an der Kunstgewerbeschule Karlsruhe, Friedrich Adler ging 1907 nach Hamburg und lehrte dort an der Kunstgewerbeschule bis zu seiner Zwangspensionierung 1933. Karl Ule wird zugeschrieben, er habe das wegen seiner außergewöhnlichen Strukturen geschätzte Opaleszent-Glas nach München gebracht. Die zeitgenössische Literatur berichtet u.a.:

„ . . . Die Wirkung dieser Kunst liegt in der ausgesprochenen Teppicherscheinung  und der mosaikartigen Aneinanderfügung geeigneter farbiger Gläser unter Zugrundelegung zweckmäßiger Konturführung. In einer weisen Be­schränkung dieser auf das Notwendigste und in dem richtigen, wohl abgewogenen Wechselverhältnis von formgebender Linie – Blei – und farbiger Erscheinung – Glasplatte – bekundet sich die künstlerische Befähigung zur Lösung der gegebenen Aufgabe. Als einer der führenden Bahnbrecher für diese neue Art von Buntverglasung trat Karl Ule auf, dessen Namen mit der modernen Bewegung unlösbar verbunden ist.“1)

In Karl Ule fand Friedrich Adler den idealen Partner für die Umsetzung seines Entwurfes der Fenster für die Synagoge seiner Heimatstadt Laupheim. Erich Treitel, Sohn des letzten Laupheimer Rabbiners, Dr. Leopold Treitel, der als Emigrant in Buenos Aires lebte, erzählte vor Jahren dem Verfasser dieser Zeilen, wie er als Bub beim Einbau der Fenster zugeschaut und Friedrich Adler selbst mitgearbeitet habe.

35 Jahre danach, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der Pogromnacht der Nationalsozialisten, als die jüdischen Gotteshäuser in Deutschland brannten, wurden auch Adlers Fenster ein Raub der Flammen. Jahre danach wurden auf dem Dachboden eines einst jüdischen Hauses Fragmente der Fenster gefunden, die heute im Museum Schloß Groß-Laupheim ausgestellt sind.

Ein überliefertes schwaches schwarz-weiß-Foto des Synagogenraumes zeigt die Fenster nur sehr undeutlich. Eine Abbildung der Entwurfzeichnung mit Farbvorgabe2), die allerdings nicht farbig wiedergegeben ist, und die paar vorhandenen Glasfragmente können nur wenig von der einstigen Schönheit der Synagogenfenster vermitteln.

 

Die Buntglasfenster „12 Stämme Israels“ in der Synagoge der

Deutschen Werkbundausstellung 1914 in Köln

 

Die Werkbundausstellung am Rheinufer von Köln-Deutz war die großartigste und aufwendigste, die je von dieser Vereinigung veranstaltet wurde. Friedrich Adlers Entwürfe, unter Beteiligung seiner Klasse der Hamburger Kunstgewerbeschule, fand Beachtung und hohes Lob, welches sich in vielen Publikationen niedergeschlagen hat:

„Zu hohen Zielen hob sich die Raumkunst ganz hinten in der Haupthalle. Drei weite Kirchenräume,  zugleich als Rahmen für neuzeitige Erzeugnisse kirchlicher Kunst. Die evangelische Kirche mit Taufraum und Sakristei von Friedr. Pützer in Darmstadt, die katholische von Eduard Endler in Köln, die Synagoge von  Friedrich  Adler  in Hamburg. Eine Ausstellung in  der Ausstellung. Eine Fülle ernsten Wollens in allen dreien. Aber durch die einheitliche, tief dringende Durchbildung aller Teile bis in alle Winkel des Raumes und jede Linie der Geräte stand die Synagoge weit voran, eine der überraschendsten und anziehendsten Leistungen auf der Ausstellung, im besten Sinne werkbundmäßig nach Gesinnung und Form.“ 3)

Leider gibt es, was die Überlieferung der Darstellung anbelangt, einen erheblichen Mangel, denn es steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den mehrteiligen Fenstern nur eine Aufnahme von drei Teilen zur Verfügung und diese enthält keine Farben. Zwar war die fehlende Aufnahme, die jahrelang vergeblich gesucht wurde, zur Friedrich-Adler-Ausstellung 1994 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe aufgetaucht und auch ausgestellt, danach aber wieder auf rätselhafte Weise verschwunden. So bleibt nur, mit dem noch spärlich vorhandenen vorlieb zu nehmen.

Der „Laupheimer Verkündiger“ vom 20. Juli 1914 befaßte sich ausführlich mit Adlers Beitrag zur Kölner Ausstellung. Zu den Buntglasfenstern ist zu lesen:

„Von hervorragender Schönheit sind die nach Adlers Entwürfen ausgeführten Glasfenster. Sie tragen wesentlich zur Steigerung der Stimmung des in der ganzen Farbgebung wohl abgehobenen Raumes bei.“

 

Ausgeführt wurden die Fenster von Heinersdorff-Puhl und Wagner, Deutsche Glasmosaik-Gesellschaft Berlin. Gottfried Heinersdorff war einer der bedeutendsten Glaskünstler im damaligen Deutschen Reich. Er war nicht nur mit einem sensiblen Farbgefühl ausgestattet, sondern auch ein hervorragender Kenner der Glasherstellung, der schon in der Glashütte Einfluß auf die Herstellung der Farbgläser nahm, die er zu verarbeiten gedachte. Erst kurz vor Adlers Auftragsvergabe fusionierte er mit der Firma Puhl und Wagner, ebenfalls Berlin. Dadurch entstand die wohl größte Firma in Deutschland, die sich mit der Buntglasfenster-Herstellung beschäftigte.

Die Kölner Ausstellung stand unter keinem guten Stern. Durch eine Rhein-Überschwemmung verzögerte sich die Eröffnung um Wochen. Als die Eröffnung endlich am 16. Mai stattfand, war der 1. Weltkrieg nicht mehr fern. Am 1. August erklärte Deutschland Rußland den Krieg. Das bedeutete ein abruptes Ende. Die Hallen wurden hastig geräumt und vom Militär belegt. Später, wohl erst nach Kriegsende, wurden die offensichtlich beschädigten Fenster ausgebaut. Eine Anfrage von Heinersdorff-Puhl und Wagner um Zuschuß für eine Restaurierung wurde mit Schreiben vom 6. Mai 1921 von der Reichsvermögensverwaltung für das besetzte rheinische Gebiet abgelehnt. (Die Ausstellung war in Köln-Deutz, also links-rheinisch und von den Franzosen besetzt.)

Es ist naheliegend, daß die Fenster demontiert und die Gläser anderweitig wiederverwendet wurden.

Aus der überlieferten Abbildung ist, wie schon erwähnt, keinerlei Farbigkeit abzuleiten. Daß es sich um die untere Fensterreihe handelte, ist sicher. Dargestellt sind die Symbole der Jakobssöhne Benjamin, Ascher, Simeon (Simon), Sebulon, Jehuda (Juda) und Dan in einer floralen, spätjugendstilhaften Ornamentik. Auch die Technik, in der die Verglasung ausgeführt war, kann nicht beurteilt werden. Lob und Bewunderung auch von fachkompetenter Seite läßt erahnen, daß ein schönes Kunstwerk verlorengegangen ist.

 

Die 12-Stämme-Fenster im Tel Aviv Museum of Art

 

Die Geschichte dieser Buntglasfenster ist auch ein Stück der Auswanderungsbewegung junger jüdischer Menschen in das Land ihrer Väter, welches damals Palästina hieß.

In Burg, nahe Kirchzarten im Hochschwarzwald, erwarb der Freiburger jüdische Fabrikant Konrad Goldmann im Jahr 1919 das gräfliche Hofgut Markenhof, in welchem er noch im selben Jahr ein Lehrgut für junge, auswanderungswillige Zionisten einrichtete. Diese hatten das Vertrauen auf eine gute Zukunft in Deutschland verloren. Die Behandlung jüdischer Soldaten während des Ersten Weltkrieges zerstörte ihren Glauben daran. Der Antisemitismus trieb mit dem Aufkommen von Hitlers Nationalsozialisten dem Höhepunkt zu.

Es waren vorwiegend Studenten und Hochschulabsolventen aus Deutschland, wenige auch aus den baltischen Ländern, aus Rußland und der Tschechoslowakei, die sich in Gruppen von ca. 30 Personen ein bis zwei Jahre in allen Sparten der Landwirtschaft ausbilden ließen. Sie wollten mithelfen, eine neue Heimstätte für Juden in Palästina aufzubauen. 1925 kam Goldmanns Firma „Draht- und Kabelwerk Wego“ in finanzielle Schwierigkeiten. Er mußte den Markenhof verkaufen. Das bedeutete auch das Ende des Lehrgutes. Die Eleven kamen aus gutbürgerlichen, orthodoxen und assimilierten Familien. Das Lehrgut wurde glaubenstreu unter Einhaltung der Speisevorschriften geführt. So war es auch naheliegend, einen Betraum einzurichten. Dieser Synagogenraum für ca. 35 Personen ist mit Wandtäfelung, Kassettendecke und der Nische für den einstigen Toraschrein, sowie dem quadratischen Fenster, in dem einst die 12-Stämme-Fenster eingebaut waren, bis heute erhalten.

Konrad Goldmann war ein engagierter Zionist. Ihm lag viel daran, die Fenster zu erhalten. Die Nachbesitzer des Markenhofes erlaubten ihm 1931 den Ausbau der Fenster, um sie nach Palästina bringen zu lassen. Sie kamen nach Tel Aviv zum heute noch populären Bürgermeister der jungen Stadt, Meir Dizengoff, der in seinem Haus ein jüdisches Museum eingerichtet hatte, welches später im Tel Aviv Museum of Art aufging.

In einem 1999 im Archiv des Museums gefundenen Brief bedankt sich Dizengoff bei Goldmann für die angekündigte Schenkung:

„(Tel Aviv, 24. Nov. 1931) Sehr geehrter Herr Goldmann, Ihr Brief vom 3.11.31 hat mich sehr gefreut. Ich danke Ihnen herzlichst für Ihr freundliches Angebot. Natürlich sind wir bereit, die Fenster bei uns würdig aufzustellen. Wir wissen, daß es sich dabei um ein hervorragendes Kunstwerk von bleibendem Wert handelt. Auch Herr Professor Struck 4) ist über Ihre Gabe begeistert. Er hält Friedrich Adler für den bedeutendsten Kunstgewerbler für Synagogenkunst in Deutschland. Unser Künstlerkomitee, dem auch Professor Struck angehört, wird nach Eintreffen der Sendung Ihren Wünschen gemäß den passenden Ort für die Fenster finden. Mit mir zusammen wird unser ganzes kunstliebendes Publikum Ihnen sehr zu Dank verpflichtet sein. Indem ich Ihnen nochmals für Ihre Stiftung danke, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen Ihr ergebener Meir Dizengoff.“

Daß Goldmanns Bestellung auf einen Besuch der Werkbundausstellung zurückging, ist anzunehmen. Als Firmeninhaber und Ingenieur war ein Besuch geradezu Pflicht, war die Ausstellung doch auch für Technik und Maschinen. Die Wahl der Glaskunstanstalt von Eduard Stritt in Freiburg war naheliegend. Stritt wurde 1870 in Grafenhausen im Oberamt Calw geboren, studierte an den Kunstgewerbeschulen Karlsruhe und München, reiste in die Schweiz, nach Italien und Paris, um alte Glasmalerei zu studieren. Er war ein halbes Jahr in Amerika, wohl um die Anwendung des von Louis Comfort Tiffany erfundenen Opaleszentglases zu erlernen. Ob dies in den berühmten Tiffany-Studios in New York geschah, ist nicht überliefert. Stritt erwarb sich einen Ruf als Glasmaler weit über den süddeutschen Raum hinaus. Er schmückte mit seinen Fenstern außer Privatbauten Kirchen und Schlösser. Von Kaiser Wilhelm II. wurde ihm der Titel „Kaiserlicher Hofglasmaler“ verliehen.

Die Markenhof-Synagogenfenster waren Adlers dritter und letzter Glasfenster-Entwurf und der einzige, der Kriegszerstörung und Nazi-Brandschatzung überstanden hat. Sie zeigen sich uns heute als strahlendes Bild reiner Mosaikverglasung, auch wenn sie darunter leiden, der religiösen Erbauung im Sakralraum, sowie als Teil der ursprünglichen architektonischen Umgebung nicht mehr zu dienen, und Schaustück eines Museums zu sein.

Zweimal hat Adler die Jakobssöhne als Bildthema in Synagogenfenster eingebracht; erstmals 1914, 50 Jahre bevor Marc Chagall seine berühmten „Jerusalemfenster“ für die Synagoge des Hadassah-Krankenhauses in Jerusalem schuf. Während Chagalls Fenster mehr durch Farbensymbolik geprägt sind, sind Adlers expressiv gegenständlich.

Am Berg Sinai wurde der Bund zwischen Gott und dem Volk Israel geschlossen und das Gesetz, die Tora, übergeben. Sie schildert in Versen Personen, Ereignisse und Sinnbilder. Erst später schrieben Glaubenslehrer dazu Erklärungen. Die bedeutendsten dieser Bücher sind der Midrasch, das Buch der Belehrung, und die Haggada, die in erzählender Form Tora und Midrasch kommentiert. Da Menschendarstellungen nach jüdischer Glaubensauffassung in Synagogen verpönt sind, waren es von alters her Glaubenssymbole, die die Gotteshäuser zierten. Zu den frühen Symbolen, deren Ursprünge in der Tora liegen, gehören die 12 Stämme Israels nach den Namen der Söhne Jakobs. Aus Bibelversen gehen aber nur für sieben der Stämme Israels ganz eindeutige Symbole hervor. Diese sind in ihren Darstellungen seit alters her auch immer dieselben geblieben. Anders bei den fünf restlichen Stämmen, die sich durch Bibelaussagen verschieden versinnbildlichen lassen und deren Symbolik nicht eindeutig festgelegt ist. Die bildende Kunst hat sich in der Vergangenheit auch verschiedener Symbole bedient.

 

Die Symbole in Friedrich Adlers Synagogenfenster:

JEHUDA (JUDA): „Du, dir huldigen deine Brüder! Hast deine Hand in der Feinde Nacken; dir beugen sich die Söhne deines Vaters; du junger Leu Jehuda.“ (1.Mose 49,8) Adler stellt einen stolz schreitenden Löwen im grünen Talgrund vor einem hohen Gebirge dar.
REUBEN (RUBEN): „Du, mein Erstling, mir Kraft und meiner Stärke Erster (1. Mos. 49,3). Die Bibel verzichtet auf ein Symbol. Bei Adler ist es ein Baum.Baum für den Reichtum des Erstgeborenen.“
SCHIM‘ON (SIMON): „Brüder, des Raubs Gerät ihr Trachten. In ihren Kreis komm‘ meine Seele nicht.“ (1. Mos. 49, 5 und 6). In der Lutherübersetzung heißt es: „Simon und Levi, ihre Schwerter sind mörderische Waffen. Dargestellt ist ein Schwert in feurigem Strahlenbündel.
SEBULU (SEBULON): „Sebulon, an der See Gestade siedelt, er am Gestade bei den Schiffen, und seine Seite an Sidon ge­lehnt.“ (1.Mose 49,13) Adler stellt dies mit einem Dreimast-Segelschiff auf unruhiger See dar.
ISSACHAR: „Ein Esel, fressend, gelagert bei der Anrichte, er sah die Ruh, so gut, und wie das Land so lieblich.“ (1.Mose 49,, 14 und 15) Bei Adler ist es ein bepackter Esel mit gesenktem Kopf vor einer Gebirgslandschaft.
ASCHER: „Fett ist seine Speise, er liefert Königs Leckerbissen.“ (1.Mose 49, 20) Adler versinnbildlicht dies mittels einer Weinrebe mit reifen Trauben.
BENJAMIN: „ist ein Wolf der reißt; am Morgen zehrt er Raub, am Abend teilt er Beute.“ (1.Mose 49,27) Adler schuf als Sinnbild einen schreitenden, lechzenden Wolf.
DAN: „Dingt recht sein Volk, wie einer aus Israels Stämmen. Ja, Dan wird eine Schlange auf dem Weg und eine Otter auf dem Pfad.“ (1. Mose 49, 16) Dargestellt ist eine zusammengerollte Schlange, die ihren Kopf hoch emporhebt.
LEVI: (1. Mose 49.5 und 6)  Levi gilt als der Wächter des Allerheiligsten, mit der Bundeslade, in der die beiden Bundestafeln verwahrt wurden. Adler stellt die Bundeslade mit einer Diamanten- und Edelsteinsäule dar. Da die Brüder Simon und Levi gemeinsam in der Bibel genannt werden, reichen die vom Levi-Symbol ausgehenden feurigen Strahlen bis zum Simon-Symbol.
GAD: „Und zu Gad sprach er: Gelobt sei der, der Gad Raum macht! Er liegt wie ein Löwe und raubt den Arm und den Scheitel.“ (5.Mose 33, 20) Der als kampferprobt geschilderte Stamm wird von Adler als lie­gende Löwin dargestellt.
NAFTHALI „ist ein schneller Hirsch und gibt schöne Reden.“ (1.Mose 49, 21) Adler verwendet eine springende Hirschkuh vor Gebirge.
JOSEPH: Mich deuchte, wir banden Garben auf dem Felde und meine Garbe richtete sich auf und stand, und eure Garben umher neigten sich vor meiner Garbe“ (1.Mose 37,7). Josef, der vom Vater ohnehin Bevorzugte, steigerte durch die Erzählung seines Traumes  die  Mißgunst seiner Brüder, die ihn dann in eine Grube warfen.

Ein letztes Mal sah Friedrich Adler zusammen mit seiner Tochter Ingeborg 1936 die Fenster in Tel Aviv.

Friedrich Adler, der Entwerfer der Fenster und Konrad Goldmann wurden Opfer des Holocaust. Adler wurde in Ausschwitz ermordet, Konrad Goldmann, der vor den Nazis nach Frankreich geflohen war, wurde nach der deutschen Besetzung aufgegriffen und in ein Lager in die Pyrenäen verschleppt. Unter welchen Umständen er dort zu Tode kam, ist nicht bekannt. War es Gewalt, Hunger – oder Seuchentod, wir wissen es nicht.

In einer Sonderausstellung werden Friedrich Adlers 12-Stämme-Fenster im Tel Aviv Museum of Art noch in diesem Jahr präsentiert. Lange Jahre waren sie dort in restaurierbedürftigem Zustand deponiert. Zur Adler-Ausstellung wurden sie von der Münchner Hofglasmalerei Gustav van Treeck restauriert und danach in allen Ausstellungsorten gezeigt.

Die selbe Münchner Firma stellte für das Museum zur Geschichte von Christen und Juden im Schloß Großlaupheim eine Zweitfertigung her. Sie bilden dort einen der Höhepunkte.

 

Literatur:

- Thieme-Becker: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künste, Bd. 1, S. 85 und Band 33, S. 552

- Offizieller Katalog zur Deutschen Werkbundausstellung, Köln 1914

- Doering, Walter: „Der Burgwart, Verkünder der Schönheit deutscher Lande“,

 18. Jahr­gang, Nr. 4, 1917

- Rennert, Eberhard: „Jugendstilfenster in Deutschland“, Weingarten 1984

- ders.: „Originale Fensterentwürfe des Jugendstils“, Weingarten 1991

 -         Kannwander-Heise, Eva: „Glasmaler in München im 19.Jahrhundert“, München 1992

 

Anmerkungen:

 

1. Die Kunst – Monatshefte für freie und angewandte Kunst, Band 16, 1907, S. 193/94

2. Die Kunst – Monatshefte für freie und angewandte Kunst, Band 10, 1904, S. 229

3. Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1915, S. 21-22

4. Struck, Hermann, Berlin 1876 – Haifa 1944, Grafiker und Maler. Er war der bedeutendste Radierer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach der Jahrhundertwende leistete er einen entscheidenden Beitrag zur grafischen Kunst, auch als Lehrer bedeutender Künstler, u.a. von Louis Corinth, Max Slevoght, Marc Chagall und Max Liebermann. Als aktiver Zionist gehörte er dem Aktionskomitee der Zionistischen Organisation an. 1922 verließ er Deutschland und zog nach Palästina.

 

 

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