Landwirt und Landtagsabgeordneter
- 12. Oktober 1882 bis 8. Juli 1957
- Verheiratet mit Kreszenz Ganser geb. Hegerle (1887-1960),
gemeinsame Kinder:
- Franz (1919-1992)
- Theresia (1921-2002)
Der
gebürtige Laupheimer machte eine Ausbildung in
der Landwirtschaftsschule in Hohenheim und führte nach seinem Abschluss den
landwirtschaftlichen Familienbetrieb in Laupheim. Das Anwesen befand sich in der
Mittelstraße 36. Ganser – im Ort allseits als Bäuerles Baschde bekannt – war
Mitbegründer der Molkereigenossenschaft in Laupheim und leitete von 1919 bis
1922 die dortige Bezugs- und Absatzgenossenschaft.
Stark
geprägt vom Katholizismus war Ganser bereits von 1920 bis 1924 Abgeordneter der
Deutschen Zentrumspartei im Württembergischen Landtag. Darüber hinaus war er im
Laupheimer Gemeinderat aktiv. Für ein funktionierendes Gemeinwesen galt ihm das
gleichberechtigte Miteinander von Christen und Juden als selbstverständlich und
dementsprechend war er mit vielen jüdischen Mitbürgern freundschaftlich
verbunden, beispielsweise mit der
Familie von Max Obernauer.[1]
Gansers
Ehefrau Kreszenz war regelmäßige Kundin bei der ebenfalls in der
Mittelstraße gelegenen
jüdischen Textilwarenhandlung
Hofheimer. Als sie
eines Tages beim Einkauf nicht genug Geld hatte, reagierte Frau
Hofheimer schlicht mit den Worten: "Noch brengscht halt a paar
Oier!" |
Diese – vermeintlich banale – Begebenheit ist natürlich nicht repräsentativ als Stimmungsbild der Laupheimer Gesellschaft vor 1933, dennoch illustriert sie am konkreten Einzelfall den unkomplizierten Umgang der Laupheimer miteinander, bei dem die Frage, ob Jude oder Christ, praktisch keine Rolle spielte.
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Heimatfest 1928 - Stadträte beim Festumzug (Sebastian Ganser in der Mitte, mit Schnauzbart) |
Nach der Machtergreifung durch die
Nationalsozialisten und der damit verbundenen Auflösung der
Zentrumspartei weigerte Ganser sich, Zugeständnisse an die neuen
Machthaber zu machen und gab gezwungenermaßen seine Tätigkeit im
Laupheimer Gemeinderat auf. Er blieb seiner Geisteshaltung treu und
„unterhielt konsequent nach 1933 gute Beziehungen zu jüdischen
Familien.“
[3]
So berichtet Sebastian Gansers Tochter Antonie beispielsweise, dass sich
Obernauer und Ganser regelmäßig im Ganserschen Anwesen trafen, aber nach
1933 dafür vorsichtshalber der Hintereingang gewählt wurde und Obernauer
sich bei drohender Gefahr hinter der Küchentüre verstecken konnte. Auch gab es
wiederholt nächtliche Übergriffe
durch SA-Leute und deren Sympathisanten, bei denen im Ganserschen
Anwesen in der Mittelstraße 36 (damals Adolf-Hitler-Straße) unter
lautstarken Drohungen Fensterscheiben eingeworfen und Wände mit
Schmähungen beschmiert wurden. Die Zeitzeugin berichtet auch wie sie als Kind in der Schule als „schwarzer
Hund“ beschimpft
und verprügelt wurde. Belegt ist eine weitere Begebenheit aus
dieser Zeit, bei der Ganser seine Abneigung gegen einen SA-Aufmarsch in
der Mittelstraße unverhohlen zeigte, indem er spontan den Mistwagen
anspannte, sich zum Düngen der Felder aufmachte und den SA-Leuten dabei
wörtlich in die Parade fuhr.[4]
„Der
ist immer mit einem Fuß im KZ gestanden, mein Vater. Weil er
sich einfach immer gewehrt hat, gegen alles. Der hat nicht
mitgetanzt mit den Nazis.“
[5]
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Pöbeleien durch Nazis und deren Mitläufer
waren eine Sache. Doch das NS-Regime zeigte der Familie Ganser ihr
menschenverachtendes Weltbild auch ganz unmittelbar: Augustin Ganser,
ein älterer Bruder von Sebastian, war geistig behindert und wurde über
mehrere Jahre hinweg in der Pflegeanstalt Heggbach versorgt. Im Zuge der
systematischen Ermordung von geistig behinderten Menschen durch das
Naziregime (Aktion
T4) wurde er in einer Nacht- und
Nebelaktion mit einem Sammeltransport aus Heggbach abtransportiert und
unmittelbar in
Schloß Grafeneck
ermordet. Nach Archiv-Unterlagen des Dokumentationszentrums der
Gedenkstätte Grafeneck geschah dies am 11.September 1940.
[6]
Sebastian Gansers Tochter Antonie erinnert sich noch gut an den
bedrückenden Tag als die ahnungslose Familie einen Brief aus Grafeneck
mit der formalen Nachricht über das ‚unerwartete Ableben‘ des
Familienangehörigen erhielt.[7]
Nach 1933 waren in Laupheim Diskriminierungen
gegen die jüdische Bevölkerung bald allgegenwärtig. Es kam zu
Zwangsenteignungen und bald folgten viele alteingessesene jüdische
Familien der Einsicht, dass es zur Flucht aus der Heimat keine
Alternative gab: wer dazu in der Lage war, emigrierte. Die meist älteren
in Laupheim verbliebenen und in Sammelunterkünften in der Wendelinsgrube
oder im ehemaligen Rabbinat zwangsuntergebrachten jüdischen Mitbürger
dagegen erwartete Deportation und Tod.
Es wird berichtet, dass Ganser jüdische
Familien bei der Flucht unterstützte. Als Leichenkutscher kümmerte er
sich in Laupheim um die Überführung von Verstorbenen. Wiederholt machte
er sich auch über die Ortsgrenzen hinaus auf den Weg, wenn jemand in den
Zwangsunterkünften für Juden in Heggbach oder Dellmensingen[8]
verstorben war. So ermöglichte er wenigstens eine würdevolle Bestattung
dieser NS-Opfer auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim.[9]
Mehrfach wurde er wegen seines oppositionellen
Verhaltens zu Verhören abgeholt, doch blieb es bis Kriegsende bei
verbalen Drohungen gegen ihn.
Eine Anekdote illustriert, weshalb es
im Laupheimer Gemeinwesen bei verbalen Drohungen gegen Sebastian
Ganser blieb: Er war schlagfertig und hatte meist genug
Beweislast gegen die, die ihn anschwärzten. So wurde er während
des Kriegs von einem linientreuen Laupheimer des
Schwarzschlachtens bezichtigt und mit einer Anzeige bedroht.
Ganser nahm ihm darauf direkt den Wind aus den Segeln, indem er
sagte: Jo, und du hoscht jedes mol mitgfressa, deshalb woischt
du des so guat!“[10]
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Belegt ist eine Begebenheit aus der frühen Nachkriegszeit, als
eine große amerikanische Limousine mit ausländischen Kennzeichen
vor dem Ganserschen Haus in der Mittelstraße 36 vorfuhr und der
gebürtige Laupheimer
Helmut Steiner
ausstieg, um sich bei Sebastian Ganser für dessen Einsatz für
die jüdischen Laupheimer zu bedanken. Helmut Steiner war 1936
mit seiner Familie aus Laupheim in die Schweiz geflohen.[11]
Sebastian Ganser starb im Alter von 74
Jahren am 8. Juli 1957.
Das Gansersche Haus ( Mittelstraße 36) in den 60er Jahren
Bild links: von der Grundschule aus gesehen |
Bild rechts: Gebäude von Richtung Schmidstraße aus
gesehen; in den frühen 80er Jahren abgerissen. |
[1]
siehe: Emmerich, Rolf: Kehillah Laupheimer Spuren.
Stuttgart und Laupheim. 2012. ISBN 978-3-933726-44-5.
(S. 165-166); (Details zu Familie Max Obernauer in „Die
jüdische Gemeinde in Laupheim und ihre Zerstörung“.
2013. ISBN 978-3-00-025702-5 bzw. in der
Online-Ausgabe unter
http://www.gedenk-buch.de/KAPITEL/71%20OBERNAUER%20Max.htm)
[2]
überliefert von Eleonore Ganser, Tochter von Sebastian
Ganser; Details zu Fam. Hofheimer in „Die jüdische Gemeinde
in Laupheim und ihre Zerstörung“. 2013. ISBN
978-3-00-025702-5 bzw. in der Online-Ausgabe unter
http://www.gedenk-buch.de/KAPITEL/50e%20HOFHEIMER%20Clara.htm)
[3] siehe 1)
[4]
aus den Erinnerungen von Antonie Seeberger, Tochter von
Sebastian Ganser (Interview von 2010)
[7]
nähere Information über formalisierte Trostbriefe aus
Grafeneck unter
https://grafeneck.finalnet.de/letter.php
[8]
Diese Sammelunterkünfte waren nichts anderes als
Zwischenstationen für die enteigneten und aus ihren
Heimatorten vertriebenen Juden, die in der Folge in die
KZs in Osteuropa deportiert werden sollten. Siehe in
diesem Kontext auch den Wikipedia-Eintrag zur
11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. 11. 1941.
Diese Verordnung diente in der Nazi-Willkürjustiz
zunächst als Legitimation für die Enteignung von
ausgewanderten Juden, später auch für die Enteignung von
deportierten Juden.
[9]
aus den Erinnerungen von Antonie Seeberger, geb. Ganser;
siehe auch: Emmerich, Rolf: Kehillah Laupheimer
Spuren. Stuttgart und Laupheim. 2012. ISBN
978-3-933726-44-5. (S. 165-166); die auf dem Jüdischen
Friedhof in Laupheim bestatteten NS-Opfer aus den
Sammellagern Heggbach und Dellmensingen sind namentlich
aufgeführt in Nathanja Hüttenmeister: Der jüdische
Friedhof Laupheim. 1998. ISBN 3-00-003527-3 (S.521-529);
zur Biografie von Frau Frida Dettelbacher, die im
Zwangsaltersheim Dellmensingen vertorben und auf dem
jüdischen Friedhof bestattet wurde, siehe
Webseite der
Initiative Stolpersteine Göppingen e.V. unter
http://www.stolpersteine-gp.de/?page_id=1066
[10] aus den Erinnerungen von Antonie Seeberger, geb. Ganser
[11]
aus den Erinnerungen von Antonie Seeberger, geb. Ganser
(Interview von 2010); Details zu Familie Steiner in „Die
jüdische Gemeinde in Laupheim und ihre Zerstörung“. 2013.
ISBN 978-3-00-025702-5; Details zu Familie Steiner in „Die
jüdische Gemeinde in Laupheim und ihre Zerstörung“. 2013.
ISBN 978-3-00-025702-5 bzw. in der Online-Ausgabe unter
http://www.gedenk-buch.de/KAPITEL/84%20STEINER%20SIMON.htm)
[12]
Artikel in Schwäbische Zeitung vom 19. Juli 1957, auch
aufgeführt in CDU Stadtverband Laupheim: Festschrift 50
Jahre 1946 – 1996
[13]
aus: CDU Stadtverband Laupheim: Festschrift 50 Jahre 1946 –
1996
[14]
zitiert aus: Grötzinger, Marlies: Laupheimer Anekdoten &
Originale. 1997. ISBN 300000954x. (S. 25-26), auch
aufgeführt in Eß, Robert: Bilderbuch Alt-Laupheim, Laupheim
2015. (S. 136)
Quellen:
· CDU Stadtverband Laupheim: Festschrift 50 Jahre 1946 – 1996 (http://www.cdu-laupheim.de/downloads/gruendungszeit.pdf)
· Dieffenbacher, Volker und Russ, Helmut: Juden und Christen in Laupheim im 20 Jahrhundert. Eigenverlag. 2018 (www.ism-masterclasses.de/contact.html)
· Emmerich, Rolf: Kehillah Laupheimer Spuren. Stuttgart und Laupheim. 2012, ISBN 978-3-933726-44-5, Seiten 165–166
· Eß, Robert: Bilderbuch Alt-Laupheim. Laupheim 2015, Seite 136
· Grötzinger , Marlies : Laupheimer Anekdoten & Originale. 1997, ISBN 300000954x, Seiten 25–26
· Hüttenmeister, Nathanja: Der jüdische Friedhof Laupheim. 1998. ISBN 3-00-003527-3
· Seeberger, Antonie, geb. Ganser (Aufzeichnung-Interview von 2010) Wikipedia-Eintrag: Landtag von Württemberg-Hohenzollern (https://de.wikipedia.org/wiki/Landtag_f%C3%BCr_W%C3%BCrttemberg-Hohenzollern