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Es soll der letzte Vortrag von Prälat Hermann Scheipers sein

Es soll sein letzter Vortrag sein, so Prälat Hermann Scheipers, als er im Schloss-Großlaupheim am 27. Januar 2012 vor vollem Hause spricht. Es waren doppelt so viele Interessierte gekommen als Plätze zur Verfügung standen. 

Schwäbische Zeitung vom 30.01.2012

LAUPHEIM Gespannte Blicke begleiten den gebrechlichen 99-Jährigen beim Gang zum Podium. Ein gestreiftes Stück Stoff an seinem Jackett sticht ins Auge, darauf die Nummer 24255 und der rote Winkel, der ihn als politischen Gefangenen auswies.
 
Er höre und sehe schlecht, sei aber trotzdem gern nach Laupheim gekommen, beginnt Prälat Hermann Scheipers, Überlebender des Konzentrationslagers Dachau ? ?nicht wegen der Neonazi-Szene, sondern wegen der Leute, die verdrängen wollen?. Die Anwesenden nimmt er davon aus: ?Sie wollen nicht verdrängen, sondern gedenken.?
 
Scheipers spricht am Holocaust-Gedenktag auf Einladung des Laupheimer Museums und der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken. Auf jedem Stuhl liegt ein Blatt, das auf der einen Seite eine handgezeichnete Skizze des Lagers zeigt, in dem der katholische Priester von 1941 bis 1944 inhaftiert war. Auf der anderen Seite hat er in einem Schaubild dargestellt, was seinen Glauben mit den beiden Diktaturen, in denen er lebte, verband, und was ihn davon trennte. ?Als Schüler hatte ich das Wort ,Heil? nur in der Kirche gehört. In der Weimarer Republik gab es nun zwei Parteien, die Heil versprachen: die Nazis und die Kommunisten.? Allerdings nicht durch Selbstaufgabe wie Christus, sondern um der Selbstbehauptung willen: ?Sie haben das Heil sozusagen geklaut.?
 
Gegen den daraus resultierenden Hass und die Unmenschlichkeit setzt sich Scheipers sein Leben lang zur Wehr und eckt in beiden Systemen an: Die Nazis verhaften ihn 1940, angeblich wegen ?freundschaftlichen Verkehrs mit Angehörigen feindlichen Volkstums? ? er hatte mit polnischen Zwangsarbeitern Gottesdienste gefeiert. Dennoch bezeichnet er sich nicht als Widerstandskämpfer: ?Ich wollte die Menschen im christlichen Glauben erziehen, um sie immun gegen das Gift des Nationalsozialismus zu machen.?
 
Seinen Humor hat er sich durch alle Widrigkeiten hindurch bewahrt. Nach seiner Verhaftung befragt, ob er gepredigt habe, alle Reiche würden untergehen, nur das Reich Christi bestünde ewig, antwortet er: ?Ja, das kommt bei mir alle Naselang mal vor.? Sein unerschütterlicher Glaube hilft ihm dann auch durch die schwere KZ-Zeit. ?Ich wusste, ich komme ins KZ wegen dem Herrgott, er hat für alles, was mir passiert, die Verantwortung. Deshalb hatte ich keine Angst.?
 
Zwei Tage vor der Befreiung des Lagers Dachau gelingt ihm die Flucht auf dem Evakuierungsmarsch. Nur ein Jahr später geht er als Priester in die DDR, wo er bis zu seiner Pensionierung 1983 wirkt. Als er in der Gauck-Behörde seine Stasi-Akte einsieht, bekommt er ?nachträglich einen Schreck?: 15 Spitzel waren auf ihn angesetzt, um eine Anklage wegen ?staatsfeindlicher Umtriebe? vorzubereiten. ?Ich wollte nie etwas anderes sein als Seelsorger und Priester, und das genügte.?
 
Keine Bitterkeit, höchstens leichtes Erstaunen liegt in der Stimme dieses Zeugen einer Zeit, die für die Nachgeborenen Geschichte ist, aber so viele Lehren für Heute und Morgen birgt.
 
(Erschienen: 30.01.2012 00:10)

Hermann Scheipers Jahrgang 1913 beendete 1936 das Studium der katholischen Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster und trat ins Pastoralseminar des jungen, priesterarmen Bistums Meißen in Schmochtitz bei Bautzen ein. Seine Priesterweihe empfing er am 1. August 1937 durch Bischof Petrus Legge im Dom St. Petri zu Bautzen. Seine erste Kaplanstelle führte ihn nach Hubertusburg/Wermsdorf. Am 4. Oktober 1940 wurde er verhaftet, weil er sich als Seelsorger offen für polnische Zwangsarbeiter einsetzte und gemeinsam mit ihnen einen Gottesdienst feiern wollte. Vom Polizeigefängnis Leipzig aus kam er im März 1941 ins KZ Dachau. Im KZ Dachau wurde er als Staatsfeind eingestuft. Er trug den roten Balken der Politischen, den auch Kommunisten und Sozialdemokraten trugen.

Unter Lebensgefahr hielt seine Zwillingsschwester Anna in den folgenden Jahren den Kontakt zu ihrem inhaftierten Bruder aufrecht, schmuggelte Briefe, Lebensmittel und Medikamente ins Lager. 1942 rettete sie ihn und zugleich viele weitere Priester durch eine mutige Intervention beim SS-Reichssicherheitshauptamt in Berlin vor dem Abtransport als "nicht arbeitsfähig" aus dem Invalidenblock des KZ Dachau in die NS-Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Im KZ Dachau war Scheipers mit dem evangelischen Dresdner Märtyrer Paul Richter und weiteren evangelischen und katholischen Geistlichen auf einer Stube des Pfarrerblocks untergebracht. Am 27. April 1945, zwei Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau durch amerikanische Streitkräfte, gelang Scheipers auf einem „Todesmarsch” die Flucht in die Freiheit. Schon 1946 kehrte er ins Bistum Meißen zurück, wo er schon bald mit dem SED-Regime in Konflikt geriet.

Scheipers wirkte nach dem Zweiten Weltkrieg im heutigen Bistum Dresden-Meißen als Seelsorger in Radebeul, Berggießhübel, Dresden-Johannstadt, Freital, Wilsdruff und Schirgiswalde. In der Schirgiswalder Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt war er von 1960 bis 1983 Pfarrer. 1983 trat Hermann Scheipers in den Ruhestand und kehrte in das Bistum Münster zurück.

In den letzten Jahrzehnten berichtete er vor Schulklassen und bei Bildungsveranstaltungen von seinen Erlebnissen unter dem Hitler-Regime und im SED-Staat.

Prälat Hermann Scheipers lebt heute wieder in seiner Geburtsstadt Ochtrup. Anfang August 2007 feierte er seine Gnadenprimiz, den 70. Jahrestag seiner Priesterweihe.

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