2014
Wir trauern um unser Mitglied Berta Halder |
Jahreshauptversammlung 7. Mai 2014
Geschäftsbericht ( E.Lincke)
TOP 1 Begrüßung
Liebe Mitglieder der GGG, liebe interessierte Gäste,
ich möchte Sie herzlich begrüßen
zur Jahreshauptversammlung 2014
Besonders begrüßen möchte ich unsere beiden Referenten,
nämlich den langjährigen Stadtarchivar Herrn Dr. Peter Eitel aus Ravensburg, der
schon lange bei uns Mitglied ist und Herrn Dr. Heinrich Yithzak Steiner aus
Israel, der uns allen bekannt ist. Ich freue mich, dass er heute seinen Sohn
Michael mitgebracht hat.
Unsere bisherig praktizierte Tagesordnung ändern wir
anlässlich dieser beiden Referenten etwas ab: zunächst wird Herr Dr. Eitel
sprechen, danach folgen die Vereinsregularien, und darauf folgt der Beitrag von
Herrn Dr. Steiner mit anschließender Aussprache und,
falls gewünscht, mit Anregungen und Wünschen von Eurer / Ihrer Seite
Nun zu Ihrer Lesung, sehr
geehrter Herr Dr. Eitel :
Sie bezieht sich auf den ersten Band des Werks
" Geschichte Oberschwabens im 19. und 20. Jahrhundert",
das 2010 herauskam.
Sie lesen uns ausgewählte Abschnitte des Kapitels unter
dem Titel "Was Oberschwaben und Altwürttemberger voneinander hielten und
wie sie miteinander auskamen" vor.
Zwischen der überwiegend
katholischen, vom Geist des Barock geprägten Bevölkerung Oberschwabens und den
evangelischen, pietistisch erzogenen Altwürttembergern gab es bekanntlich große
mentale Unterschiede, die ein Miteinander erschwerten.
Bildlich dargestellt wird dieses Verhältnis im
Gemälde des Biberachers Johann Baptist Pflug, der den fetten oberschwäbischen
Bauer dem armen Hungerleider aus dem Unterland gegenübergestellt. Ich habe
dieses schönen Bild ausdrucken können. Sie finden es auf den Tischen ausliegen.
Und nun warten wir alle ganz gespannt auf Ihre Lesung, lieber Herr Dr. Eitel.
TOP 2 Bericht der
Vorsitzenden
Andere kleinere Projekte oder Aktivitäten liefen dafür
umso erfolgreicher, bzw. zeigten
wieder, das wir als GGG ganz selbstverständlich
Ansprechpartner für die Stadt Laupheim bzw. das Museum sind.
Dies war der Fall beim
- beim Interkulturellen
Museumsfest am 12. Mai, wo wir einen Stand
hatten und im Museum Führungen durchführten.
- wie jedes Jahr waren wir
präsent beim Neubürgerempfang am 19. Oktober, erstmals im Kulturhaus. Wir
konnten dabei neue Mitglieder gewinnen und weckten Interesse für das Museum.
- am Gedenktag des 27. Januar
2014 konnten wir in diesem Jahr Ruth Dror aus Stuttgart als Zeitzeugin gewinnen,
die schon zum zweiten Mal in Laupheim war.
- eine weitere erfolgreiche
Veranstaltung kam vor kurzem durch die Initiative von Michael Schick zustande,
der Irene Butter kennengelernt hatte und die am 10.3. in der voll- besetzten
Aula vor Schülern des Gymnasiums und der Realschule von ihrem Leben berichtete.
Dass dieser Vortrag zu einem
Zeitpunkt stattfand, in der die Anne-Frank-Ausstellung täglich viele junge Leute
ins Museum brachte ( die beiden damals jungen Mädchen waren zum gleichen
Zeitpunkt in Bergen-Belsen !) bewegte die Schüler sehr stark und nachhaltig.
Vielen Dank, lieber Michael, für
das Zustandekommen dieser Begegnung und für die Betreuung vor Ort.
- Erst
kürzlich, anläßlich des 100. Geburtstags von Margret Lambert- Bergmann, war die
GGG im Arbeitsteam zur Vorbereitung des Festakts.
- Erwähnen und
würdigen möchte ich die zahlreichen Themenführungen, auf die sich GGG-Mitglieder
vorbereitet und ihre Zeit zur Verfügung gestellt haben.
- Viel
Herzblut fließt auch in die Kontaktpflege mit dem Ausland, sei es durch Mails,
Besuch in Israel, in den USA oder die Betreuung vor Ort, die einzelne
GGG-Mitglieder leisten.
Hier möchte ich für seine
vielfältige tätige und ideelle Betreuung des jüdischen Friedhofs und seiner
Besucher Michael Schick erwähnen, der dies ganz im Sinne und Gedenken an Ernst
Schäll tut, unserem geschätzten GGG-Gründer.
Besonders die auswärtigen Gäste
sind sehr dankbar, hier in Laupheim Ansprechpartner vorzufinden.
Zu diesen auswärtigen Gästen
gehörten im letzten Jahr Anne Dorzbach, die einen interessanten Abend mit der
Filmemacherin Sybille Tiedemann gestaltete, Ruth und Gunther Bechhofer und Samy
Einstein, Sohn von Hermann Einstein, der auf den Spuren seiner Vorfahren in
Buchau und Laupheim unterwegs war.
- Erwähnen
möchte ich noch die schriftlichen Werke, die im letzten Jahr herauskamen:
Beide Werke liegen auf dem Tisch.
Es sind : Dr. Gert Haffner , Dr. Othmar Schwär und Ruth
Chernoff aus Kalifornien.
Damit bin ich am Ende meines Rechenschaftsberichts.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
TOP 4 Kassenbericht / Kassenprüfbericht
TOP 5 Entlastung :
durchgeführt von Michael Niemetz
TOP 6 Wahlen -
Durchführung Michael Niemetz
Alle Mitglieder des Vorstands und des Ausschusses sind
bereit, ihr Amt weiterzuführen.
- Elisabeth Lincke
- Michael Schick
- Dr. Udo Bayer
- Dr. Peter Schroeder
Dem Ausschuss gehören an ( in alphabetischer Reihenfolge
)
Rolf Emmerich, Robert Eß, Karl Neidlinger, Janet Weiß,
Kassenprüfer sind Christoph Schmid und Joachim Kawka.
Die Amtsperiode dauert 2 Jahre.
TOP 7 keine Anträge
TOP 8
Stand der Renovierung des Hauses am Jüdischen
Friedhof ( Niemetz ) mit Aussprache
TOP 9 Beitrag von Herrn Dr. Steiner :
Kriegsschicksalen im Ersten Weltkrieg in der Steiner-Familie.
Dazu zählt das Interkulturelle Museumsfest, die GGG war dabei mit einem Stand und bot Museums-Führungen an. Zu diesen regelmäßig wiederkehrenden Terminen zählt auch der Neubürgerempfang, bei dem die GGG Präsenz zeigte, sowie eine Veranstaltung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Eine besonders erfolgreiche Veranstaltung war, so Elisabeth Lincke, ein Lebensbericht von Irene Butter in der voll besetzten Aula des Gymnasiums. Deren Vortrag habe die Schüler „sehr stark und nachhaltig bewegt“. Die Vorsitzende dankte Michael Schick für die Initiative zum Zustandekommen dieser besonderen „Lehrstunde“. Mitgewirkt hat die GGG auch, so Lincke, bei der Vorbereitung des Festaktes anlässlich des 100. Geburtstages von Gretel Bergmann-Lambert.
Aktiv bringt sich die Gesellschaft bei zahlreichen Themenführungen im Museum ein. Die Vorsitzende dankte ausdrücklich den GGG-Mitgliedern, die „viel Herzblut“ in die Kontaktpflege mit dem Ausland investieren. Sie hob daneben die Betreuung des jüdischen Friedhofs durch Michael Schick hervor, der das Werk von Ernst Schäll fortsetzt. Die ausländischen Gäste seien sehr dankbar, in Laupheim Ansprechpartner vorzufinden.
Lincke brachte auch die Werke in Erinnerung, die im vergangenen Jahr erschienen sind, zum einen Udo Bayers „Carl Laemmle – eine transatlantische Biografie“, zum anderen die Sammlung „Kehilla. Laupheimer Spuren“ von Rolf Emmerich.
Die anstehenden Wahlen brachten keine Veränderung. Dem Vorstand der GGG gehören an: Elisabeth Lincke, Michael Schick, Dr. Udo Bayer und Dr. Peter Schroeder. Ausschussmitglieder sind: Rolf Emmerich, Robert Eß, Karl Neidlinger und Janet Weiß.
* * *
Laupheim sz Zwei Vorträge haben die Hauptversammlung der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken (GGG) bereichert. Yitzhak Heinrich Steiner nahm den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren zum Anlass, über diese Zeit zu philosophieren und von Lebensschicksalen der Familie Steiner zu erzählen.
Der Jurist lebt heute in Israel. Er fühlt sich eng mit Laupheim verbunden und hat hier schon des Öfteren referiert. Steiners Eltern sind 1936 in die Schweiz emigriert. So überlebte die Familie.
„Meine Eltern haben nie über frühere Zeiten gesprochen“, schränkte der Redner seine Kenntnisse über die Zeit des Ersten Weltkriegs ein. Sein Vater Helmut Steiner wurde 1899 in Laupheim geboren; er war in der Zeit jener „Jahrhundertkatastrophe“ genau in dem Alter, in dem die Altersgenossen in den Krieg zogen. Doch bei einem Arbeitsunfall hatte er die rechte Hand verloren. „Das hat mir das Leben gerettet“, zitierte Yitzhak Heinrich Steiner seinen Vater. Dieser war zunächst im Gerberhandwerk tätig und wechselte 1926 in das Hopfengeschäft.
Das Schicksal des Kriegstods ging dennoch nicht spurlos an der Familie vorbei. Yitzhak Heinrich Steiner erzählte von der Tragödie um Heinrich Steiner, dessen Mutter Hedwig Steiner die Geschäftsleitung der Laupheimer Hopfenfirma inne hatte. Zwischen ihr und ihren beiden Söhnen Heinrich und Julian bestand, so berichtete der Referent, ein sehr reger Briefverkehr. Yitzhak Heinrich Steiner zitierte aus dem letzten Brief von Heinrich an seine geliebte Mutter. Darin machte der Soldat seiner Mutter Hoffnung, dass schon bald seine Rückkehr bevorstehe und man dann gemeinsam in fröhlicher Runde feiern werde. Doch dazu ist es nicht gekommen. Acht Tage vor dem Waffenstillstand im Wald von Compiègne ist Heinrich Steiner gefallen. Die Briefe, führte der Besucher aus Israel aus, befänden sich im Leo-Baeck-Institut in New York und harrten einer wissenschaftlichen Aufarbeitung.
Yitzhak Heinrich Steiner erinnerte auch an das Schicksal der Gedenktafel an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Laupheimer Juden, die im Dritten Reich entfernt, dann in den 1950er-Jahren ersetzt worden ist.
Der Vortrag des ehemaligen Ravensburger Kreisarchivars Peter Eitel ließ die Zuhörer schmunzeln. Er las aus seinem Werk „Geschichte Oberschwabens im 19. und 20.Jahrhundert“ und griff das Kapitel heraus: „Was Oberschwaben und Altwürttemberger voneinander hielten“. Eitel stellte fest: „Zwischen der überwiegend katholischen, jahrhundertelang an Österreich orientierten und vom Geist des Barock geprägten oberschwäbischen Bevölkerung und den evangelischen Altwürttembergern gab es historisch bedingte mentale Unterschiede.“ Vieles habe bei den Altwürttembergern Missfallen hervorgerufen. In Schwendi habe ein Visitator 1865 beobachtet, dass hier „ein leichtsinniges, genusssüchtiges ärmeres, halb städtisches Volk mit vielen blauen Montagen“ lebe. In Laupheim trieben sich „immer mehr böse Elemente“ herum. Die schönsten Menschen, „besonders weiblichen Geschlechts“, seien laut „Univarsal-Lexikon von Württemberg“ von 1841 im Illertal und insbesondere in dem Dorf Bihlafingen anzutreffen.
* * *
Ein besonderer Besuch und ein besonderes zusammentreffen.
Seit dem Proffesorin Dr. Irene Butter-Hasenberg vom Grab ihres Vaters auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim weis, das ist seit Mitte der 50er Jahre, ist sie immer wieder hier in Laupheim zu Besuch. Sie pflegte auch den Kontakt zu Ernst Schäll und Reinhold Adler aus Biberach, bereits bei letzten Besuch hier in Laupheim hielt sie damals 2002 in Biberach an Schulen Vorträge.
Im Januar 2014 erschien in der bekannten Frauenzeitschrift "Brigitte" ein bewegender Artikel über Ihr Leben. Als Reaktion darauf wurde Irene Butter-Hasenberg von der Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft in Heidelberg zu einem Symposium eingeladen. Diese Gelegenheit, 2 Stunden von Laupheim entfernt zu sein nutzte Irene Butter-Hasenberg und ein langjährige Freundin aus Dreseden, welche sie beim Symposium in Heidelberg besuchte, tat ihriges dazu. Sie brachte Irene Butter-Hasenberg mit dem Auto von Heidelberg nach Laupheim.
Zuvor hatte Irene Butter-Hasenberg ihren kurzen Besuch in Laupheim per Mail angekündigt. Die Ankündigung wurde zur Einladung und sie blieb über Nacht. Eine Bitte, auch den Vortrag hier in Laupheim vor Schülern zu halten wurde von Irene Butter-Hasenberg sofort bekräftigt. Sie wollte zunächst in englisch referieren. Die Gelegenheit deutsch zu sprechen hatte sie in den letzten Jahren nur am Telefon und bei Besuchen.
Dieses Angebot wurde an die Schulen weiter getragen und diese einmalige Gelegenheit wurde von den Schulleitern sofort erkannt und wahrgenommen. Die Aula des Gymnasiums mit 400 Sitzplätzen wurde für den zweiten Besuchstag von Irene Butter-Hasenberg reserviert. Von der benachbarte Friedrich-Adler-Realschule kamen auch 160 Schüler zu dem Vortrag. Die Aula war bis auf den letzten Platz gefüllt!
Irene Butter-Hasenberg referierte in Deutsch, das erste mal seit 27 Jahren, seit sie Vorträge über Ihr Schicksal hält. In perfekten Deutsch mit leichten Akzent.
Auch für Ben Schwalb, der Urenkel von Lazar Schönberg, er lebt und arbeitet in München, war die Gelegenheit da, Irene Butter-Hasenberg kennen zu lernen. Denn sein Urgroßvater und Irene Butter-Hasenbergs Vater und deren Familien hatten das ähnliche Schicksal.
Die beiden Familien von John Hasenberg und Lazar Schönberg flohen vor dem NS-Regime nach Holland. In Amsterdam und den KZ´s Westerbroch und Bergen-Belsen erging es der Familie Schönberg ähnlich wie der Familie Hasenberg. Lazar Schönberg verstarb nach der Ankunft in Biberach. Auch er wurde zunächst in Biberach beerdigt und später nach Laupheim umgebettet. In dem Zeitungsbericht unten ist die Geschichte von Irene Butter-Haseberg.
Schwäbische Zeitung vom 11.März. 2014
"Es ist wichtig, an die Toten zu erinnern“
Von Agathe Markiewicz
Laupheim Die hellblauen Augen der
zierlichen Frau leuchten. Sie schauen in 800 Augen, die gespannt auf sie
gerichtet sind. Graues Haar umschmeichelt das zarte Gesicht. Man sieht Irene
Butter kaum hinter dem Rednerpult, wo sie mit einem freundlichen Lächeln steht.
Gleich wird die 84-Jährige aus ihrem Leben erzählen. Aus einem Leben, das von
den Nationalsozialisten beinahe zerstört wurde. Denn ihre Kindheit und Jugend
hat Irene Butter, die als Irene Hasenberg im Jahr 1930 geboren wurde, unter dem
Hakenkreuz erlebt und überlebt.
Die Aula des Carl-Laemmle-Gymnasiums ist am Montagvormittag voll besetzt. 400
Neunt- und Zehntklässler der Friedrich-Adler-Realschule und des CLG wollen bei
den Schilderungen der Zeitzeugin dabei sein. Mit Laupheim verbunden ist die
84-Jährige, die in Michigan lebt, dadurch, dass ihr Vater, John Hasenberg, auf
dem jüdischen Friedhof begraben ist.
Dann beginnt die emeritierte Wirtschaftsprofessorin, ihre Geschichte zu
erzählen. „Die Nazis haben schlimme Sachen über uns Juden erzählt“, sagt sie.
„Aber auf den Bildern sieht man, dass wir respektable und gute Menschen waren.“
Schwarzweiß-Fotos zeigen sie mit ihren Eltern – Gertrude und John – und ihrem
Bruder Werner. Auch ihre Großeltern sind zu sehen, bei denen „ich wunderbare
Jahre erlebt habe und die mich sehr verwöhnt haben“.
„Ich kannte Anne ein bisschen“
Der Großvater besaß eine Bank in Berlin, bei der auch der Vater angestellt war. Nach Hitlers Machtergreifung wurde sie geschlossen. John Hasenberg ging nach Amsterdam, um dort eine neue Arbeit zu finden. Als das gelang, kam die Familie nach. „Das war 1937“, berichtet Irene Butter. „Wir blieben zwei Jahre dort.“ Es sei eine schöne Zeit gewesen, in der sie Freunde fand, mit denen sie die Gegend auf Fahrrädern erkundete. „Doch 1940 haben die Nazis das Land besetzt“, erzählt sie. „Wir kamen nach Westerbork, ins erste Camp.“ Ein Durchgangslager, in das später auch Anne Frank gebracht wurde. „Anne war zwar ein Jahr älter als ich, aber ich kannte sie ein bisschen.“
In Westerbork gab es ein Bahngleis in der Mitte, viele Baracken und dreistöckige
Betten mit Stroh. Doch das Schlimmste sei etwas anderes gewesen: „Wir hatten
immer Angst vor dem Samstag, wenn der Zug kam, der weiter nach Auschwitz fuhr.
Es wurden dann immer die Namen vorgelesen von den Leuten, die mit mussten. Der
Zug fuhr am Montag weiter. Wir mussten ständig Abschied nehmen, denn immer waren
Bekannte dabei, deren Namen auf der Liste standen.“
John Hasenberg besorgte für die Familie ecuadorianische Pässe, die so etwas wie
eine Garantie waren, um nicht nach Auschwitz deportiert zu werden. Daraufhin
wurden die Hasenbergs für den Austausch angemeldet. Das bedeutet: Die Deutschen
versuchten, in Nord- und Südamerika internierte Landsleute nach Hause zu holen,
indem sie diese gegen Ausländer eintauschten.
„Irgendwann mussten wir nach Bergen-Belsen“, erinnert sich Irene Butter. „Es
hieß, dass dort alles besser werden würde. Was aber natürlich nicht der Fall
war.“ Für ihre Eltern und ihren Bruder waren es lange und schwere Arbeitstage,
die bis zu zwölf Stunden dauerten. Immer auf der Hut vor möglichen Schlägen, die
es oft gab. Zu essen bekamen die Menschen nur ein Minimum. Mal ein Stück Brot,
mal etwas Wasser mit Kohl. „Das nannten sie Suppe“, erzählt Irene Butter.
Mit ihren zwölf Jahren musste die kleine Irene zwar nicht so schwer schuften wie
die anderen, dennoch hatte sie ihre Aufgaben zu erfüllen. „Ich musste die
Baracken sauber machen und auf Kinder aufpassen“, erzählt sie. „Aber ich war
auch für das Wäsche waschen verantwortlich. Und das ohne warmes Wasser und ohne
Seife.“ Beim Trocknen musste sie neben der Leine sitzen. „Hätte man die Wäsche
aus den Augen gelassen, wäre sie gestohlen worden.“
Irene Butter erinnert sich an ein Erlebnis mit Anne Frank, die von Auschwitz
nach Bergen-Belsen kam: „Anne fragte mich und andere Mädchen, ob wir ihr Kleider
besorgen und über den Stacheldraht werfen könnten, durch den wir getrennt waren.
Wir haben welche besorgt und sind nachts zu ihr. Das alles musste in der
Dunkelheit passieren, damit uns die Wärter nicht erwischen. Anne hatte ihre
Brille aber nicht mehr. Sie hat nicht gesehen, wohin die Kleider gefallen sind.
Eine andere Frau hat sie aufgesammelt und ist mit der Kleidung einfach
weggelaufen.“
Fast glaubte die Familie an den Austausch nicht mehr. Doch nach einem Jahr war
es so weit. „300 Menschen wurden für den Transport ausgesucht“, sagt Irene
Butter. „Wir hatten das Glück dazuzugehören, wir wussten natürlich nicht, was
wirklich passieren würde.“ Doch der Zug fuhr langsam Richtung Freiheit. Das
Glück wehrte jedoch nicht lange, denn die Eltern wurden krank. Der Vater so
schwer, dass er starb. In Biberach wurde er aus dem Zug getragen und abgelegt.
Der Zug fuhr weiter: Schweiz, Frankreich, Afrika. Im Dezember 1945 stieg Irene
allein auf ein Schiff Richtung Amerika. „21 Tage waren wir auf stürmischer See
unterwegs“, sagt sie.
„Du musst alles vergessen“
In New York lebt sie bei einem Onkel und einer Tante. Sie sagen: „Du bist jetzt
in Amerika. Du musst alles vergessen.“ Sie wollen nichts wissen von dem Leid,
das sie erfahren hat. „Bis 1970 haben wir nie über den Holocaust gesprochen.“
Im Sommer 1946 kommen ihre Mutter und ihr Bruder nach. Ein neues Leben beginnt.
Während ihres Wirtschaftsstudiums lernt Irene den Mann kennen, den sie später
heiratet. Mit ihm zieht sie 1962 nach Michigan, wo beide lehren. Sie bekommen
eine Tochter, die mittlerweile mit ihrer Familie in Israel lebt, und einen Sohn.
Er ist in Amerika geblieben und wohnt in Kalifornien.
Irgendwann fragt sich Irene Butter: „Habe ich das Recht zu schweigen? Anne Frank
ist nicht mehr hier. Ich bin die Zeugin. Es ist wichtig, an die Toten zu
erinnern und daran, was damals passiert ist.“ Mittlerweile sind es 27 Jahre, in
denen sie an Schulen und anderen Orten über ihr Leben und das Schicksal ihrer
Familie spricht.
Initiiert hat den Vortrag Michael Schick von der Gesellschaft für Geschichte und
Gedenken. An der Organisation beteiligt waren die Lehrerinnen Anne Kirchhoff und
Elisabeth Lincke.
(Erschienen: 10.03.2014 21:00)
Ben Schwalb und Prof. Dr. Irene Butter-Hasenberg besuchen die Anne-Frank-Ausstellung im Museum zur Geschichte von Christen und Juden.
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