2016
Zum Tode von Rina Alexander Lior, von Dr. Yitzhak Heinrich Steiner
An der Bestattung von Frau Rina Alexander Lior (1918-2016) auf dem Friedhof des Kibbuz Naot Mordechai im Norden Israels am 15.8.2016 verlas ihr erster Sohn Chagai (geb.1943) den folgenden Lebenslauf:
Unsere Mutter wurde im November 1918 in Hamburg geboren. Ihre Mutter Bertha geb. Haymann starb wenige Tage nach der Geburt. Ihr Vater, Professor Friedrich Adler, zeitgenössischer Designer und beliebter Dozent über Kunst, ehelichte später Frieda Fabisch, die uns zur Mutter und Grossmutter wurde. Bertha und Friedrich Adler stammten aus der
jüdischen Gemeinde von Laupheim in Süddeutschland. Bertha fühlte sich
während ihres ganzen Lebens dieser Stadt verbunden.
Im Alter von 7 Jahren kam sie in die Schule vom
Internat in Herrlingen. Nach der Machtergreifung der Nazis 1934
verliess Mutter Frieda Hamburg und übersiedelte mit ihrer kleinen
Schwester Amaranth nach Zypern, wo ihr jüngerer Bruder Jacky-Michael
geboren wurde. 1937 kam Rina nach Dänemark zur „Hachscharah“-Ausbildung für das Leben im Kibbuz in Palästina, wohin sie im Februar 1938 emigrierte. Zuerst war sie im Kibbuz Allonim, und dann arbeitete sie in der Viehzucht.
Im Jahre 1941 kam sie als freiwillige Hilfe in
den Kibbuz Sdot Yam, wo sie unseren Vater Axi Shimon Alexander kennen
lernte. Zusammen zogen sie nach Nahariyya, wo sie sich dem ersten Kern
des Kibbuz Ga`aton anschlossen. Sie arbeitete als Melkerin der beiden
Kühe der Familie Strauss und bei anderen Aufgaben im Kibbuz. 1941 trat
Axi in die „Palmach“ Truppe ein. Im März 1942 heirateten unsere Eltern
in einer gemeinsamen grossen Hochzeit von 7 Paaren aus dem Kibbuz
Ga`aton.
Im Juli 1942 wurde Rina`s Vater Friedrich ins KZ
Auschwitz deportiert und dort ermordet. Im Jahre 1943 wurde Axi in den
Künstlerkreis der Bewegung Kibbuz Me´uchad aufgenommen und präsentierte
seine Arbeiten an der Jahresversammlung in Yagur.
Am 16.Juni 1946 starb er, zusammen mit 13 seiner
Kameraden aus dem Palmach, bei der Zerstörung der Achsiv-Brücke im
Rahmen der Aktion „Nacht der Brücken“. Während langer Monate wusste man
nicht, was mit den bei der Aktion umgekommenen Kämpfern geschehen war.
Bruder Shimon kam zur Welt im Februar 1947, 8 Monate nach dem Tod
unseres Vaters Axi, und wurde nach ihm benannt. Mutter Rina erzog uns
allein, und wir sind ihr dankbar für all die Jahre, die sie uns gewidmet
hat.
Im Mai 1948 zog Mutter Rina, zusammen mit den
Kindern und Mitgliedern von Ga`aton, nach Kedma, und von dort 1949 nach
Naot Mordechai. Sie arbeitete im Kinderhaus und in 1955 absolvierte eine
einjährige Ausbildung als Kindergärtnerin im Seminar „Oranim“. Während
vieler Jahre arbeitete sie in diesem Beruf und erzog viele Kinder aus
dem Kibbuz.
1957 wurde hier das „Haus Axi“ eröffnet, der
erste Klub der Kibbuzbewegung, auf den Namen unseres Vaters, worüber sie
sehr stolz war.
Rina war aktiv im Soldatenkomitee, kümmerte sich
um die Versendung von Paketen, strickte Mützen, und wurde als
Vorsitzende des Elternrates gewählt. Sie liebte die Musik und hörte
Konzerte von den Dutzenden von Platten, die sie im Lauf der Jahre
gesammelt hatte. Ihre Liebe zur Musik hat sie auf uns alle übertragen,
ihre Söhne und ihre Enkel.
Im Juni 1968, 12 Jahre nach dem Tod von Axi,
wurde das Denkmal für die 13 Kämpfer des Palmach eingeweiht, die bei der
Zerstörung der Brücke von Achsiv umgekommen waren.
1972 lernte sie Meir Lior kennen, Mitglied des
Kibbuz Allonim, heiratete ihn, und lebte mit ihm im Kibbuz Naot. In der
Folge heiratete ich Tami, und Shimon ehelichte Mira. Zur Welt kamen 6
Enkel und 10 Urenkel, eine Quelle der Freude und des Stolzes. Im August
1992 fand in Deutschland eine Gesamtschau der Werke ihres Vaters Prof.
Friedrich Adler statt, zu der sie unter der Begleitung von Maayan und
mir fuhr. Im Oktober 2012 eröffnete das Kunstmuseum von Tel Aviv die
erste Ausstellung seiner Werke in Israel, und im Zentrum die Farbfenster
der 12 Stämme Israels, die dem Bürgermeister Meir Dizengoff geschenkt
worden waren und seither jahrelang in einem Magazin eingelagert waren.
Heute sind die Vitragen im Museum „Haus der Diaspora“ in Tel Aviv
ausgestellt. Rina beschäftigte sich weiter mit dem Erlernen der
Stickerei, der Beschäftigung von älteren Menschen, der Herstellung von
Spielzeug, und der Therapie im Invalidenzentrum.
Bis zum letzten Jahr fuhr sie regelmässig in die
Kurse der Veteranen von Galiläa, wo sie sich viele Freunde erwarb. Diese
Beschäftigung machte sie glücklich und zufrieden.
Aus Tradition feierten wir ihre Geburtstage im
Kreise der ganzen Familie, und sie genoss es, im Mittelpunkt der Feier
zu stehen. In den letzten zwei Jahren fühlte sie sich älter
und schwächer, und wurde von ihrer Nurse Cinthiya betreut, die sich bis
zu ihrem letzten Tag rührend um sie kümmerte.
Sie verliess uns in hohem Alter, umgeben vom
lieben Kreis ihrer Familie. Ihr Andenken soll gesegnet sein. |
"Damit bewahrt man
die Vergangenheit"
Realschüler pflegen den jüdischen Friedhof in Laupheim
Laupheim - Ziemlich voll ist er geworden, der große orangefarbene Anhänger auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim.
Einen Vormittag lang haben die Schülerinnen und Schüler
der Klasse 7d der Friedrich-Adler-Realschule die Grabstätten gesäubert und so
dazu beigetragen, das Andenken an die während der NS-Diktatur ausgelöschte
jüdische Gemeinde Laupheims zu bewahren.
Am vergangenen Mittwoch hat die Urenkelin von Friedrich
Adler die Geburtsstadt ihres Urgroßvaters, den jüdischen Friedhof und auch die
nach ihm benannte Realschule besucht. Die Klasse 7d hat das Ereignis allerdings
verpasst - sie weilte im Landschulheim. Am Montagmorgen jedoch haben die Schüler
auf eine andere Art und Weise das Andenken an die jüdische Gemeinde in Laupheim
gepflegt: Zusammen mit ihrer Lehrerin Daniela Barth und Michael Schick, der sich
ehrenamtlich um den jüdischen Friedhof kümmert, haben sie die Grabstätten und
Wege gereinigt.
Die Aktion hat bereits Tradition; seit Langem kommen
einmal im Jahr Schüler der Friedrich-Adler-Realschule auf den Friedhof, um das
wuchernde Efeu einzudämmen und kleine Ahorntriebe sowie von den Bäumen
herabgefallene Äste von den Grabstätten zu entfernen. "Es ist wichtig, die
Jugendlichen einzubinden, damit sie diesen Teil der Laupheimer Vergangenheit
besser kennen lernen und annehmen", ist Michael Schick überzeugt. Im Lauf ihrer
Realschulzeit setzen sich die Jugendlichen immer wieder mit dem Schicksal der
jüdischen Gemeinde in Laupheim auseinander. So sieht das pädagogische Konzept
unter anderem auch den Besuch des Museums zur Geschichte von Christen und Juden
im Schloss Großlaupheim vor.
Zwischen den verwitterten Grabsteinen im älteren Teil
des Friedhofs kniet die zwölfjährige Hanna und zieht Efeu heraus. Gerne wäre sie
in dabei gewesen, als Adlers Urenkelin Laupheim besuchte. "Das zeigt, dass die
Menschen noch an ihren Vorfahren hängen", sagt sie. Ihre Arbeit auf dem Friedhof
findet sie deshalb wichtig: "So sehen die Angehörigen, die nach Laupheim kommen,
dass die Gräber noch gepflegt werden." Der gleichaltrige Henry, der den Weg
zwischen den Grabreihen harkt, stimmt ihr zu. "Es ist eine gute Aktion, damit
bewahrt man die Vergangenheit."
Auf den Spuren eines großen Künstlers
Laupheim - Ma'ayan Alexander, Urenkelin des in Laupheim geborenen, in Auschwitz ermordeten Jugendstilkünstlers Friedrich Adler, hat die Heimatstadt ihres Urgroßvaters besucht. "Es ist spannend, das erste Mal an einem Ort zu sein, und ich fühle mich fast wie zuhause", sagte der Gast aus Israel.
Schwäbische Zeitung vom 28.04.2016
Die folgenden Bilder wurden beim Besuch der Friedrich Adler Realschule gefertigt. Quelle: Friedrich Adler Realschule Laupheim
„Wir brauchen
Menschen wie sie“
Von Roland Ray - Schwäbische Zeitung
Rolf Emmerich und Yitzhak
Heinrich Steiner bekommen die Bürgermedaille der Stadt Laupheim
Laupheim - Mit der Bürgermedaille sind am Sonntag Rolf Emmerich und Yitzhak Heinrich Steiner ausgezeichnet worden. Die Stadt würdigt damit das herausragende Engagement der beiden für die Aufarbeitung und Bewahrung der jüdischen Geschichte Laupheims.
Das heutige Laupheim zeichne sich durch Toleranz und Weltoffenheit aus, sagte Oberbürgermeister Rainer Kapellen vor 250 Gästen im Kulturhaus in seiner Laudatio. Rolf Emmerich und Yitzhak Heinrich Steiner - "wir brauchen Menschen wie sie" - hätten großen Verdienst daran, auch im Hinblick auf die Gegenwart und Zukunft. "Unsere Jugendlichen wissen vom Schicksal der jüdischen Gemeinde; sie wissen, welches Leid Diktaturen, Entrechtung und Verfolgung über die Menschen bringen", sagte Kapellen. Dieses Wissen sei wichtig, um antisemitischen und rassistischen Parolen zu wehren, und nicht von ungefähr gelinge in Laupheim aktuell ein friedliches Miteinander mit Flüchtlingen.
Sinn für Gerechtigkeit
Entscheidende Anstöße, sich des jüdischen Erbes zu entsinnen, gab seit den 60er-Jahren Rolf Emmerich (77). Der OB nannte ihn einen Pionier der deutsch-jüdischen Versöhnung, geleitet von einem unbeugsamen Sinn für Gerechtigkeit. Emmerich knüpfte Kontakte zu ehemaligen jüdischen Laupheimern und ihren Nachkommen; er pflegte Korrespondenzen, recherchierte, hielt Vorträge, publizierte, bewahrte und edierte kostbares jüdisches Liedgut und hat immer wieder durch die Schilderung von Einzelschicksalen den Opfern Gesicht und Namen gegeben. Unvergessen sein Einsatz für das Museum zur Geschichte von Christen und Juden; zahlreiche Exponate haben dank seiner Verbindungen den Weg in die Dauerausstellung gefunden. 2012 erhielt der langjährige Stadt- und Kreisrat der SPD den renommierten German Jewish History Award der Obermayer-Stiftung.
Glücksfall für die Stadt
Wir gratulieren unseren Mitgliedern
Herrn Dr. Yitzhak Heinrich Steiner
und
Herrn Rolf Emmerich
herzlich zur Verleihung der Bürgermedaille der Stadt Laupheim!
Von Roland Ray 29. January 2016
Ausstellung im Schloss über Fritz Bauer, Ankläger im Frankfurter Auschwitz-Prozess
Es ging ihm um die Würde der Opfer
Laupheim - Fritz Bauer hat als hessischer Generalstaatsanwalt den Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 auf den Weg gebracht. Die am Mittwoch eröffnete Sonderausstellung im Schloss Großlaupheim dokumentiert seine Lebensgeschichte und erzählt von einem Verfolgten des Nazi-Regimes, dem die Würde des Menschen oberstes Gebot war.
Bauer wurde 1903 in eine jüdische Familie in Stuttgart geboren, sein Vater betrieb einen Textilwarenhandel. Der Sohn studierte Jura und Wirtschaftswissenschaft und zählte zu den jüngsten Amtsrichtern. 1920 trat er der SPD bei, politisch prägte ihn seine Freundschaft mit dem späteren Parteivorsitzenden Kurt Schumacher.
Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen, verlor Bauer sein Amt. Er wurde über Monate inhaftiert. 1936 ging er ins dänische Exil, fristete als Journalist und Handelsvertreter sein Dasein, als politischer Flüchtling anerkannt, wegen seiner Homosexualität von der Polizei observiert, staatenlos. 1943 rettete er sich auf einem winzigen Fischerboot übers Meer nach Schweden. In einem Interview - etliche Video- und Audio-Einspieler in der Ausstellung bringen uns Bauer ganz nah - erzählt er von dieser Flucht. Der Hörer hat unweigerlich Bilder von den aktuellen Dramen im Mittelmeer vor Augen.
1949 kehrte Bauer nach Deutschland zurück, fasste Fuß am Landgericht Braunschweig. Wie schon vor dem Krieg profilierte er sich als Strafrechtsreformer, der auf Resozialisierung setzte. Und es leitete ihn die Überzeugung, dass eine demokratische Zukunft davon abhängen würde, ob sich die Deutschen den im Namen des NS-Regimes verübten Verbrechen stellten.
Für eine Aufarbeitung des Unrechts war in der jungen Bundesrepublik erst einmal kein Platz. Geschmeidig gliederten sich ehemalige Nazis in die Gesellschaft ein und gelangten bis in hohe Ämter; moralische Haltungen, die NS-Verbrechen ermöglicht hatten, wirkten fort. Fritz Bauer, seit 1956 Generalstaatsanwalt in Hessen und nach eigenen Worten ein atheistischer Humanist, hat das ebenso wenig angefochten wie stetige Drohungen und Beschimpfungen. Er machte 1963 in Frankfurt 22 Angeklagten den Prozess. 211 Auschwitz-Überlebende sagten als Zeugen aus. Auch wenn die Strafen ob der damals herrschenden Rechtsauffassung, dass jede einzelne Tat präzise nachzuweisen sei, milde ausfielen - der organisierte Massenmord war mit diesem Prozess "unleugbar festgestellt und dokumentiert", heißt es im Begleittext der Ausstellung. Bauer hatte Rechtsgeschichte geschrieben, die öffentliche Aus- einandersetzung mit der braunen Vergangenheit kam in Gang.
Gerichtstag der Deutschen
Bauer habe nicht aus Rache gehandelt, sagte Fritz Backhaus vom Jüdischen Museum Frankfurt, das die Ausstellung zusammen mit dem Fritz-Bauer-Institut erarbeitet hat, anlässlich der Eröffnung: "Es ging ihm um die Würde der Opfer und darum, dass ihre Geschichte gehört würde." Und darum, den Staat als Schützer der Menschenwürde in die Pflicht zu nehmen, wie Monika Boll, Kuratorin der Ausstellung, hervorhob: Ein Staat, der richtet, darf selber die Grenzen nicht überschreiten. Nicht zuletzt zielte der Moralist Bauer auf politische Aufklärung; der Auschwitz-Prozess sollte gleichsam eine Art Gerichtstag der Deutschen über sich selbst sein.
Fritz Bauer starb 1968 in seiner Badewanne. Die Rechtsmedizin konstatierte einen Unglücksfall.
Die Ausstellung "Fritz Bauer - Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht" ist bis 28. März im Museum zur Geschichte von Christen und Juden zu sehen. Die Öffnungszeiten: Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 13 bis 17 Uhr. Führungen für Gruppen nach Voranmeldung (Telefon 07392/968000) auch außerhalb dieser Zeiten. Öffentliche Führungen gibt es am 31. Januar, 14. und 28. Februar, 13. und 28. März, jeweils 14 Uhr.
"Erinnerung darf nie enden"
Laupheim - Am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ist die Fritz-Bauer-Ausstellung im Schloss Großlaupheim eröffnet worden. Der Kulturhaussaal war gefüllt. "Das spricht für die Arbeit unseres Museums", sagte OB Rainer Kapellen in seiner Begrüßung.In der Ära Adenauer hätten die Deutschen über die Geschehnisse im "Dritten Reich" vorzugsweise geschwiegen, sagte Kapellen - "es brauchte einen Erschütterer wie Fritz Bauer, um die Aufarbeitung in Gang zu bringen. "Erinnerung darf nie enden", betonte Kapellen. Das Gedenken an die Opfer müsse zur Wachsamkeit mahnen. Gefordert sei eines Form des Erinnerns, "die in die Zukunft gerichtet ist"."Für Fritz Bauer stand das Politische immer im Vordergrund", sagte Matthias Schönwald, pädagogischer Leiter des Museums zur Geschichte von Christen und Juden. "Wichtig war ihm, dem Humanisten, aufzuklären."Bei der Gedenkstunde im Kulturhaus spielten fünf Streicherinnen vom Carl-Laemmle-Gymnasium. Sie begannen mit Musik aus dem Film "Schindlers Liste".
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