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2020

GGG-Jahresbericht 2020

 

Liebe GGG-Mitglieder,

liebe Freunde unserer Gesellschaft für Geschichte und Gedenken,

ein Jahr geht zu Ende, dessen Entwicklung sich zu Beginn niemand hatte vorstellen können. Viele privaten, beruflichen und gemeinschaftlichen Ziele konnten nicht verwirklicht werden. Das gilt auch für unsere Gesellschaft für Geschichte und Gedenken.

Die Jahreshauptversammlung im Frühjahr mit anstehenden Wahlen konnte nicht stattfinden und muss auf das nächste Jahr verschoben werden, vorausgesetzt, die Umstände lassen dies dann zu.

Zwangsläufig ist deshalb der Vorstand und Ausschuss nur kommissarisch im Amt.

--Im April sollte Irene Butter, amerikanische Linguistikprofessorin und Zeitzeugin aus dem Konzentrationslager von Bergen-Belsen im Laupheimer Kulturhaus vor Schülerinnen und Schüler des Kreises Biberach sprechen. Diese Begegnungsmöglichkeit musste coronabedingt leider abgesagt werden.

--Auch die geplanten Führungen durch einige unserer GGG-Mitglieder im Museum und auf dem Jüdischen Friedhof waren nur vereinzelt, mit geringer Teilnehmerzahl und großen Abständen möglich,

--Der Ausfall von Veranstaltungen wie z.B. Heimat- und Brunnenfest, Rosen-und Weihnachtsmarkt machte es uns nicht möglich, die ansonsten gut angelaufende Vermarktung des Salatbestecks weiterzuführen.

Nach all diesen Einschränkungen und Ausfällen möchten wir aber auch die Projekte aufführen, die wir in diesem Jahr erfolgreich durchführen konnten.

-- Im Gedenken an Siegfried Einstein fand am 5.1.20 die Enthüllung einer Gedenkplakette am Geburtshaus dieses Laupheimer Schriftstellers statt mit anschließender Sonderführung im Haus und im Museum unter dem Thema: " Fremdling blieb ich "

-- Öffentliche Führungen im Museum zur Sonderausstellung " Schloss Dellmensingen 1942-  ein jüdisches Zwangsaltersheim" und " Carl Laemmle als Wohltäter und Retter verfolgter Juden" konnten kurz vor dem Lockdown im März noch durchgeführt werden. -- Als Beitrag zum Gedenken an die Zerstörung der Laupheimer Synagoge am 9. November 1938 konnte Michael Schick in der Schwäbischen Zeitung auf die bisher unbekannten Holocaust-Opfer mit Bezug zu Laupheim verweisen, auf die er in den Datenbanken von Hohenems und Yad Vashem gestossen war. Näheres dazu auf unserer Homepage www.ggg-laupheim.de.

Auf die traditionell stattfindende Gedenkveranstaltung im Rahmen der Schalomtage mußte leider in diesem Jahr verzichtet werden.

Die Zahl unserer GGG-Mitglieder beträgt 106. Leider haben wir unser Ehrenmitglied Ernst Bergman verloren, der am 15.8.2020 in State College / Pennsylvania 98jährig verstarb.

Er war nicht nur ein heimatverbundener ehemaliger Laupheimer aus der Bergmann-Familie, sondern brachte zahlreiche Objekte dauerhaft ins Museum ein, arbeitete am Gedenkbuch mit und hielt regelmäßigen Briefkontakt zu einigen unserer GGG-Mitgliedern. Eine ausführliche Würdigung seiner Person befindet sich auf unserer Homepage.

Dankbar sind wir, dass uns einige Sponsoren trotz dieses schwierigen Geschäftsjahrs Spenden haben zukommen lassen in Höhe von insgesamt fast 1.000  €.

 

Mit guten Wünschen für ein friedvolles Weihnachtsfest

für Sie und Ihre Familien und in der Hoffnung,

dass Ihnen im kommenden Jahr Gesundheit und Frieden erhalten bleiben möge,

grüßen Sie herzlich

 

gez. Elisabeth Lincke         gez. Michael Schick

(1. Vorsitzende)                   (2. Vorsitzender)

 

 

 

Gedenktafel würdigt Haus und Person
Am Gebäude Kapellenstraße 6 wird jetzt auf Initiative der GGG an das
ehemalige Kaufhaus Einstein und den Schriftsteller Siegfried Einstein erinnert

LAUPHEIM  - Eine Gedenktafel am Gebäude Kapellenstraße 6 erinnert seit Sonntag an das ehemalige Kaufhaus D. M. Einstein und den Schriftsteller Siegfried Einstein (1919 - 1983), der hier geboren wurde. Gestiftet hat sie die Gesellschaft für Geschichte und Gedenken (GGG). „Wir möchten damit sowohl das Haus als auch die Person würdigen“, sagte die GGG-Vorsitzende Elisabeth Lincke. Sie enthüllte die Tafel gemeinsam mit Rolf Emmerich, der als Lokalhistoriker maßgeblich dazu beigetragen hat, Siegfried Einstein dem Vergessen zu entreißen. Die Familie Einstein gehörte zu den ältesten jüdischen in Laupheim. 1832 hat Daniel Moses Einstein, Siegfried Einsteins Urgroßvater, das Kaufhaus gegründet – in einer Zeit, als das württembergische Emanzipationsgesetz von 1828 der jüdischen Bevölkerung neue Möglichkeiten eröffnete und Maschinen die Herstellung von Textilien revolutionierten. Den Familienbetrieb in der Kapellenstraße führte zuletzt Max Einstein, Siegfrieds Vater. Am 26. September 1909 eröffneten er und seine Frau Fanny das neu erbaute Kaufhaus für Herren-, Damen- und Kinderkonfektion, Kurz- und Pelzwaren, über das der Chronist August Schenzinger schrieb: „Es ist das schönste und solideste Bauwerk, wie keine deutsche Großstadt ein solches aufweisen kann.“ Damals waren schon viele Juden aus Laupheim weggezogen, die israelitische Gemeinde zählte noch 348 Mitglieder. Auch vor diesem Hintergrund sei die Investition der Einsteins eine bewusste Entscheidung für Laupheim gewesen, sagte Elisabeth Lincke in ihrer Ansprache in den heutigen Geschäftsräumen. Im November 1932 feierten die Einsteins das 100-jährige Bestehen ihres Geschäfts. Keine vier Monate später, am 1. April 1933, flogen Steine, zerbarsten Schaufensterscheiben, hinderten SA-Männer Kunden am Einkauf. Nach der Reichspogromnacht 1938 verschleppten Nazis Max Einstein ins KZ Dachau. Mit wenigen Habseligkeiten emigrierten er und seine Frau 1939 in die Schweiz. Das Kaufhaus wurde „arisiert“ und ging in den Besitz der Familie Schurr über. Viele Mitglieder der Familie Einstein starben im KZ. Steine trafen wenig später auch Siegfried Einstein, auf dem Schulhof; blutüberströmt schleppte sich der 13- Jährige nach Hause. Die Familie schickte ihn auf eine Privatschule in Sankt Gallen, wo er den Abschluss als Handelskaufmann machte. Von 1941 bis 1945 war er als staatenloser Ausländer im Arbeitslager. Er schrieb Verse, veröffentlichte 1946 seinen ersten Gedichtband; weitere folgten. Er fand Anerkennung, war auf dem Weg, sich als Lyriker zu etablieren. Als einziger der emigrierten Laupheimer Juden kehrte Siegfried Einstein dauerhaft nach Deutschland zurück. Dort sah er sich erneut antisemitischer Hetze ausgesetzt. Das hat ihn veranlasst, sich künftig als Essayist, Publizist und Redner für die Aufarbeitung der NS-Zeit zu engagieren. „In den 50er- und 60er-Jahren hat er sich damit kaum Freunde gemacht“, resümierte Michael Niemetz, Leiter des Museums zur Geschichte von Christen und Juden, am Sonntag. In Deutschland wurde über die nationalsozialistischen Verbrechen lange bevorzugt geschwiegen. „Er hat sich dem gestellt und es auf sich genommen“, sagt Niemetz, der von einem „unglücklichen Schicksal“ spricht. Siegfried Einstein starb 1983. Beerdigt ist er auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim. „In meine Heimat möcht’ ich nicht zurück, nicht an den Ort, aus dem sie mich vertrieben“, beginnt ein spätes Gedicht von nachgerade testamentarischem Charakter, das Rolf Emmerich rezitierte. Es endet mit den Worten: „...das Stückchen Land, das meine Ahnen so geliebt, es diene mir im Tod zur letzten Ruh.“ Ramona Götz, die seit Herbst in der Kapellenstraße 6 das „Hey Day Hochzeitshaus Laupheim“ betreibt, bewirtete die rund 50 Personen, die sich zur Enthüllung der Gedenktafel eingefunden hatten, und führte sie durchs Gebäude. Anwesend war auch die heutige Eigentümerfamilie Hiemer- Hamann.

(Von Roland Ray, erschienen in der Schwäbischen Zeitung am 07.01.2020)

 

 

Etwa dreißig Gäste nahmen an der Enthüllungfeier teil. 

Die Gedenktafel wurde von Elisabeth Lincke und Rolf Emmerich enthüllt.

Rolf Emmerich erläutert die Innschrift auf der Gedenktafel.

„Wenn Steine reden könnten“: Die GGG-Vorsitzende Elisabeth Lincke
sprach über die Geschichte des „Kaufhaus Einstein“.

 

 

 

Innenansichten des Gebäudes.

 

   


 

Pressebericht

 

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60 weitere Holocaust-Opfer hatten Bezug zu Laupheim

Pressebericht

Michael Schick ist in Archiven fündig geworden – Heute vor 82 Jahren brannte die Synagoge
Von Roland Ray

LAUPHEIM - „Herr Lehrer, Ihre Kirche brennt!“ Schreckensbleich vernimmt Heinz Säbel, der an der israelitischen Volksschule Laupheim unterrichtet, die Worte eines Nachbarn. Der junge Pädagoge und Kantor ahnt, was sie bedeuten. „Nach fünfeinhalb Jahren Nazi-Herrschaft lag es in der Luft, dass etwas geschehen würde“, schreibt er in seinen Erinnerungen. Am 9. November 1938 brennen in ganz Deutschland Synagogen. SAMänner aus Ulm zünden das Gotteshaus in Laupheim an. Sie jagen Angehörige der jüdischen Gemeinde durch die Straßen, misshandeln sie im Widerschein der Flammen, sperren sie im Amtsgerichtsgefängnis ein und verschleppen sie für Wochen ins KZ Dachau. Die Feuerwehr wird zunächst am Ausrücken gehindert und muss sich dann darauf beschränken, ein Übergreifen des Brandes auf andere Gebäude zu verhindern. An die Zerstörung der Synagoge wird in Laupheim an jedem Jahrestag erinnert, und an 102 Holocaust-Opfer, die hier geboren wurden oder lebten. Einige wurden während des Krieges aus anderen Orten nach Laupheim gebracht und später deportiert. Andere starben schon vorher an den Folgen körperlicher Gewalt oder durch Suizid. Eine Gedenktafel am ehemaligen Leichenhaus des Jüdischen Friedhofs, vom Baustetter Salvatorianerpater Ivo Schaible entworfen und 1984 angebracht, nennt ihre Namen. Zwei Namen wurden in den 1990er-Jahren ergänzt. „102 – das war lange Zeit die Zahl, die galt“, sagt Michael Schick, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken (GGG). Aufgrund seiner Recherchen muss sie nun aber deutlich nach oben korrigiert werden. In Archiven ist Schick auf rund 60 weitere Personen jüdischer Herkunft mit Bezug zu Laupheim gestoßen, die die Nazi-Barbarei das Leben kostete.

„Meine Nachforschungen zielten eigentlich darauf, noch mehr über die schon bekannten Opfer zu erfahren“, berichtet Schick auf Nachfrage der SZ. „Dabei bin ich auf die anderen Namen gestoßen.“ Profitiert hat der Lokalhistoriker, von Beruf Kriminaltechniker, von der Digitalisierung der Archive, was ein Arbeiten mit gezielten Suchbegriffen auch von zu Hause aus gestattet. Fündig wurde er vor allem in der Datenbank der Internationalen Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, in der etwa 4,5 Millionen Datensätze gespeichert sind, im Bundesarchiv in Koblenz und in der genealogischen Datenbank des Jüdischen Museums Hohenems. Die aktualisierte Liste der Holocaust-Opfer, die Michael Schick auf der Website www.ggg-laupheim.de veröffentlicht hat, enthält jetzt weitere Namen unter anderem von gebürtigen Laupheimern, die andernorts lebten und von dort in die Vernichtungslager geschickt wurden. Unter ihnen ist Julia Chon, ihr Mädchenname war Löwenthal, 1875 in der Rottumstadt geboren; sie lebte in Frankfurt und wurde von dort im August 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie im Juni 1943 starb. Auf ihre Spur stieß Schick in den Unterlagen von Yad Vashem. Das Schicksal der Laupheimerin Henriette Görtel, geborene Löwensteiner, ist im Bundesarchiv dokumentiert. Sie wohnte in Berlin und setzte ihrem Leben am 13. August 1942, im Alter von 78 Jahren, selbst ein Ende. Hedwig Hallheimer, 1896 in Heinsheim geboren, siedelten die Nazis während des Krieges zwangsweise in die Wendelinsgrube vor den Toren Laupheims um. Dort waren vor dem Krieg arme Leute behelfsmäßig einquartiert; sie hausten in ausrangierten Eisenbahnwaggons, später wurden einfachste Holzhäuser gebaut. Vom Laupheimer Westbahnhof aus wurde Hedwig Hallheimer am 19. August 1942 zusammen mit 42 anderen Menschen in das KZ Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert, wo sie im Oktober 1944 starb. Diese und andere Schicksale bewahrt Michael Schicks Spurensuche vor dem Vergessen. Und er landet weitere Funde. Vergangene Woche erst hat er mithilfe der Unterlagen im Bundesarchiv entdeckt, dass unter den in Laupheim geborenen Opfern zwei Julius Einsteins sind. Der eine, Jahrgang 1887, wurde im November 1941 mit dem ersten Sammeltransport vom Westbahnhof nach Riga deportiert; sein Name steht auf der Gedenktafel am jüdischen Friedhof. Sein Namensvetter, Jahrgang 1873, emigrierte 1937 nach Frankreich und wurde 1942 von Köln aus nach Theresienstadt gebracht, wo er im Januar 1943 starb.

„Mir liegt an der Qualität der Daten“, sagt Michael Schick. Wo immer möglich, überprüft er sie; ab und an streicht er auch wieder einen Namen von der Liste, wenn eindeutige Belege fehlen. An die annähernd 60 Opfer, die der hiesigen Liste der Holocaust-Opfer hinzuzufügen sind, sollte künftig ebenfalls in angemessener Weise erinnert werden, sagt Schick. Er kann sich vorstellen, dass die Stadt, das Museum zur Geschichte von Christen und Juden und die Gesellschaft für Geschichte und Gedenken überlegen und untereinander abstimmen, wie so etwas aussehen könnte.

Auch ihr Schicksal ist jetzt dank des Nachweises in Yad Vashem belegt: Julie Weil, geborene Dreifuss, kam am 16. Dezember 1855 in Laupheim zur Welt. Von ihr ist eine Wohnadresse in Augsburg überliefert, 1941 ist sie in Polen gestorben.

 

Gedenken im kleinen Kreis

● Wegen der aktuellen Corona-Verordnung findet die Gedenkveranstaltung, mit der am heutigen Montag an die Zerstörung der Laupheimer Synagoge in der Reichspogromnacht 1938 und die Opfer des Holocaust erinnert wird, nach Auskunft der Stadtverwaltung mit stark reduzierter Teilnehmerzahl und ohne Öffentlichkeit statt. „Wer möchte, kann auch im stillen Gedenken zu Hause Anteil nehmen“, empfiehlt Michael Schick von der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken. „Das zählt in diesen Zeiten genauso.“

● Wegen Corona abgesagt ist eine kleine Sonderausstellung, die Daniela Barth, Lehrerin an der Friedrich-Adler-Realschule, mit Kollegen und Schülern für das Haus am jüdischen Friedhof vorbereitet hatte. „Wir haben diese Idee entwickelt, als klar war, dass die Schalomtage dieses Jahr ausfallen müssen“, sagt Barth. Die Ausstellung solle aber auf jeden Fall nachgeholt werden. Sie umfasst eine Patchwork-Arbeit von Schülerinnen und Schülern, die für Miteinander und gegenseitigen Respekt wirbt, eine Power-Point- Präsentation über den Jugendstilkünstler und Hochschullehrer Friedrich Adler und seine beiden Brüder und eine von Daniela Barth und Zehntklässlern gestaltete Bodeninstallation: Auf 20 Holzplatten unterschiedlicher Höhe und Struktur haben die Schülerinnen und Schüler von Hand die Namen der Laupheimer Holocaust-Opfer geschrieben. Das soll unterstreichen, dass jedes Opfer ein Individuum und einmalig war. (ry)