2023
Mahnende Worte zum
85. Jahrestag Laupheimer Bürger gedenken mit Lichterprozession - Erinnerung an jüdische Menschen mit Behinderung Bewohnerinnen und Bewohner des Heggbacher Wohnverbunds der St.-Elisabeth-Stiftung haben an das Schicksal von Karl Guggenheimer aus Laupheim erinnert. Von Christian Reichl - Schwäbische Zeitung Erinnern, damit sich Geschichte nicht wiederholt: Auf dem Ernst-Schäll-Platz vor dem jüdischen Friedhof haben am Mittwochabend Laupheimerinnen und Laupheimer der Verbrechen an der jüdischen Gemeinde in Laupheim und der Zerstörung der örtlichen Synagoge in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 gedacht. Bewohnerinnen und Bewohner des Heggbacher Wohnverbunds der St.-Elisabeth-Stiftung erinnerten an das Schicksal des Laupheimers Karl Guggenheimer, der im Jahr 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Heggbach eingewiesen und knapp anderthalb Jahre später vermutlich in Stuttgart ermordet wurde. Elisabeth Lincke, Vorsitzende der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken, verlas eine Rede von Karl Guggenheimers Großnichte, Liliana Löwenstein. Neben dem Dank für die Erinnerungsarbeit, richtete sie auch mahnende Worte an die Laupheimer. Trotz der regnerisch-stürmischen Witterung versammelten sich mehr Menschen als je zuvor vor dem Eingang zum jüdischen Friedhof, um an das Leid und die Zerstörung der Reichspogromnacht vor 85 Jahren zu gedenken. Ingo Bergmann erinnerte an den Tag, der dafür stehe, wie Menschen ihre Seele abgegeben hätten und Mitmenschen als ihre Feinde betrachteten, mit denen sie Tür an Tür lebten und die einen festen Platz im Laupheimer Stadtleben hatten. Wie schnell das friedliche Zusammenleben von Juden und Christen in Laupheim in Barbarei umschlagen konnte, zeigte der OB anhand geschichtlicher Daten auf: Vor 100 Jahren im Jahr 1923 scheiterte der Hitlerputsch, zehn Jahre später erlangten die Nazis dennoch die Macht und weitere fünf Jahre später war die Bevölkerung bereit, „ihre Nachbarn in den Tod zu schicken“. Diesen Nährboden, der dies ermöglicht hatte, gebe es nach wie vor. Antisemitismus und antidemokratische Strömungen seien nicht aus der Gesellschaft verschwunden, betonte Bergmann. „Wir müssen uns fragen, haben wir den Anfängen gewehrt?“, stellte der OB infrage. Es beschäme und mache ihn wütend, wenn er sehe, wie unter dem Deckmantel der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Judenhass propagiert werde und in Geschäften von jüdischen Menschen Scheiben eingeworfen und deren Häuser mit Davidsternen markiert werden. Bergmann gedachte der Opfer der Terrorangriffe in Israel und machte deutlich, dass die Gedenkveranstaltung wichtiger als je zuvor ist. Diese sei nicht nur Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch Mahnung, damit Antisemitismus und Hass keinen Platz in unserer Gesellschaft einnehmen können. Bewohnerinnen und Bewohner des Heggbacher Wohnverbunds der St.-Elisabeth-Stiftung erinnerten anschließend an die jüdischen Menschen mit Behinderung, die in den Jahren 1938 bis 1941 in der damaligen „Heil- und Pflegeanstalt Heggbach“ in einer Abteilung separiert wurden. Einer von ihnen war Karl Guggenheimer aus Laupheim (die „Schwäbische Zeitung“ berichtete), dessen Schicksal die Bewohner vortrugen. Guggenheimer musste zunächst mit seiner Mutter Lina ins jüdische Zwangsaltenheim im ehemaligen Laupheimer Rabbinatsgebäude ziehen und wurde 1940 in Heggbach eingewiesen. Seine Geschwister hatten zu diesem Zeitpunkt Laupheim bereits verlassen, was wohl ein schwerer Schlag für Lina Guggenheimer war. Aus den aufbereiteten Archivunterlagen, die die Bewohner vortrugen, geht hervor, dass sich die Schwestern vom Kloster Reute mit Menschlichkeit um Karl Guggenheimer kümmerten, bevor dieser am 28. November 1941 von Laupheim aus deportiert wurde. Vermutlich wurde Guggenheimer noch beim Stopp in Stuttgart, wo sich am Killesberg ein Sammellager befand, von SS-Leuten erschossen. Für die Recherche- und die Erinnerungsarbeit, bedankte sich die Großnichte von Karl Guggenheimer, Liliana Löwenstein, per Brief. Dadurch sei es ihr möglich gewesen, „noch einiges über meinen Großonkel und seine Mutter Lina, meiner Urgroßmutter, erfahren zu können“. Sehr wichtig sei für Löwenstein zu wissen gewesen, dass Karl in Heggbach menschlich behandelt wurde. Es bewege sie zutiefst, dass seine „herzensgute Mutter Lina“ um Erlaubnis bat, ihn zu besuchen. „Ich kann nur hoffen, dass sie sich wirklich wiedergesehen haben!“ Löwenstein berichtete über die Schicksale der sieben Geschwister von Karl Guggenheimer. „Seiner Schwester Berta, meiner Großmutter, gelang die Ausreise nach Argentinien erst im März 1940 zusammen mit meinem Großvater, nachdem ihre beiden Söhne Walter und Kurt (Löwensteins Vater) schon 1936 nach Argentinien emigriert waren.“ Karls Bruder Leopold sei im KZ Kaunas am 25. November 1941 ermordet worden. „Meiner lieben Uroma Lina hat ihr Tod (11. Januar 1941) den unerträglichen Schmerz des Mordes an ihren Söhnen erspart. Doch erspart blieb ihr nicht, von Kindern und Enkelkindern für immer Abschied zunehmen, als sie Rettung suchend Deutschland verließen“, schreibt Löwenstein, die in Buenos Aires lebt. Zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht wollte sie selbst die Rede zu Ehren von Karl sowie ihrer Urgroßeltern, Großeltern und Eltern vortragen. Doch die Terroranschläge vom 7. Oktober in Israel sowie die darauffolgenden antisemitischen Demonstrationen in vielen Städten und Ländern hätten dazu geführt, dass sie nach langem Zögern sich entschlossen habe, ihre Reise nach Deutschland zu stornieren. „Meine Generation und Jüngere erleben jetzt hautnah, was Massaker und Barbarei wie zu Zeiten des Nationalsozialismus und des Holocausts bedeuten“, so die 1960 geborene Löwenstein. 1400 Ermordete, Tausende von Verletzten und mehr als 240 in das Tunnelnetz im Gaza-Streifen entführte Menschen im Alter von neun Monaten bis zu 85 Jahren seien Opfer der Hamas geworden. Die darauffolgenden antisemitischen Taten auch in Deutschland hätten sie erschüttert. Löwenstein appellierte daran, den heute in Deutschland lebenden jüdischen Menschen, die auch deutsche Staatsbürger seien, weiter Freiheit und Sicherheit zu ermöglichen. „Der 7. Oktober 2023 ist ein Wendepunkt und muss nun auch Teil der Politik sowie der Erinnerungsarbeit in Verbindung mit der Aufgabe sein“, schrieb Löwenstein und bat, die Opfer in Israel in das Gedenken mit einzuschließen und die Grabstätte ihrer Familie zu besuchen. In einer Lichterprozession zogen die Teilnehmer im Anschluss zum Platz vor der ehemaligen Synagoge und stellten dort Kerzen am Gedenkstein ab. Für die musikalische Gestaltung der Veranstaltung sorgte ein Ensemble der St.-Elisabeth-Stiftung. |
Text vorgetragen von Bewohnerinnen und Bewohner des Heggbacher Wohnverbunds der St.-Elisabeth-Stiftung
In unserer Einrichtung in Heggbach sind in den
Jahren von 1938 bis 1941 auch jüdische Menschen mit Behinderungen. Das
ist geschieht auf Befehl der NS-Herrscher. Unsere Einrichtung
hat zu dieser Zeit den Namen Heil- und Pflege-Anstalt Heggbach.
Schwestern aus dem Kloster Reutte bei Waldsee leiten sie. Die Menschen
mit Behinderungen nennt man Pfleglinge.
Zusammen sind es fast 40 jüdische Pfleglinge.
Sie leben von den anderen getrennt in einer eigenen Abteilung. Die
meisten kommen von weit her. Aber einer stammt aus dem nahen Laupheim.
Er heißt Karl Guggenheimer. Seinen Lebensweg stellen wir jetzt vor.
Von
Karl Guggenheimer gibt es noch Fotos. Sie stammen alle vom gleichen Tag
im Jahr 1940. Sie sind im Altersheim in Laupheim aufgenommen worden.
Dort müssen ältere jüdische Menschen auf engem Raum zusammen wohnen. Auf
einem Bild steht Karl zwischen zwei anderen Männern. Sein Kopf ist
leicht geneigt und er blickt fest nach vorn. Ein Arzt sagt über ihn. Er ist gutmütig. Die
Haltung ist leicht gebückt. Sehen und Hören ist etwas herabgesetzt. Er
ist hilfsbereit und kann Ausgänge machen. Im Haus und im Garten kann er
mithelfen. Auf einem anderen Bild sitzt er mit anderen am Kaffee-Tisch.
Man sieht ihn hinter seiner Mutter. Helene heißt sie. Sie wird aber
immer Lina genannt. Man erkennt sie an der runden Brille und den weißen
Haaren. Hinter Karl schaut noch Arthur Grab hervor. Er hat ebenfalls
eine runde Brille. Er ist der letzte Vorstand der jüdischen
Gemeinde. Für die jüdischen Pfleglinge in Heggbach setzt er sich bis zum
Schluss ein. Karl Guggenheimer ist auf diesen Bildern 58 Jahre alt. Im Mai 1882 kommt Karl in Laupheim zur Welt. Die
Familie wohnt in der Rad-Straße. Er hat noch 7 jüngere Geschwister. Sie
werden später Laupheim verlassen. Karl bleibt die ganze Zeit bei den
Eltern. Die nahe Schule kann er nicht besuchen. Doch weit entfernt
bekommt er bei einem Lehrer eine Zeit lang Unterricht. Trotzdem kann er
keinen Beruf ausüben. Aber zu Hause bei Vater und Mutter hilft er gerne
mit. Der Vater ist Viehhändler. So kann er in der Familie und mit Hilfe
der jüdischen Gemeinde gut leben. Als Hitler in Deutschland die Macht
übernimmt, ändert sich alles. Ab jetzt ist sein Leben bedroht. Er ist
Jude und ein Mensch mit Behinderung. Nach ein paar Jahren muss er mit seiner Mutter
das Haus verlassen und in das Altersheim ziehen. Dort ist das Leben für
alle sehr schwierig, besonders für Karl.Er hat starke Atembeschwerden.
Aber in Laupheim darf er nicht mehr lange bleiben. Im Juni 1940 kommt er auf Befehl der NS-Behörden
nach Heggbach. Er lebt dort mit anderen jüdischen Menschen mit
Behinderungen in einer besonderen Abteilung. Karl Guggenheimer ist nicht
arm. Man hat für ihn Geld gespart. Es ist in Laupheim auf der Bank. So
kann er die Kosten von 2 Reichsmark am Tag selbst bezahlen. Auch die
Verbindung zur Mutter und der Gemeinde in Laupheim ist möglich. Die
Schwestern in Heggbach melden: Karl hat sich bald gut eingewöhnt hat.
Sie erlauben den Besuch der Mutter. Auch die jüdische Kultusvereinigung Württemberg
in Stuttgart kümmert sich um die jüdischen Pfleglinge. Das passiert oft
durch Arthur Grab in Laupheim. Im Dezember schickt er Hutzelbrot zum
jüdischen Lichterfest. Zum Frühjahr sind es die Osterbrote, die Mazzen.
Die Schwestern geben alles weiter an die Pfleglinge. Für alle Gaben, die
Karl bekommt, bedankt er sich herzlich. Immer lässt er dann Grüße nach
Laupheim bestellen.
Zuletzt
muss Arthur Grab die gelben Sterne nach Heggbach schicken. Auch Karl
muss eine solchen Stern an seiner Kleidung tragen. Aber bald danach
kommen schon die ersten Befehle: Karl und eine weitere Frau müssen aus
Heggbach weggehen. Im November bringt man ihn von Heggbach weg.
Alles Geld wird ihm bald abgenommen. Nur ein paar Sachen darf er
mitnehmen: Einen Koffer Es soll aussehen, wie ein Umzug in ein anderes
Land. Aber das ist ein Betrug. Auch die Schwestern sollen das glauben.
Man bringt ihn zum Bahnhof in Laupheim. Dort trifft er mit anderen aus
dem Altersheim wieder zusammen. Aber es ist ein Wiedersehen ohne Freude.
Das Ziel der Fahrt ist ungewiss. Zuerst geht es nach Stuttgart in ein großes
Sammel-Lager. Dort herrscht ein großes Elend. Karl ist jetzt ohne
Pfleger. Er ist hilflos. Eine Meldung sagt. Man hat ihn noch in Stuttgart
ermordet. Die Aufseher haben ihn erschossen. Das ist sehr
wahrscheinlich. Durch sein Hilflosigkeit und seine Krankheit hat er
gestört. Er hätte jetzt Hilfe gebraucht. Aber man gibt ihm den Tod. |
Grußworte von Frau Liliana Löwenstein Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Bergmann, sehr geehrte Mitglieder des Arbeitskreises Shalom
der „Shalomtage“ der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Laupheim, sehr geehrte Frau Sorg und Frau Schultheiss in
Vertretung der Mitglieder der Sankt-Elisabeth-Stiftung Heggbach, sehr geehrter Herr Dr. Niemetz, Leiter des
Museums zur Geschichte von Christen und Juden in Laupheim, sehr geehrte Mitglieder der Gesellschaft für
Geschichte und Gedenken in Laupheim, insbesondere liebe Frau Lincke, lieber Herr
Schick, lieber Herr Schmid, liebes Musikensemble der St.Elisabeth-Stiftung, sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer
dieser Gedenkveranstaltung, zunächst erlauben sie mir ein großes Dankeschön
an Elisabeth Lincke, dafür dass Sie meiner Rede ihre Stimme verleiht. Ihnen möchte ich zum 40. Jubiläum der
„Shalomtage“ gratulieren, mich für Ihre Erinnerungs- und
Friedensarbeit von Herzen bedanken, und Ihnen auch ein sehr herzliches
Dankeschön aussprechen dafür, dass Sie in diesem Jahr an die jüdischen
Patienten der Heil- und Pflegeanstalten erinnern, insbesondere an meinen
Großonkel Karl Guggenheimer, der vom 6. Juni 1940 bis zum 28. November
1941, d.h. bis zur Entlassung für die geplante Deportation in den Osten
nach Riga, in der Abteilung für jüdische Pfleglinge in der Heil-und
Pflegeanstalt in Heggbach gezwungenermaßen untergebracht war. Auch möchte ich mich besonders bei Frau Sorg für
ihre Recherche bedanken. Dank der zahlreichen Unterlagen, die sie noch
ausfindig machen konnte, und mir ermöglichten, noch Einiges über meinen
Großonkel und seiner Mutter Lina, meiner Urgroßmutter, erfahren zu
können. Einem ärztlichen Bericht konnte ich entnehmen, dass Karl
gutmütig, ruhig, geordnet, hilfsbereit, arbeitsam, reinlich und
gesellschaftsfähig war. Sein Ernährungs- und Kräftezustand sowie sein
Seh- und Hörvermögen waren etwas herabgesetzt, ebenso sein
Urteilsvermögen. Voraussichtliche Prognose war dauernde
Pflegebedürftigkeit. Sehr wichtig ist auch für mich jetzt zu wissen,
dass Karl in Heggbach menschlich behandelt wurde! Es bewegte und bewegt
mich zutiefst, dass seine herzensgute Mutter Lina um Erlaubnis bat, ihn
zu besuchen. Ich kann nur hoffen, dass sie sich wirklich wiedergesehen
haben! In dieser Dokumentation hieß es im Februar 1941, dass 4
Pfleglinge in einem Dauerheim für Schwachsinnige in Berlin-Weißensee
aufgenommen werden sollten. Doch Karl blieb in Heggbach, unterlag
allerdings ab September 1941 der Pflicht, den die Juden kennzeichnenden
Judenstern auch zu tragen. Seine Evakuierung aus Heggbach und Zuordnung
zum Transport nach Riga-Jungfernhof wurde am 22. November 1941 befohlen.
Im Attest vom 24. November 1941 wurde festgehalten: „Ob Guggenheimer mit
seinem Asthmaleiden eine längere Reise gut übersteht, ist zweifelhalft.“
Am 28. November wurde Karl aus Heggbach entlassen. Es ist ungewiss, was
danach mit ihm geschah. Gemäß einer Information aus Yad Vashem ist
anzunehmen, dass er noch in Stuttgart am 1. Dezember 1941 vielleicht
aufgrund seiner Schwäche und Behinderung ermordet wurde. Am
Denkmal „Zeichen der Erinnerung“ am Nordbahnhof Stuttgart ist sein Name,
und unter anderen auch Namen von Angehörigen meines Großvaters Heinrich
Löwenstein, zu finden. Karl’s Mutter Lina verstarb am 11. Januar 1941.
Ihr altes Mutterherz hat sicherlich nicht mehr so viel Schmerz ertragen
können. Ihr Sohn Julius war schon 1935 verstorben. Er hinterließ seine
Frau und seinen Sohn Henry, der als kleiner Junge über enorme Umwege
sogar über Sibirien und die Mandschurei schließlich mit seiner Mutter in
den USA Zuflucht fand. Er ist heute 95, lebt in Dayton/Ohio, hat drei
Kinder und 6 Enkelkinder. Karl’s Brüder Heinrich, Max und Herrmann
konnten sich auch in die USA retten. Seiner Schwester Berta, meiner
Großmutter, gelang die Ausreise nach Argentinien erst im März 1940
zusammen mit meinem Großvater, nachdem ihre beiden Söhne Walter und Kurt
(mein Vater) schon 1936 nach Argentinien emigriert waren. Ein
weiterer Bruder von Karl, Leopold, wurde im KZ Kaunas am 25. November
1941 ermordet. Meiner lieben Uroma Lina hat ihr Tod diesen
unerträglichen Schmerz des Mordes an ihren Söhnen erspart. Doch erspart
blieb ihr nicht, von Kindern und Enkelkindern für immer Abschied zu
nehmen, als sie rettungssuchend Deutschland verließen. Ein
einziges Kind, ihr Sohn Karl, der immer bei und mit ihr gelebt hat und
Alles und Einziges nun für sie war, wurde 7 Monate vor ihrem Tod von
ihrer Seite gerissen. Heute, am 85. Jahrestag der Reichspogromnacht,
wollte ich hier an diesem Ort stehen und selbst diese Rede zu Ehren von
Karl sowie meiner Urgroßeltern, Großeltern und Eltern vortragen. Genau
für den 4. November hatte ich meinen Flug von Buenos Aires nach München
gebucht. Doch die Pogrome in ca. 12 Kibbutzim - bewusst spreche ich
nicht von nur einem Pogrom und nicht von nur einem Massaker -, und die
Massaker vom 7. Oktober in Israel sowie die darauffolgenden
antisemitischen Demonstrationen in vielen Städten und Ländern - bis zum
4. November ca. 1.800 antisemitische Vorfälle nur in Deutschland - haben
dazu geführt, dass ich nach langem Zögern mich entschlossen habe, meine
Reise nach Deutschland zu stornieren. In diesen Tagen kann ich nur an die
traumatisierenden Erlebnisse meiner Eltern, Großeltern und Angehörigen
denken. An die stetige Mahnung meiner fast 98-jährigen und vor 2 Jahren
verstorbenen Mutter, dass der Antisemitismus keinesfalls erloschen ist.
Meine Generation, ich bin 1960 geboren, und Jüngere erleben jetzt
hautnah was Massaker und Barbarei wie zu Zeiten des Nationalsozialismus
und des Holocausts bedeuten. In Israel wurden am 7. Oktober 2023 junge
Menschen bei einem Musikfestival unter freiem Himmel von Terroristen der
Hamas überfallen, gejagt und ermordet, Menschen in allen Altersgruppen
in ihren Häusern in der Morgendämmerung abgeschlachtet, gefoltert,
verstümmelt, vergewaltigt, lebend verbrannt, enthauptet und verschleppt.
1.400 Ermordete, Tausende von Verletzten und mehr als 240 in das
Tunnelnetz im Gaza-Streifen entführte Menschen im Alter von 9 Monaten
bis zu 85 Jahren. Die Bilder eines beinahe gelungenen Pogroms am
Flughafen in Dagestan sowie von Evakuierungen von Flughäfen in
Frankreich, Kennzeichnung von Häusern mit Davidsterne und Zerstörung von
israelischen Flaggen in Deutschland haben mich erschüttert. Auch in
Buenos Aires, meiner Stadt in Argentinien, in der schon 1992 und 1994
zwei Bombenanschläge gegen die israelische Botschaft und gegen den
Dachverband und Hilfswerk der jüdischen Gemeinde „AMIA“ stattgefunden
haben, und wir seitdem mit Betonblöcken und Bewachung vor allen
jüdischen Institutionen, Schulen und Synagogen leben, gab es
Bombendrohungen bei der israelischen und der nordamerikanischen
Botschaft sowie bei jüdischen Schulen. Sie erwiesen sich als falscher
Alarm, aber der psychologische Krieg ist auch da. Meine eigenen
postgenerationale Traumata, Ausdruck des schmerzhaften Schweigens meiner
Eltern und Großeltern, und mit dem sie ihr tiefes und unendliches Leid
der Verfolgung und des Mordes an ihren Lieben nur verdrängen konnten,
haben ebenfalls zu meinen Überlegungen geführt, aktuell nicht nach
Deutschland zu reisen. Erlauben Sie mir mit zwei von Herzen kommenden
Bitten zu enden. Zu dem heutigen Gedenken an Karl habe ich eine
Gedenktafel für ihn und seinen Bruder Leopold erstellen lassen, und sie
befindet sich seit dem 27. Oktober am Grabstein ihrer Eltern Lina und
Josef, hier in Laupheim auf dem jüdischen Friedhof. Nun haben beide
Männer, die nirgendwo eine Grabstätte haben, symbolisch eine würdige
Ruhestätte bei ihren Eltern gefunden. Die Teilnehmer an der Führung auf
dem Jüdischen Friedhof am kommenden 12. November möchte ich hiermit
höflich auffordern, die Grabstätte der Guggenheimer Familie auch zu
besuchen. Und nun die zweite Bitte: Den Worten folgen
Taten. Vergessen wir nicht die seit Jahren an deutschen Schulen
vorkommenden zahlreichen antisemitischen Vorfälle. Vergessen wir nicht
den Anschlag auf die Synagoge in Halle. Vergessen wir nicht den
versuchten Anschlag auf die Berliner Synagoge in der Brunnenstraße.
Vergessen wir nicht Beleidigungen und Angriffe auf jüdische Menschen im
öffentlichen Raum, Anfeindungen mit jüdischen Studierenden an
Universitäten, Angriffe auf jüdische Restaurants, Kennzeichnung von
Häusern mit Davidsterne, in denen jüdische Menschen leben,
Beschädigungen von Stolpersteinen, die an jüdische ermordete und
geflüchtete Menschen erinnern, Grabschändungen auf jüdischen Friedhöfen,
Schmierereien an Holocaust-Gedenkstätten und Denkmäler, Hetze und
Hassrede in den sozialen Netzwerken. Antisemitismus in Deutschland ist
ein gesamtgesellschaftliches und politisches Problem. 2021 hat Deutschland rückblickend 1700 Jahre
jüdisches Leben gefeiert. Mit der Zuwanderung jüdischer Familien aus der
ehemaligen Sowjetunion ab den neunziger Jahren erblühte ein neues
jüdisches Leben als ein unerwartetes Geschenk. Diese jüdischen Familien
haben kleine Kinder nach Deutschland gebracht und auch Kinder in
Deutschland zur Welt gebracht. Diese junge Generation hat auch selbst
schon in Deutschland geborene Kinder und auch
deutsch-jüdisch-israelische Familien gegründet. Sie alle sind deutsche
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, und sie sind Jüdinnen und Juden, die
Teil der deutschen Gesellschaft sind. Sie sind in ihrer vollen
Diversität und Identität sowohl die jüdische Gegenwart als auch die
jüdische Zukunft in Deutschland und werden als solche nicht ausreichend
wahrgenommen. Ermöglichen Sie ihnen weiter Freiheit und Sicherheit in
diesem Land. Wir brauchen mehr Menschen wie Robert Habeck, der die
richtigen und deutlichen Worte zu finden versteht und den Antisemitismus
in seiner gesamten Reichweite bei seinem Namen nennt. Der 7. Oktober
2023 ist ein Wendepunkt und muss nun auch Teil der Politik sowie der
Erinnerungsarbeit in Verbindung mit der Aufgabe sein, dass wir uns alle
gemeinsam mit unserem Hier und Jetzt und mit unserem Zusammenleben in
Frieden auf dieser Welt auseinandersetzen. Und last but not least: Inzwischen ist schon ein
Monat seit den Massakern in Israel vergangen. Die 155 Kerzen, die sie
jetzt zum ehrwürdigen Gedenken an die Laupheimer Opfer zünden werden,
gelten symbolisch auch den Opfern in Israel. NIE WIEDER IST JETZT! AM ISRAEL CHAI – DAS VOLK
ISRAEL LEBT! Vielen Dank! |
* * *
Bewahrer des jüdischen Erbes Ehemaliger katholischer Schuldekan, Stadt- und Kirchengemeinderat Joachim Kawka stirbt mit 82 Jahren Von Roland Ray Trauer um Joachim Kawka: Der ehemalige katholische Schuldekan, Stadt- und Kirchengemeinderat ist am vergangenen Samstag im Alter von 82 Jahren gestorben. Am Freitag, 27. Oktober, wird er auf dem Neuen Friedhof beerdigt. Wer Kawkas Worten folgen wollte, musste die Ohren spitzen, denn eine Erkrankung hatte seine Stimme dauerhaft geschwächt. Doch so leise sie war, Hinhören lohnte: Was dieser den Menschen zugewandte, humorvolle Mann sagte, entsprang profundem Wissen und einem wachen, wenn nötig beharrlichen Geist. Seine Stimme hatte Gewicht. Geboren wurde Joachim Kawka 1941 in Ostpreußen. Der Vater fiel im Krieg, die Mutter schlug sich mit ihren vier Kindern nach Westen durch. Laupheim wurde dem Heranwachsenden ein neues Zuhause. Beruflich wie auch ehrenamtlich hat sich der Theologe und Pädagoge in vielfältiger Weise in der Erziehungs- und Bildungsarbeit hervorgetan. Als Schuldekan war er zuständig für rund 110 Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschulen in den Dekanaten Biberach, Laupheim, Ochsenhausen, Riedlingen und Saulgau-Nord. Fast vier Jahrzehnte gehörte er dem Kirchengemeinderat von Sankt Petrus und Paulus und von 1975 bis 1990 dem Gemeinderat an, war in die Organisation der Schalomtage eingebunden und in die Gesellschaft für Geschichte und Gedenken. Er zählte zu den Ersten, die sich gemeinsam mit Ernst Schäll um den Erhalt des jüdischen Friedhofs kümmerten, und half Priestern aus Übersee, die in Oberschwaben ihr Vikariat absolvierten, sich einzugewöhnen. Ein Herzensanliegen war ihm die Verständigung zwischen Christen und Juden und die Bewahrung des jüdischen Erbes in Laupheim. Kawka verstand es meisterhaft, gerade jungen Menschen Zugänge zu diesem Erbe zu erschließen, ihnen den historischen Stoff und den Bezug zur Gegenwart begreiflich zu machen und aufzuzeigen, wohin Intoleranz, Fanatismus und totalitäres Gedankengut führen können. Jahrzehntelang, auch als Pensionär, betreute er Realschulklassen, die die jüdischen Gräber pflegten; in Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten stellte er Begleitmaterial für junge Museumsbesucher bereit, schulte Lehrkräfte in dieser Thematik. „Wenn Schülerinnen und Schüler unser Land verstehen wollen, müssen sie den Nationalsozialismus und den Holocaust kennen, nicht um Schuldgefühle zu entwickeln, wohl aber, um die Verantwortung zu sehen“, sagte er. Laupheim biete hervorragende Lernorte dafür. Kawkas schulisches, kirchliches und gesellschaftliches Wirken ist mit hohen Auszeichnungen gewürdigt worden. 2007 erhielt er aus der Hand von Bischof Gebhard Fürst das päpstliche Ehrenzeichen „Pro ecclesia et pontifice“. 2010 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Er habe sich weit über seine Pflichten hinaus für die Belange des katholischen Religionsunterrichts eingesetzt, hieß es in der Laudatio, und vielen Menschen am Beispiel Laupheims die großen Themen der christlich-jüdischen Geschichte nahegebracht. Der ehemalige katholische Schuldekan, Stadt- und Kirchengemeinderat Joachim Kawka ist am vergangenen Samstag im Alter von 82 Jahren gestorben. 2010 wurde ihm für sein schulisches, kirchliches und gesellschaftliches Wirken das Bundesverdienstkreuz am Bande (Foto) verliehen. (Archivfoto: Roland Ray) Laupheim |
Neue Gedenktafel für weitere 53
Holocaust-Opfer
Recherche fördert weitere NS-Verfolgte mit Bezug zu Laupheim zutage - Auf jüdischem Friedhof wird an sie erinnert. Von Christian Reichl Schwäbische Zeitung vom 27.01.2023
„Ihr Sterben soll uns allzeit mahnen“, diese Worte prangen auf der bronzenen Gedenktafel, die an der Giebelseite des Hauses am jüdischen Friedhof angebracht ist. Auf ihr zu lesen sind die Namen von 102 Holocaust-Opfern. Jetzt wurde anlässlich des heutigen Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus eine neue Tafel unter der bereits vorhandenen Plakette installiert. Sie erinnert an die Schicksale von weiteren 53 jüdischen Menschen, die ebenfalls den Tod durch die nationalsozialistische Verfolgung von 1933 bis 1945 fanden.
Augenscheinlich unterscheidet sich die neue Gedenktafel von der 1984 angebrachten nur im Farbton. Auf der bronzenen Platte hat die Witterung ihre Spuren hinterlassen. „In einigen Jahren wird die neue Tafel dieselbe Patina haben wie die alte“, sagt Michael Schick, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken (GGG).
Die neue Gedenktafel erinnert nun an 53 weitere Menschen, die durch die nationalsozialistische Verfolgung starben. „Auf der Tafel stehen die Namen von Menschen, die in Laupheim geboren wurden, hier lebten oder von Laupheim aus deportiert wurden“, berichtet Schick. Die Kriterien sind laut Schick dieselben, die bereits für die alte Gedenktafel zugrunde gelegt wurden. Ein prominentes Beispiel hierfür nennt Schick mit dem Laupheimer Jugendstilkünstler Friedrich Adler, der auch auf der Tafel steht, obwohl er später in Hamburg lebte. Im Juli 1942 wurde der Kunstprofessor von Hamburg aus nach Auschwitz deportiert. Zur letztgenannten Gruppe gehörten etwa die Juden, die das frühere Rabbinat am Synagogenweg, in dem die Nationalsozialisten ein jüdisches Zwangsaltenheim einrichteten, beziehen mussten, aber auch die jüdischen Menschen, „die durch die Wirren des Krieges hier gelandet sind“, wie der 55-Jährige erklärt.
Er erinnert daran, dass schon in den 1990er-Jahren zwei Namen auf der alten Tafel ergänzt wurden, der von Ludwig Haymann, und der von Janette Oppenheimer geborene Heumann. „Man rechnete schon damals mit wesentlich mehr Menschen, die Opfer der Shoa wurden“, erklärt Schick. Die früheren Recherchen gestalteten sich aber schwierig, weil sich die Gedenkarbeit auf Erinnerungen von Zeitgenossen der Opfer stützen musste. „Die ersten Aufzeichnungen waren Erinnerungen von ehemaligen KZ-Häftlingen und handgeschrieben. Heute sind alle Archive digitalisiert“, sagt der Laupheimer. Mit wenigen Klicks spuckt ein Computer inzwischen alle Treffer mit der Übereinstimmung eines Namens aus. So konnten mit den jüngsten Recherchen 155 Opfer der Shoa mit Bezug zu Laupheim identifiziert werden.
Unter den bislang nicht namentlich bekannten Opfern, an die nun erinnert wird, ist der Handelsvertreter Isidor Weil, geboren am 21. August 1875 in Metzentürm, und seine Frau Elsa - Geburtsname Kahn -, geboren am 17. November 1882 in Ludwigsburg. Die Familie wurde im September 1939 von der Ulmer Sammelunterkunft ins ehemalige Laupheimer Rabbinat zwangseingewiesen. Das Ehepaar wurde mit dem letzten Deportationszug von Laupheim aus, am 19. August 1942, ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Die Tochter, Edith Antonie, geboren am 24. Oktober 1926 in Ulm, brachten die Nationalsozialisten am 23. August 1943 nach Theresienstadt. Isidor Weil starb am 7. Februar 1943 in Theresienstadt, Elsa und Edith wurden am 12. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
„Wir bleiben an der Gedenkarbeit dran“, sagt Elisabeth Lincke, die Vorsitzende der GGG. Beide Vorsitzenden betonen, dass die Recherche um die Opfer der Shoa ein nicht endender Prozess sei. Deshalb steht auf der neuen Tafel auch „Ergänzt 2023“. „Das soll zeigen, dass das wahrscheinlich nicht das Ende ist“, sagt Lincke.
Wie schwierig die Recherche aber auch sein kann, erfuhr der Lokalhistoriker Michael Schick, von Beruf Kriminaltechniker, bei seiner Suche in den Datenbanken. Denn, in den Archiven, der Datenbank der Internationalen Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, in der etwa 4,5 Millionen Datensätze gespeichert sind, im Bundesarchiv in Koblenz und in der genealogischen Datenbank des Jüdischen Museums Hohenems sowie im Arlosen Archiv stößt er auch auf Dopplungen. „Man muss sich die Datensätze genau anschauen, teilweise gibt es mehrere identische Einträge, einer unter dem Geburtsnamen, ein anderer unter dem Familiennamen“, so Schick. Bei seinen Recherchen unterstützen ihn die Vorsitzende und Michael Niemetz, Leiter des Museums zur Geschichte von Christen und Juden, die sich seit Jahren mit der Genealogie der ehemaligen jüdischen Laupheimer Familien beschäftigen. Auch für die Zukunft schließt Schick nicht aus, dass die Opferzahlen nach oben korrigiert werden müssen, obwohl „große Entdeckungen von weiteren Opfern eher ausgeschlossen“ sind. „Wir haben jetzt aber noch eine Person zuordnen können, die unter Laubheim eingetragen war“, berichtet Schick. Diese Falschschreibung verhinderte bislang den entscheidenden Treffer. Weitere Forschung streben er und der Verein zu den Geschichten hinter den Namen an. „Wir versuchen zu den einzelnen Schicksalen die Biografien zu recherchieren.“
Sicher ist man sich bei der GGG, dass die Forschung zu anderen Opfergruppen in Laupheim nötig ist. So konnten die Historiker weitere 20 Opfer der Euthanasie und vier von den Nationalsozialisten ermordete Sinti und Roma ermitteln. „Wichtig ist uns, dass an die Menschen nicht nur auf einer Tafel erinnert wird, sondern auch auf unserer Internetseite, so können die Nachkommen von NS-Opfern uns finden“, sagt Schick. Die Daten zu den Opfern des Nationalsozialismus und auch das erstmals 2008 erschienene Gedenkbuch „Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung“, zu den Biografien von Mitgliedern der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Laupheim, sind über die Internetseite der GGG abrufbar.
Angestoßen durch Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde setzt sich die GGG laut Satzung für die Erforschung der Ortsgeschichte Laupheims, insbesondere im Hinblick auf die jüdische Geschichte, ein, betont Elisabeth Lincke. Die Erinnerung an die jüdische Gemeinde, die gewaltsam durch die Nationalsozialisten ausradiert wurde, und die Pflege ihres Andenkens möchte der Verein in seiner Erinnerungsarbeit bewahren. Weitere Informationen über die Arbeit der GGG gibt es unter
www.ggg-laupheim.de
Das Digitalisat zum Gedenkbuch finden Interessierte unter
Opfern der Shoa einen Namen geben
Laupheim gedenkt NS-Verfolgten - neue Tafel auf dem jüdischen Friedhof enthüllt.
Von Christian Reichl Schwäbische Zeitung vom 28.01.2023
Eine neue Gedenktafel am jüdischen Friedhof erinnert nun an die Schicksale von weiteren 53 Holocaust-Opfern mit einem Bezug zu Laupheim. Die Stadt hat anlässlich des Holocaust-Gedenktags (27. Januar 2023) die Ergänzung der bestehenden Platte am Abend zuvor enthüllt. Rund 100 Menschen waren als Gäste gekommen.
An die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 78 Jahren erinnerte Laupheims Oberbürgermeister Ingo Bergmann in seiner Begrüßung. Auschwitz nannte er das „dunkelste und schlimmste Kapitel deutscher Geschichte“. Auschwitz als Sinnbild des Bösen, aber auch die vielen anderen Vernichtungslager, die nur geschaffen wurden, um Menschen zu töten, zeigten, was „Menschen anderen Menschen antun können“, mahnte der OB. Dank des besseren Zugangs zu Informationen sei es heute möglich, mehr über die Schicksale der Verfolgten zu erfahren. Er dankte allen, die es in Bezug auf Laupheim ermöglichten, „dass wir ihre Namen kennen“. Sein Dank galt auch Michael Steiner, angereist mit seiner Familie aus der Schweiz, der die neue Gedenktafel mit einer Geldspende ermöglicht habe.
Wie ehemalige Mitglieder der jüdischen Gemeinde schon kurz nach Kriegsende wieder Kontakt nach Laupheim aufnahmen, schilderte Michael Niemetz, Leiter des Museums für Christen und Juden in Laupheim. Niemetz las aus dem Schriftverkehr zwischen Ruth Rieser, welche die NS-Verfolgung überlebt hatte, und dem von den Alliierten eingesetzten Bürgermeister Josef Hyneck vor. Obwohl zwei Schwestern von Rieser in Theresienstadt von den Nazis umgebracht worden waren, habe sie sich an die Verwaltung in Laupheim gewandt und sich darum bemüht, dass an die in den Konzentrationslagern ermordeten Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Laupheim erinnert wird. Schon damals nannte Rieser sechs Namen, die erst jetzt auf der neuen Tafel aufgeführt sind. Dies stehe exemplarisch dafür, wie Historiker lange mit Überlieferungsproblemen zu kämpfen hatten. Anhand der wichtigsten Stationen zeigte Niemetz, wie sich die Erinnerungsarbeit in Laupheim von der ersten jüdischen Abteilung im Heimatmuseum und der Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof im Jahr 1978 bis zur Einweihung der neuen Tafel entwickelt hatte. „Mit der Gedenktafel können wir den Opfern jetzt einen Namen geben“, so Niemetz. Michael Steiner, Sohn von Yitzhak Heinrich Steiner, übermittelte eine Grußbotschaft seiner Tante, Martina Frank-Steiner, in der diese die Verbundenheit zu Laupheim und ihre Anerkennung für die Gedenkarbeit aussprach.
Zu den jüngsten Recherchen in den NS-Archiven berichtete Michael Schick, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Geschichte und Gedenken (GGG) und Betreuer des jüdischen Friedhofs. Nach einer ersten Recherche sei er auf immer mehr Namen mit Bezug zu Laupheim gestoßen. Doch einige Datensätze hätten sich gedoppelt. Gemeinsam mit Museumsleiter Michael Niemetz und der Vorsitzenden der GGG, Elisabeth Lincke, recherchierte er die 53 Namen der Menschen, an die nun auf der ergänzten bronzenen Platte erinnert wird (SZ berichtete). Damit steige die Gesamtzahl allein der jüdischen NS-Opfer mit Bezug zu Laupheim auf insgesamt 155 Menschen. Weitere 20 Opfer gibt es für Laupheim durch die Euthanasie zu beklagen - die Ermordung von kranken und behinderten Menschen - weitere vier Opfer sind Sinti und Roma. Schicks nächstes Projekt wird sich den Krankenmorden widmen.
Rabbiner Shneur Trebnik aus Ulm versinnbildlichte anhand einer bekannten Anekdote, über die Begegnung zwischen Napoleon und einer Gruppe von Juden, die sich über die Zerstörung des Jerusalemer Tempels unterhalten, dass das Judentum nicht nur eine bedeutende Vergangenheit, sondern auch Gegenwart habe. Dafür würden auch die „zahlreichen Menschen, die hier stehen“ sprechen. Zur Zukunft sprach er aber auch mahnende Worte: Jeder solle sich auf dem Nachhauseweg überlegen, was er tun könne, damit die Shoa sich nicht wiederhole und es keine neuen Gedenktafeln brauche. Dann betete der Rabbiner den Psalm 130 auf Deutsch und Hebräisch. Petr Hemmer (Violine) und Helmut Zeihsel (Piano) von der Musikschule Gregorianum umrahmten die Veranstaltung musiklaisch. Sie spielten „Wär ich wirklich so falsch“ und „Mein Geist ist trüb“ aus den Hebräischen Gesängen, die aus der Feder des in Laupheim geborenen jüdischen Komponisten Moritz Henle stammen. Außerdem ein Andante aus einer Violinsonate von Bach.
Eine Führung zur neuen Gedenktafel bietet Michael Schick am Sonntag, 29. Januar 2023, um 14 Uhr an. Treffpunkt ist am Haus am jüdischen Friedhof.
New memorial
plaque for another 53 Holocaust
victims
Research uncovers further victims of Nazi persecution with a connection to Laupheim - They are commemorated on Jewish cemetery
Giving victims of the Shoa a name Laupheim commemorates
victims of Nazi persecution - new plaque unveiled at Jewish cemetery
The extension of the memorial plaque at the Jewish cemetery gives a
name to Nazi victims with a connection to Laupheim. At the unveiling of
the new plaque (from left): Laupheim's mayor Ingo Bergmann, Michael
Schick, Michael Niemetz and Michael Steiner. (PhotoS: Christian Reichl) By Christian Reichl Schwäbische Zeitung from Jan. 28,2023 A new memorial plaque at the Jewish cemetery now commemorates the fates of another 53 Holocaust victims with a connection to Laupheim. The city unveiled the addition to the existing plaque the previous evening on the occasion of Holocaust Remembrance Day (Jan. 27). About 100 people had come as guests. Laupheim's mayor Ingo Bergmann recalled the liberation of the Auschwitz death camp 78 years ago in his welcoming speech. He called Auschwitz the "darkest and worst chapter of German history". Auschwitz as a symbol of evil, but also the many other extermination camps that were created only to kill people, showed what "people can do to other people," the mayor warned. Thanks to better access to information, he said, it is now possible to learn more about the fates of those persecuted. He thanked all those who, in relation to Laupheim, made it possible "that we know their names." He also thanked Michael Steiner, who had traveled with his family from Switzerland, who had made the new memorial plaque possible with a monetary donation. Michael Niemetz, director of the Museum for Christians and Jews in Laupheim, described how former members of the Jewish community re-established contact with Laupheim shortly after the end of the war. Niemetz read from correspondence between Ruth Rieser, who had survived Nazi persecution, and Josef Hyneck, the mayor appointed by the Allies. Although two of Rieser's sisters had been killed by the Nazis in Theresienstadt, she had approached the administration in Laupheim and asked that the members of the former Jewish community in Laupheim who had been murdered in the concentration camps be remembered. Even then, Rieser mentioned six names that are only now listed on the new plaque. He said that this was an example of how historians had to struggle with problems of transmission for a long time. Using the most important stages, Niemetz showed how the commemorative work in Laupheim had developed from the first Jewish section in the local history museum and the commemoration ceremony at the Jewish cemetery in 1978 to the dedication of the new plaque. "With the memorial plaque, we can now give the victims a name," Niemetz said. Michael Steiner, son of Yitzhak Heinrich Steiner, conveyed a message of greeting from his aunt, Martina Frank-Steiner, expressing her attachment to Laupheim and her appreciation for the memorial work. Michael Schick, deputy chairman of the Society for History and Remembrance (GGG) and caretaker of the Jewish cemetery, reported on the latest research in the Nazi archives. After an initial search, he said, he came across more and more names related to Laupheim. But some records were duplicated. Together with museum director Michael Niemetz and the chairwoman of the GGG, Elisabeth Lincke, he researched the 53 names of the people who are now commemorated on the supplemented bronze plate (SZ reported). He added that this brings the total number of Jewish Nazi victims with a connection to Laupheim alone to a total of 155 people. There are another 20 victims to mourn for Laupheim through euthanasia - the murder of sick and disabled people - another four victims are Sinti and Roma. Schick's next project will be dedicated to the murders of the sick. Rabbi Shneur Trebnik from Ulm used a well-known anecdote, about the encounter between Napoleon and a group of Jews discussing the destruction of the Jerusalem Temple, to illustrate that Judaism not only has a significant past, but also a present. The "numerous people standing here" would also speak for that. But he also spoke cautionary words about the future: everyone should think about what they can do on their way home so that the Shoa does not happen again and there is no need for new memorial plaques. Then the rabbi prayed Psalm 130 in German and Hebrew. Petr Hemmer (violin) and Helmut Zeihsel (piano) from the Gregorianum Music School provided the musical framework for the event. They played "Wär ich wirklich so falsch" and "Mein Geist ist trüb" from the Hebrew Songs, penned by the Laupheim-born Jewish composer Moritz Henle. Also, an andante from a violin sonata by Bach. A guided tour of the new memorial plaque will be offered by Michael Schick on Sunday, January 29, at 2 pm. Meeting point is at the house at the Jewish cemetery. |