Geschichte der letzten Reihen im jüdischen Friedhof
Von Dr. Yitzhak Heinrich Steiner und Michael
Schick
Der jüdische Friedhof in Laupheim ist der letzte
lebendige Zeuge einer einst so großen und blühenden Gemeinde. Wie eine
Zeitachse dokumentiert der Friedhof mit den erhaltenen Grabstellen die
zurückliegende Zeit. Aus den Anfangsjahren der Gemeinde um 1730 wissen
wir nicht viel über die bestatteten Personen, vielen Gräber sind keine
Namen zuzuordnen. Viele Grabmale sind verwittert und existieren nicht
mehr, - es ist Gras darüber gewachsen. Im Weiteren mittleren Bereich des Friedhofes, so
ab den Jahren um 1850, lässt sich durch die Gestaltung und Größe der
Grabanlagen die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde und deren
Mitglieder beobachten. Hier werden die Grabsteine größer, edler und
aufwändiger. Gehen wir in der „Zeitachse“ des Friedhofes weiter bis in
die Jahre um 1930, so werden fast alle Grabsteine wieder gleich hoch. In
dieser Zeit entstehen auch die ersten Familiengräber. In den letzten beiden Reihen des Friedhofes,
entsprechend auch den jüngsten, fallen rund drei Dutzend Grabsteine
durch ihr fast einheitliches Design und Schlichtheit auf. Bei den
Grabanlagen handelt es sich um Grabsteine aus Kunststein. Sie bestehen
aus feinem Beton, der einer natürlichen Steinoberfläche stark ähnelt.
Diese Art des Grabsteinmaterials war in der Zeit nach dem zweiten
Weltkrieg weit verbreitet und auch auf anderen Friedhöfen ein gern
verwendetes Material. Das Fundament der Grabsteine ist gleichzeitig
weiterführend als Grabeinfassung konstruiert und wurde in Serie
hergestellt. Die Personen denen diese Grabanlagen gewidmet
sind, haben alle eine dramatische Lebensgeschichte hinter sich und sind
Opfer der Shoa. Ob sie Laupheim zu Lebzeiten kannten oder davon hörten
wissen wir nicht. Tatsache ist, dass sie hier ihre letzte Ruhe gefunden
haben. In der Namensliste der Verstorbenen sind die
Personendaten und Herkunftsort sowie Sterbeort vermerkt. Nur bei wenigen
ist die Geschichte vollständig bekannt. So sind zu den Verstorbenen, bis
auf zwei Ausnahmen keine Nachkommen bekannt. Im Angang des Berichtes folgen Auszüge aus einem
Text von Herrn Reinhold Adler aus Ummendorf. Herr Adler hat die
Geschichte des Internierungslager „Lindele“ bei Biberach erforscht. Er
hat zu den Personen, welche in Biberach verstorben Recherchen
angestellt, deren Geschichte hier niedergeschrieben wurde. Wie Herr Adler in seinem Bericht schreibt,
wurden mehrere Personen auf den christlichen Friedhöfen in Biberach
beerdigt. Nach dem Krieg wurden die bestatteten Personen dann nach
Laupheim verlegt.
Ein ehemaliger Bewohner des Hauses am
Friedhof, Herr Bernhard Federle † berichtete: „Ich
bin in dem Haus am Friedhof mit mehreren Geschwistern aufgewachsen. Kurz
nach dem Krieg ist immer wieder ein Leichenwagen gekommen der Leichen
brachte. Die Personen wurden ganz hinten im Friedhof bestattet. Für uns
Kinder war dies immer unheimlich. Die Gräber waren zunächst ohne
Schmuck, Grabstein und Einfassung. So haben Nachbarn des Friedhofes
kleine Kreuzte aufgestellt um an die Toten zu gedenken.“
Wobei
Kreuze im Judentum nicht die Bedeutung haben wie im Christentum. Um an
die Toten Personen zu erinnern wurden dann einfache kleine Tafeln am
Grab aufgestellt. Bis heute sind von den 34 Gräbern nur zu zwei
Gräbern Nachfahren bekannt. Es sind die Familien von
John Hasenberg und
Lazar Schönberg. Hierzu gibt es separate Berichte. Zu den anderen verstorbenen Personen gab es
keine Ansprechpartner oder bekannte Familienangehörige.
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Die Gräber
Grab
Vorname
Nachname
Geburtsname
Herkunfstort
Geburtsdatum
Sterbedatum
Sterbeort
1
S
29/9
Sophie
Reinauer
Mühringen
15.07.1860
11.01.1942
Pflegeanstalt Heggbach
2
S 29/10
Fanny
Lehrberger
Lehrberg
03.03.1863
28.01.1942
Pflegeanstalt Heggbach
3
N 28/8
Isidor
Hess
Ellwangen
23.06.1868
09.02.1942
Pflegeanstalt Heggbach
4
S 29/11
Sophie
Rosenstein
Lehrsteinfeld
21.07.1868
13.02.1942
Pflegeanstalt Heggbach
5
S 29/12
Zierle
Hartheimer
Wiesenbacher
Niederstetten
04.07.1855
11.03.1942
Pflegeanstalt Heggbach
6
S 29/13
Babette
Rosenberger
Bierig
Edelfingen
29.02.1864
20.03.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
7
N 29/2
Hermann
Grünebaum
Vollmerz
18.01.1856
21.03.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
8
S 29/14
Emilie
Haarburger
Schwarz
Hechingen
27.05.1852
26.03.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
9
N 29/3
Abraham
Kahn
Schluchtern
26.01.1869
27.03.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
10
S 29/15
Hedwig
Wallerstein
Nürtingen
19.05.1874
19.04.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
11
S 29/16
Fanny
Kahn
Kaufmann
Hochberg
25.12.1861
05.05.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
12
S 29/17
Fanny
Hess
Ellwangen
02.05.1862
20.05.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
13
S 29/18
Anna
Moos
Buchau
28.12.1868
05.06.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
14
S 30/2
Ida
Weikersheimer
Gutmann
Creglingen
05.08.1862
17.06.1942
Laupheim
15
N 29/4
Isak
Strauss
Niederstetten
31.12.1872
27.06.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
16
S 30/3
Fanny
Haarburger
Hess
Ellwangen
11.11.1868
01.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
17
S 30/13
Mina
Wiener
Massenbach
28.05.1850
05.07.1942
Pflegeanstalt Heggbach
18
N 29/5
Berthold
Blum
Worms
11.01.1877
06.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
19
N 29/5
Thekla
Blum
Jakobi
Stuttgart
23.08.1884
01.02.1943
Auschwitz
20
S 30/4
Mathilde E.
Berolzheimer
Sander
Darmstadt
11.01.1859
10.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
21
S 30/5
Lina
Elkan
Michelbach a. d. Lücke
15.03.1875
12.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
22
S 30/6
Sophie
Henle
Laupheim
26.12.1856
27.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
23
N 29/6
Friedrich
Alexander
Zvolen Ungarn
21.02.1869
04.08.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
24
S 30/7
Frida
Dettelbacher
Göppingen
13.06.1868
07.08.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
25
S 30/8
Mina
Frank
Jochsberger
Jochsberg
22.04.1857
12.08.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
26
N 29/10
Arthur
Triest
17.12.1891
25.11.1944
Biberach Internierungslager
"Lager Lindele"
27
S 30/11
Malka
Liebermann
Stryzower
Rzeszow Polen
05.05.1887
18.01.1946
Biberach Jordanbad
28
N 29/8
John
Hasenberg
Berlin
08.10.1892
23.01.1945
Verstarb im Zug von Bergen-Belsen
29
N 29/9
Franz James
Lassally
Hamburg
28.04.1901
23.01.1945
Verstarb im Zug von Bergen-Belsen
30
N 29/11
Leon Julius
Redner
Hamburg
04.10.1915
31.01.1945
Biberach Internierungslager
"Lager Lindele"
31
N 29/12
Hermann
Feinstein
14.03.1876
05.02.1945
Biberach Internierungslager
"Lager Lindele"
32
S 30/10
Fradel T.
Jissachar Adler
16.02.1945
33
N 29/7
Lazar
Schönberg
Auschwitz
01.10.1885
24.02.1945
Biberach Internierungslager
"Lager Lindele"
34
N 30/1
Leopold
Caspary
Berlin
30.09.1884
21.05.1947
Biberach Jordanbad
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Helmut und Edith Steiner Helmuth und Edith Steiner lebten in St. Gallen in der Schweiz. Sie waren mit ihren zwei Kindern Heinrich und Martina rechtzeitig von Laupheim emigriert und fand in St. Gallen eine neue Heimat. Helmut Steiner und seine Frau Edith hatten unmittelbar nach dem Krieg wieder Laupheim besucht. Sie hatten ihre Heimat und die Namen und Adressen der guten Laupheimer nicht vergessen. So war Helmuth Steiner auch der Erhalt des Friedhofes, dem letzten lebendigen Zeugen der ausgelöschten jüdischen Gemeinde, ein großes Anliegen. So hatte er sich um die „verwaisten“ Gräber angenommen. Helmut Steiner war, wie auch sein Vater, Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Das Bild rechts zeigt Edith und Helmut Steiner auf der Bodenseefähre. Die Schicksale der Personen in den letzten beiden Reihen berührten ihn sehr, vor allem die Geschichte von John Hasenberg. John Hasenberg starb auf dem Weg in die Freiheit. Seine Familie überlebte den Holocaust und konnte sich über die Schweiz, Marokko nach New-York durchschlagen. Seine Tochter Irene Butter lebt heute in Michigan. Helmut Steiner hatte sich eine große Aufgabe gesetzt. Er wollte den verstorbenen und Opfer der Shoa ein würdiges Grab schaffen. Dass es ihm gelungen ist, wissen wir. Wie er es im Detail umsetzte und wer die Gräber mit finanzierte ist leider nicht genau bekannt. Es war eine nicht vorstellbare Aufgabe. Die Grabinschriften mussten verfasst und in hebräische Sprache den Steinmetz vorgelegt werden. Am Sonntag den 24. Juli 1955 wurden die Grabsteine ihrer Bestimmung übergeben und eine Gedenktafel an dem Denkmal für die im ersten Weltkrieg getöteten Soldaten enthüllt. Auf jedem der Gräber wurde auch ein Kranz niedergelegt. Es war ein sonniger, heißer Sommertag als der jüdische Friedhof zahlreiche Besucher bekommen hatte. Helmut Steiner´s Sohn, Heinrich Steiner der damals 24 Jahre jung war, hatte den Tag mittels seiner Kamera dokumentiert. Die im Bericht eingefügten Bilder stammen von Ihm. Die Einweihungen wurden vom St. Gallener Rabbiner Dr. Lothar Rothschild vorgenommen. Weitere prominente Anwesenden waren: Landesrabbiner Dr. Bloch, evangelischer Landesbischof Dr. Haug, der evangelische Pfarrer Grafeneck, ev. Pfarrer von Laupheim Leopold Ganz, Landrat Heckmann, Bürgermeister (1948 – 1963) Alfons Hagel und alt Bürgermeister (1924 – 1934) Franz Konrad. Sowie etwa weitere 30 Personen. Am selben Sonntagnachmittag wurde auch das neu gebaute evangelische Gemeindehaus eingewiehen, so stand es in der damaligen Tagespresse. |
Schwäbische Zeitung vom 25. Juli 1955 Stadt Laupheim
Gebetstunde auf dem Israelitischen Friedhof Laupheim
Die Wiederherstellung eines würdigen und der Stätte angemessenen
Zustandes auf dem Israelitischen Friedhof in Laupheim gab die
Veranlassung, am Sonntag den 24. Juli 1955, eine Gebetstunde abzuhalten.
Es wurden dabei gleichzeitig die in den letzten Monaten neu errichteten
Grabsteine auf den Gräbern von Opfern der zurückliegenden Zeit, sowie
eine Gedenktafel eingeweiht, welche dem Andenken an die jüdischen Opfer
jener Jahre gewidmet ist. Rabbiner Dr. L. Rothschild, St. Gallen, hielt
eine ergreifende Gedenkrede und Landesrabbiner Dr. Bloch, Stuttgart,
sprach das Schlußgebet. Neben den geladenen offiziellen Teilnehmern
fanden sich zahlreiche Gäste aus allen Kreisen der Laupheimer
Bevölkerung ein, auf welche die schlichte Feier einen erhabenen Eindruck
machte.
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Das Denkmal für die im ersten Weltkrieg getöteten jüdischen Soldaten mit der 1955 enthüllten Gedenktafel auf der Rückseite.
Geladene Gäste treffen am Portal des
Friedhofes ein. Bislang bekannte Personen von links. Karl Haid von der Firma Simon H Steiner, Rudolf Einstein, Dame in der Mitte, Edith Steiner. |
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Bild Mitte, Edith Steiner im Gespräch mit Werner Burgauer, Präsident der jüdischen Gemeinde St. Gallen. |
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Der aus St. Gallen angereiste Rabbiner, Dr. Lothar Rothschild an den Gräbern von Lazar Schönberg, John Hasenberg und Franz
Lassally. |
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Vierte Person von links Edith Steiner, an den Gräbern Helmut Steiner und Rabbiner Dr. Lothar
Rothschild. |
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Rabbiner Dr. Lothar Rothschild bei der Ansprache.
Die Gräber von Lazar Schönberg, John Hasenberg,
Franz James Lassally und Arthur (Arturo) Nathan. |
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Grabreihe 29 und 30. | |
Landesrabbiner Dr. Bloch (heller Hut) an den
Grabreihen 30 und 29. Die Dame rechts ist Edith Steiner. |
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Landesrabbiner Dr. Bloch im Gespräch mit Alt-Bürgermeister
Konrad. |
Rabbiner Dr. Lothar Rothschild im Gespräch mit Landesrabbiner Dr.
Fritz Bloch, Helmut Steiner und Landrat Paul Heckmann (von links) sowie
Bürgermeister Alfons Hagel (von hinten).
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Alt-Bürgermeister
Konrad links, Karl Haid und Siegbert Einstein aus Buchau. |
Ansichten der letzten Grabreihen im jüdischen Friedhof.
Die Toten des
Lagers Lindele
auf dem jüdischen
Friedhof in Laupheim vor Reinhold Adler
Kommen wir nun zum Laupheimer jüdischer
Friedhof, auf dem nach meiner Recherche sieben Tote der
Bergen-Belsen-Gruppen aus dem Lager Lindele beerdigt wurden. Nämlich:
Arthur
(Arturo) Nathan,
geb. 17.12.1891 in Triest, gest. 25.11.1944 im Lagerhospital
Biberach
Franz Lassally,
geb. 28.4.1901 in Hamburg, gest. 23.1.1945 auf dem Transport von
Bergen-Belsen
John Hasenberg,
geb. 8.10.1892 in Neumünster, gest. 23.1.1945 auf dem Transport von
Bergen-Belsen
Leon Julius Redner,
geb. 4.10.1916 in Hamburg, gest. 31.1.1945 in Biberach
Herrmann Feinstein,
geb. 17.3.1876 in Voldylanken(?), gest. 5.2.1945 im Lagerhospital
Biberach
Elazar Lazar Schönberg,
geb. 1.10.1885 in Auschwitz, gest. 24.2.1945 im Lagerhospital
Biberach
Dierck Simon Langedyk,
geb. 7.6.1891 in Groningen, gest. 3.3.1945 im Lagerhospital Biberach Das erste Opfer war Arthur NATHAN. Er kam am
17.11.1944 nach Biberach und starb schon wenige Tage nach der Ankunft
des Transportes aus Bergen-Belsen im Lagerhospital in Biberach. Er kam
mit seiner Frau Jeanette, die zehn Jahre älter als er war und aus London
stammte. Er befand sich in dem Transport mit nordafrikanischen Juden,
die von den Italienern in Tripolis und Bengasi verhaftet und in Lagern
in Italien interniert worden waren. Von dort holte sie die SS nach
Bergen-Belsen, als Italien 1943 die Seite wechselte. Alle Häftlinge
dieser Transporte litten an einer ansteckenden Augenkrankheit und an
Geschwüren. Die Grabsteine von Franz LASSALLY und von John
HASENBERG tragen beide das gleiche Todesdatum, den 23.01.1945. Beide
haben bereits den Transport im Januar 1945 von Bergen-Belsen nach
Biberach nicht überlebt. Während die Bestattung von John Hasenberg auf
dem Katholischen Friedhof in Biberach nachgewiesen werden kann, gibt es
von Franz Lassally in den Biberacher Totengräberbüchern keine Spur.
Vielleicht wurde sein Leichnam erst in Ravensburg oder Meckenbeuren
ausgeladen. Wir wissen es bis jetzt nicht. Leon Julius Redner war ein Hamburger Kaufmann,
der mit Häuten handelte. Er heiratete am 04.12.1943 noch im Lager
Westerbork eine Henriette van Leeven, die ihn durch alle Lager bis nach
Biberach begleitete, wo er dann aber am 30.01.1945 starb. Er fand seine
Ruhestätte zunächst auf dem Evangelischen Friedhof Biberach, bis er
vermutlich auf Anordnung der Besatzungsmacht wie die anderen am 10.01.1946 auf den Laupheimer Jüdischer Friedhof überführt wurde. Seine Frau
verließ am 26.05.1945 das Lager Lindele und wurde nach Holland
repatriiert, also noch bevor das Lager selbst aufgelöst wurde. Als
Holländerin hatte sie das Recht zur Heimkehr im Gegensatz zu der
überwiegenden Mehrzahl der Juden in diesem Lager. Lazar Schönberg stammte aus Auschwitz; seine
Frau Regina kam aus Tarnow in Galizien. Vor dem Krieg lebte er in
Chemnitz als Handwerker. Er flüchtete mit seiner Familie nach Amsterdam,
wo er zusammen mit der aus Berlin kommenden Familie von Ascher Sann im
gleichen Haus lebte, in der Jan van Eijckstraat 22. Lazar besaß einen
Rettungspass von Honduras und kam nach Bergen-Belsen. Seine Mitbewohner
kamen 1943 in Auschwitz ums Leben. Am 2. März 1945 starb Lazar Schönberg
im Lager Lindele. Wie der bereits auf dem Transport verstorbene John
Hasenberg wurde auch Schönberg zunächst auf dem katholischen Friedhof in
Biberach beigesetzt und im Dezember 1945 nach Laupheim auf den jüdischen
Friedhof umgebettet. Bis Anfang 2011 wusste die Familie Schönberg nicht,
wo der Familienvater beerdigt ist. Nachkommen der Familie leben heute in
der Nähe von New York. Durch eine Recherche des Urenkels, Ben Schwalb,
der in Tübingen studierte, konnte die Frage jetzt geklärt werden. Wo Hermann Feinstein geboren wurde, ist nicht
klar. In den Transportakten von Bergen-Belsen heißt es, er sei in
Voldylanken geboren. Laut holländischen Websites soll er in Meldiglauken
auf die Welt gekommen sein. Beide Ortsnamen sind nicht zu verifizieren.
Auf dem Grabstein steht Elbing. Das ist eine Stadt im heutigen
Nordpolen, einst West- bzw. seit 1920 Ostpreußen. Tatsache ist: Im
Februar 1938 kam er als deutsch-polnischer Flüchtling in die
Niederlande, wo er sich in Oostzaan, einem nördlichen Außenbezirk von
Amsterdam, niederließ. In erster Ehe war er mit Anna Berlowitz in Elbing
verheiratet gewesen, die 1933 starb. Im April 1938 ließ er
möglicherweise seine spätere Frau Bianka Goldberg, Jg. 1884, nachkommen,
die selbst die Witwe von Hirsch Kaplan war, der schon 1923 in Berlin
verstorben war. Als die beiden im Oktober 1938 die Ehe eingingen, war
das offensichtlich die erste deutsche Flüchtlingsehe in Oostzaan. Besonders irritierend ist, dass zwar in Biberach
der Tod von Dierk Simon LANGEDYK, Jg. 1891, am 3. März 1945 im
Lagerhospital dokumentiert ist. Auch seine Beerdigung auf den
Katholischen Friedhof Biberach am 06.03.1945 und seine Umbettung nach
Laupheim am 10.01.1946 ist verbürgt. Aber es gibt keinen Grabstein in
Laupheim. Wer war Dierk Simon Langedyk? Im Biberacher Totengräberbuch
wird er als Dr. phil. , auf einer holländischen Website als Kaufmann
bezeichnet. Vermutlich war er weder das eine noch das andere. Er ist auf
jeden Fall ein holländischer Jude, geboren in Groningen. Seine sieben
Jahre jüngere Frau Hildegard Langedyk-Wallach kam aus Recklinhausen. Sie
war herzkrank. Bis Februar 1941 lebten sie in Amsterdam. Langedijks
Bruder lebte in Lausanne. Sie hatten auch eine Tochter Margot-Regina,
die 1921 auf die Welt kam und als Friseurin arbeitete. Im Mai 1942
verlobte sich die Tochter mit Hans Cohen, kurz bevor die beiden nach
Auschwitz deportiert wurden. Margot-Regina lebte bereits im September
nicht mehr. Auch ihr Verlobter erlebte das Kriegsende nicht. Langedijk
war blind und Präsident der Liga blinder Juden Amsterdam und er
arbeitete bis 1944 im Haus der jüdischen Blinden in Amsterdam. Er besaß
ein Einreisezertifikat für Palästina. Langedijks kamen mit einem
Rettungspass von Honduras nach Bergen-Belsen und Biberach. Bei der
Stadtgemeinde Amsterdam besteht auf jeden Fall ein Register, in dem auch
seine Familie gegenüber der Bundesrepublik Deutschland Ansprüche wegen
Plünderung ihres Haushalts während des Krieges anmeldeten. Hat seine
Frau, den Leichnam ihres Mannes nach Holland überführen lassen?
Eindeutig ja! Sein Grab befindet sich heute auf dem israelitischen
Friedhof Muiderberg in Muiden, in der Provinz Nordholland. Der jüdische
Friedhof in Muiderberg ist der älteste Friedhof der Juden von Amsterdam.
Dort sind etwa 45.000 Menschen begraben.Aber wann hat man den Leichnam
nach dort überführt? Malka Liebermann-Stryzower, Jg. 1887, war die
Frau von Jechiel Hirsch Liebermann, der schon im Januar 1945 in
Bergen-Belsen verstorben war. Sie stammte aus Rzeszów, einer Stadt in
Südost-Polen unweit der Karpaten mit heute fast 200.000 Einwohnern. Sie
lebte zunächst im Prenzlauer Berg in Berlin und versuchte sich dann, mit
ihrem Mann in die Niederlande zu retten. Sie kam mit ihrer Tochter
Nelly, die 1925 in Berlin auf die Welt gekommen war, über Westerbork
nach Bergen-Belsen. Auch sie war in dem Austauschzug in Richtung
Schweiz, kam aber nicht nach Biberach, sondern am 1. Februar 1945 ins
Internierungslager im Schloss Wurzach. Gestorben ist sie erst am 18.01.1946. Aber wo? Ich vermute im UNRRA-Lager Jordanbad, wohin alle
staatenlosen Juden gebracht wurden. Sie wurde nicht auf einem Biberacher
Friedhof beerdigt, sondern vermutlich direkt auf dem jüdischen Friedhof
in Laupheim. Leopold Caspary. Jg. 1884; soll Berliner gewesen
sein. Er starb ebenfalls im Jordanbad, aber erst 1947. Im Gegensatz zu
Malka Liebermann war er im Lager Lindele. Aber er gehörte nicht zu den
Leuten, die aus Bergen-Belsen kamen. Das britische Lagerregister
verzeichnete seine Ankunft im Lager Lindele am 17. November 1944 und
vermerkt: „Aus Polen“. Das kann nur heißen, er kam aus einem der
Konzentrationslager, weil die SS nach geeigneten „Austauschjuden“
suchte. Er muss schon damals nicht gesund gewesen sein, denn am 19. Mai
1945 wurde er ins Jordanbad verlegt, das damals Krankenhaus war, lange
bevor es UNRRA-Lager wurde. Dort tauchte sein Name in einem anderen
Zusammenhang nochmals auf. Ins Jordanbad kam auch ein Alfred Thonet, ein
Mitglied der berühmten Thonet-Familie aus Wien – jeder kennt die
Thonet-Stühle – gebogenes Holz. Alfred Thonet konnte schon im August
1945 in die USA ausreisen, ließ aber einen großen Überseekoffer im
Jordanbad zurück, der ihm nachgeschickt werden sollte. Das aber geschah
nicht. Immer wieder fragte er brieflich nach, bis ihm die UNRRA 1947
mitteilte, man habe seinen Koffer im Zimmer des verstorbenen Leopold
Caspary gefunden. Aber was wissen wir schon über einen solchen
Menschen? Wer war Caspary wirklich? In Theresienstadt starb schon 1943
ein Mann des gleichen Namens aus Berlin, aber Jahrgang 1868. In den
Lagern im Osten wurden vielfach neue Identitäten angenommen, um der
Vernichtung zu entkommen. Wir wissen im Grunde nur einige Namen und
Lebensdaten. Wie viel Hoffnung, aber auch wie viel Leid mag sich hinter
einem solchen Namen verbergen? Wer weiß das? Vieles bleibt im
Ungewissen. Wir haben nichts als einen Grabstein – einen Ort des
Gedenkens. |
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