Geschichte der letzten Reihen im jüdischen Friedhof
Von Dr. Yitzhak Heinrich Steiner und Michael
Schick
Der jüdische Friedhof in Laupheim ist der letzte
lebendige Zeuge einer einst so großen und blühenden Gemeinde. Wie eine
Zeitachse dokumentiert der Friedhof mit den erhaltenen Grabstellen die
zurückliegende Zeit. Aus den Anfangsjahren der Gemeinde um 1730 wissen
wir nicht viel über die bestatteten Personen, vielen Gräber sind keine
Namen zuzuordnen. Viele Grabmale sind verwittert und existieren nicht
mehr, - es ist Gras darüber gewachsen. Im Weiteren mittleren Bereich des Friedhofes, so
ab den Jahren um 1850, lässt sich durch die Gestaltung und Größe der
Grabanlagen die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde und deren
Mitglieder beobachten. Hier werden die Grabsteine größer, edler und
aufwändiger. Gehen wir in der „Zeitachse“ des Friedhofes weiter bis in
die Jahre um 1930, so werden fast alle Grabsteine wieder gleich hoch. In
dieser Zeit entstehen auch die ersten Familiengräber. In den letzten beiden Reihen des Friedhofes,
entsprechend auch den jüngsten, fallen rund drei Dutzend Grabsteine
durch ihr fast einheitliches Design und Schlichtheit auf. Bei den
Grabanlagen handelt es sich um Grabsteine aus Kunststein. Sie bestehen
aus feinem Beton, der einer natürlichen Steinoberfläche stark ähnelt.
Diese Art des Grabsteinmaterials war in der Zeit nach dem zweiten
Weltkrieg weit verbreitet und auch auf anderen Friedhöfen ein gern
verwendetes Material. Das Fundament der Grabsteine ist gleichzeitig
weiterführend als Grabeinfassung konstruiert und wurde in Serie
hergestellt. Die Personen denen diese Grabanlagen gewidmet
sind, haben alle eine dramatische Lebensgeschichte hinter sich und sind
Opfer der Shoa. Ob sie Laupheim zu Lebzeiten kannten oder davon hörten
wissen wir nicht. Tatsache ist, dass sie hier ihre letzte Ruhe gefunden
haben. In der Namensliste der Verstorbenen sind die
Personendaten und Herkunftsort sowie Sterbeort vermerkt. Nur bei wenigen
ist die Geschichte vollständig bekannt. So sind zu den Verstorbenen, bis
auf zwei Ausnahmen keine Nachkommen bekannt. Im Angang des Berichtes folgen Auszüge aus einem
Text von Herrn Reinhold Adler aus Ummendorf. Herr Adler hat die
Geschichte des Internierungslager „Lindele“ bei Biberach erforscht. Er
hat zu den Personen, welche in Biberach verstorben Recherchen
angestellt, deren Geschichte hier niedergeschrieben wurde. Wie Herr Adler in seinem Bericht schreibt,
wurden mehrere Personen auf den christlichen Friedhöfen in Biberach
beerdigt. Nach dem Krieg wurden die bestatteten Personen dann nach
Laupheim verlegt.
Ein ehemaliger Bewohner des Hauses am
Friedhof, Herr Bernhard Federle † berichtete: „Ich
bin in dem Haus am Friedhof mit mehreren Geschwistern aufgewachsen. Kurz
nach dem Krieg ist immer wieder ein Leichenwagen gekommen der Leichen
brachte. Die Personen wurden ganz hinten im Friedhof bestattet. Für uns
Kinder war dies immer unheimlich. Die Gräber waren zunächst ohne
Schmuck, Grabstein und Einfassung. So haben Nachbarn des Friedhofes
kleine Kreuzte aufgestellt um an die Toten zu gedenken.“
Wobei
Kreuze im Judentum nicht die Bedeutung haben wie im Christentum. Um an
die Toten Personen zu erinnern wurden dann einfache kleine Tafeln am
Grab aufgestellt. Bis heute sind von den 34 Gräbern nur zu zwei
Gräbern Nachfahren bekannt. Es sind die Familien von
John Hasenberg und
Lazar Schönberg. Hierzu gibt es separate Berichte. Zu den anderen verstorbenen Personen gab es
keine Ansprechpartner oder bekannte Familienangehörige.
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Die Gräber
Grab
Vorname
Nachname
Geburtsname
Herkunfstort
Geburtsdatum
Sterbedatum
Sterbeort
1
S
29/9
Sophie
Reinauer
Mühringen
15.07.1860
11.01.1942
Pflegeanstalt Heggbach
2
S 29/10
Fanny
Lehrberger
Lehrberg
03.03.1863
28.01.1942
Pflegeanstalt Heggbach
3
N 28/8
Isidor
Hess
Ellwangen
23.06.1868
09.02.1942
Pflegeanstalt Heggbach
4
S 29/11
Sophie
Rosenstein
Lehrsteinfeld
21.07.1868
13.02.1942
Pflegeanstalt Heggbach
5
S 29/12
Zierle
Hartheimer
Wiesenbacher
Niederstetten
04.07.1855
11.03.1942
Pflegeanstalt Heggbach
6
S 29/13
Babette
Rosenberger
Bierig
Edelfingen
29.02.1864
20.03.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
7
N 29/2
Hermann
Grünebaum
Vollmerz
18.01.1856
21.03.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
8
S 29/14
Emilie
Haarburger
Schwarz
Hechingen
27.05.1852
26.03.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
9
N 29/3
Abraham
Kahn
Schluchtern
26.01.1869
27.03.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
10
S 29/15
Hedwig
Wallerstein
Nürtingen
19.05.1874
19.04.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
11
S 29/16
Fanny
Kahn
Kaufmann
Hochberg
25.12.1861
05.05.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
12
S 29/17
Fanny
Hess
Ellwangen
02.05.1862
20.05.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
13
S 29/18
Anna
Moos
Buchau
28.12.1868
05.06.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
14
S 30/2
Ida
Weikersheimer
Gutmann
Creglingen
05.08.1862
17.06.1942
Laupheim
15
N 29/4
Isak
Strauss
Niederstetten
31.12.1872
27.06.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
16
S 30/3
Fanny
Haarburger
Hess
Ellwangen
11.11.1868
01.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
17
S 30/13
Mina
Wiener
Massenbach
28.05.1850
05.07.1942
Pflegeanstalt Heggbach
18
N 29/5
Berthold
Blum
Worms
11.01.1877
06.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
19
N 29/5
Thekla
Blum
Jakobi
Stuttgart
23.08.1884
01.02.1943
Auschwitz
20
S 30/4
Mathilde E.
Berolzheimer
Sander
Darmstadt
11.01.1859
10.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
21
S 30/5
Lina
Elkan
Michelbach a. d. Lücke
15.03.1875
12.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
22
S 30/6
Sophie
Henle
Laupheim
26.12.1856
27.07.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
23
N 29/6
Friedrich
Alexander
Zvolen Ungarn
21.02.1869
04.08.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
24
S 30/7
Frida
Dettelbacher
Göppingen
13.06.1868
07.08.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
25
S 30/8
Mina
Frank
Jochsberger
Jochsberg
22.04.1857
12.08.1942
Zwangsaltenheim Schloss Dellmensingen
26
N 29/10
Arthur
Nathan
Triest
17.12.1891
25.11.1944
Biberach Internierungslager
"Lager Lindele"
27
S 30/11
Malka
Liebermann
Stryzower
Rzeszow Polen
05.05.1887
18.01.1946
Biberach Jordanbad
28
N 29/8
John
Hasenberg
Berlin
08.10.1892
23.01.1945
Verstarb im Zug von Bergen-Belsen
29
N 29/9
Franz James
Lassally
Hamburg
28.04.1901
23.01.1945
Verstarb im Zug von Bergen-Belsen
30
N 29/11
Leon Julius
Redner
Hamburg
04.10.1915
31.01.1945
Biberach Internierungslager
"Lager Lindele"
31
N 29/12
Hermann
Feinstein
14.03.1876
05.02.1945
Biberach Internierungslager
"Lager Lindele"
32
S 30/10
Fradel T.
Jissachar Adler
16.02.1945
33
N 29/7
Lazar
Schönberg
Auschwitz
01.10.1885
24.02.1945
Biberach Internierungslager
"Lager Lindele"
34
N 30/1
Leopold
Caspary
Berlin
30.09.1884
21.05.1947
Biberach Jordanbad
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Helmut und Edith Steiner Helmuth und Edith Steiner lebten in St. Gallen in der Schweiz. Sie waren mit ihren zwei Kindern Heinrich und Martina rechtzeitig von Laupheim emigriert und fand in St. Gallen eine neue Heimat. Helmut Steiner und seine Frau Edith hatten unmittelbar nach dem Krieg wieder Laupheim besucht. Sie hatten ihre Heimat und die Namen und Adressen der guten Laupheimer nicht vergessen. So war Helmuth Steiner auch der Erhalt des Friedhofes, dem letzten lebendigen Zeugen der ausgelöschten jüdischen Gemeinde, ein großes Anliegen. So hatte er sich um die „verwaisten“ Gräber angenommen. Helmut Steiner war, wie auch sein Vater, Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Das Bild rechts zeigt Edith und Helmut Steiner auf der Bodenseefähre. Die Schicksale der Personen in den letzten beiden Reihen berührten ihn sehr, vor allem die Geschichte von John Hasenberg. John Hasenberg starb auf dem Weg in die Freiheit. Seine Familie überlebte den Holocaust und konnte sich über die Schweiz, Marokko nach New-York durchschlagen. Seine Tochter Irene Butter lebt heute in Michigan. Helmut Steiner hatte sich eine große Aufgabe gesetzt. Er wollte den verstorbenen und Opfer der Shoa ein würdiges Grab schaffen. Dass es ihm gelungen ist, wissen wir. Wie er es im Detail umsetzte und wer die Gräber mit finanzierte ist leider nicht genau bekannt. Es war eine nicht vorstellbare Aufgabe. Die Grabinschriften mussten verfasst und in hebräische Sprache den Steinmetz vorgelegt werden. Am Sonntag den 24. Juli 1955 wurden die Grabsteine ihrer Bestimmung übergeben und eine Gedenktafel an dem Denkmal für die im ersten Weltkrieg getöteten Soldaten enthüllt. Auf jedem der Gräber wurde auch ein Kranz niedergelegt. Es war ein sonniger, heißer Sommertag als der jüdische Friedhof zahlreiche Besucher bekommen hatte. Helmut Steiner´s Sohn, Heinrich Steiner der damals 24 Jahre jung war, hatte den Tag mittels seiner Kamera dokumentiert. Die im Bericht eingefügten Bilder stammen von Ihm. Die Einweihungen wurden vom St. Gallener Rabbiner Dr. Lothar Rothschild vorgenommen. Weitere prominente Anwesenden waren: Landesrabbiner Dr. Bloch, evangelischer Landesbischof Dr. Haug, der evangelische Pfarrer Grafeneck, ev. Pfarrer von Laupheim Leopold Ganz, Landrat Heckmann, Bürgermeister (1948 – 1963) Alfons Hagel und alt Bürgermeister (1924 – 1934) Franz Konrad. Sowie etwa weitere 30 Personen. Am selben Sonntagnachmittag wurde auch das neu gebaute evangelische Gemeindehaus eingewiehen, so stand es in der damaligen Tagespresse. |
Schwäbische Zeitung vom 25. Juli 1955 Stadt Laupheim
Gebetstunde auf dem Israelitischen Friedhof Laupheim
Die Wiederherstellung eines würdigen und der Stätte angemessenen
Zustandes auf dem Israelitischen Friedhof in Laupheim gab die
Veranlassung, am Sonntag den 24. Juli 1955, eine Gebetstunde abzuhalten.
Es wurden dabei gleichzeitig die in den letzten Monaten neu errichteten
Grabsteine auf den Gräbern von Opfern der zurückliegenden Zeit, sowie
eine Gedenktafel eingeweiht, welche dem Andenken an die jüdischen Opfer
jener Jahre gewidmet ist. Rabbiner Dr. L. Rothschild, St. Gallen, hielt
eine ergreifende Gedenkrede und Landesrabbiner Dr. Bloch, Stuttgart,
sprach das Schlußgebet. Neben den geladenen offiziellen Teilnehmern
fanden sich zahlreiche Gäste aus allen Kreisen der Laupheimer
Bevölkerung ein, auf welche die schlichte Feier einen erhabenen Eindruck
machte.
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Das Denkmal für die im ersten Weltkrieg getöteten jüdischen Soldaten mit der 1955 enthüllten Gedenktafel auf der Rückseite.
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Geladene Gäste treffen am Portal des
Friedhofes ein. Bislang bekannte Personen von links. Karl Haid von der Firma Simon H Steiner, Rudolf Einstein, Dame in der Mitte, Edith Steiner. |
Bild Mitte, Edith Steiner im Gespräch mit Werner Burgauer, Präsident der jüdischen Gemeinde St. Gallen. |
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Der aus St. Gallen angereiste Rabbiner, Dr. Lothar Rothschild an den Gräbern von Lazar Schönberg, John Hasenberg und Franz
Lassally. |
Vierte Person von links Edith Steiner, an den Gräbern Helmut Steiner und Rabbiner Dr. Lothar
Rothschild. |
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Rabbiner Dr. Lothar Rothschild bei der Ansprache.
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Die Gräber von Lazar Schönberg, John Hasenberg,
Franz James Lassally und Arthur Nathan. |
Grabreihe 29 und 30. |
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Landesrabbiner Dr. Bloch (heller Hut) an den
Grabreihen 30 und 29. Die Dame rechts ist Edith Steiner. |
Landesrabbiner Dr. Bloch im Gespräch mit Alt-Bürgermeister
Konrad. |
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Rabbiner Dr. Lothar Rothschild im Gespräch mit Landesrabbiner Dr.
Fritz Bloch, Helmut Steiner und Landrat Paul Heckmann (von links) sowie
Bürgermeister Alfons Hagel (von hinten).
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Alt-Bürgermeister
Konrad links, Karl Haid und Siegbert Einstein aus Buchau. |
Ansichten der letzten Grabreihen im jüdischen Friedhof.